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EVG fordert in Bahn-Tarifrunde zwölf Prozent gegen die Inflation
Die Gewerkschaft EVG muss in den Tarifverhandlungen mit der Bahn beweisen, wie kämpferisch sie ist
Während die Tarifrunden bei der Post und im öffentlichen Dienst des Bundes und der Kommunen bereits in vollem Gange sind, startet diesen Dienstag auch der Kampf um höhere Löhne bei der Deutschen Bahn und rund 50 weiteren Verkehrsunternehmen. Die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG) fordert eine prozentuale Erhöhung der Gehälter um zwölf Prozent beziehungsweise mindestens 650 Euro pro Monat, wovon die unteren Lohngruppen in besonderem Maße profitieren würden. Die Laufzeit des Vertrages soll zwölf Monate betragen.
»Wir halten diese Forderung für mehr als gerechtfertigt. Unsere Aufgabe ist es, dafür zu sorgen, dass unsere Kolleginnen und Kollegen in diesem Jahr nicht weniger verdienen als im vergangenen. Angesichts enorm gestiegener Energie- und Lebenshaltungskosten muss die Lohnerhöhung deutlich ausfallen. Das haben unsere Mitglieder immer wieder sehr eindrücklich erklärt«, so EVG-Tarifvorstand Kristian Loroch zur Begründung der Forderungen. Besonders die soziale Komponente von mindestens 650 Euro mehr im Monat sei »ein sehr deutliches Signal«.
Tatsächlich haben die von der EVG vertretenen Beschäftigten in dieser Branche im vergangenen Jahr deutliche Reallohnverluste hinnehmen müssen, denn der im Oktober 2021 mit der Deutschen Bahn ausgehandelte Tarifvertrag beinhaltete neben einer einmaligen Corona-Prämie in Höhe von 1100 Euro lediglich eine Lohnerhöhung von 1,5 Prozent. Und selbst diese unzureichenden Erhöhungen kamen nur zustande, weil die konkurrierende, zum Deutschen Beamtenbund gehörende Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer (GDL) den ursprünglich von der EVG abgeschlossenen »Sanierungstarifvertrag« ablehnte und ihren Forderungen mit mehreren Streiks Nachdruck verlieh. Dieser Konflikt wurde schließlich in einer Schlichtung beigelegt. Die EVG konnte dann aufgrund einer entsprechenden Vereinbarung mit der Bahn ihren eigenen Abschluss nachbessern.
Mit einer schnellen Einigung ist auch diesmal nicht zu rechnen. Alleine die erste Tarifrunde, bei der nicht mit konkreten Angeboten der Arbeitgeber zu rechnen ist, wird sich wegen der Vielzahl der beteiligten Unternehmen bis Ende März hinziehen. Ob und wann die EVG ihren Forderungen mit Warnstreiks Nachdruck verleihen will, ist derzeit noch nicht bekannt. Falls es keine verhandlungsfähigen Angebote der Arbeitgeber gebe, könne dies jedoch »ganz schnell gehen«, so Loroch.
Mit einem deutlichen Lohnplus will die EVG aber nicht nur den Reallohnabbau stoppen, sondern auch die Deutsche Bahn und ihre privaten Konkurrenten strukturell zukunftsfähig machen. Der eklatante Personalmangel und die hohe Fluktuationsrate seien in hohem Maße auf die nicht konkurrenzfähige Entlohnung zurückzuführen, heißt es. Außerdem führe das zu unerträglichen Mehrbelastungen, etwa durch immer mehr Überstunden. Alleine auf den Arbeitszeit-Langzeitkonten seien derzeit 18 Millionen Überstunden »angespart«.
Das hat auch Auswirkungen auf den Krankenstand. Laut EVG lag dieser 2021 noch bei 5,5 Prozent, aber 2022 wurde ein deutlicher Anstieg auf 7,1 Prozent verzeichnet. In einigen Bereichen, etwa beim Service im Zug und auf den Bahnhöfen, liegt die Quote mittlerweile bei zehn Prozent oder darüber.
»Alle Personaloffensiven werden zum Scheitern verurteilt sein, wenn die Unternehmen nicht endlich angemessene Löhne zahlen«, erklärte Tarifvorstand Loroch. Schon heute würden Neuangestellte häufig über Tarif bezahlt, um freie Stellen überhaupt besetzen zu können. Das könne aber nicht die Lösung sein, vielmehr brauche es angemessene Tariflöhne. Denn »sonst werben sich die Unternehmen untereinander die Mitarbeiter ab und die Reisenden bleiben auf der Strecke«.
Allerdings muss die EVG erst noch beweisen, dass diesen markigen Worten diesmal auch tatsächlich entsprechende Taten folgen. Denn bislang agierte diese Gewerkschaft eher sozialpartnerschaftlich orientiert und vertrat phasenweise auch offen die Interessen der Konzernspitze der Deutschen Bahn, etwa bei der Vorbereitung des geplanten und später gescheiterten Börsengangs des bundeseigenen Konzerns.
Entsprechend zerrüttet ist das Verhältnis zu der deutlich kämpferischeren GDL, die seit einigen Jahren auch teilweise erfolgreich versucht, andere Berufsgruppen als nur die Lokomotivführer zu organisieren und tariflich zu erfassen. Der von der GDL abgeschlossene Tarifvertrag bei der Bahn läuft noch bis zum 31. Oktober dieses Jahres. Man werde »zu gegebener Zeit« über die eigenen Forderungen beraten und beschließen, erklärte ein GDL-Sprecher auf Anfrage.
Nach wie vor gibt es auch juristische Konflikte um die Anwendbarkeit von GDL-Tarifen in den rund 70 zum Bahn-Konzern gehörenden Betrieben, in denen beide Gewerkschaften vertreten sind. Der GDL-Vorsitzende Claus Weselsky gibt sich jedenfalls kämpferisch: »Der Unmut der GDL-Mitglieder ist groß und die Manager werden dies bei den Tarifverhandlungen im Oktober deutlich zu spüren bekommen.« Für den Arbeitgeber könnte 2023 »wohl doch ein Schreckensjahr werden«, heißt es in seinem Editorial für die GDL-Mitgliederzeitung »Voraus«.
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