- Politik
- Abchasien
Griff nach Pizunda
Russland versucht, sich durch Erpressung einen Teil Abchasiens einzuverleiben. Doch dagegen gibt es erbitterten Protest
Russland hat schon häufiger mit verschiedenen Mitteln versucht, mehr Einfluss auf Abchasien zu nehmen. Im Mai 2022 schlug etwa der kommunistische Duma-Abgeordnete Leonid Kalaschnikow vor, die Grenzkontrollen zwischen Russland und Abchasien einzustellen, wogegen sich aber die Abchasen wehrten. Die Kaukasusrepublik gehört völkerrechtlich zu Georgien, hat sich aber seit dem georgisch-abchasischen Krieg 1993 faktisch abgespalten.
Seit zwölf Jahren versucht Russland auch, sich die Staatsdatscha im Badeort Pizunda unter den Nagel zu reißen, die einst dem sowjetischen Staats- und Parteichef Nikita Chruschtschow (1894-1971) gehörte. Im Januar 2022 gab es schließlich eine Vereinbarung, die Russland neben dem Anwesen auch einen Teil eines Naturschutzgebietes und einen Meeresabschnitt zuspricht. Die Medien erfuhren erst ein halbes Jahr später davon, was im Juli umgehend zu Protesten führte.
Präsident Aslan Bschanija versuchte, das großzügige Geschenk an Russland mit der Dankbarkeit für die finanzielle Unterstützung und den militärischen Beistand des Kreml gegenüber Georgien zu rechtfertigen. Doch der Abtritt des Gebiets ist umstritten. Weder das Verfassungsgericht noch das Parlament wollten eine Entscheidung treffen und schoben sich das Dokument gegenseitig zu. Letztlich blieb es beim Parlament liegen und wurde noch nicht ratifiziert.
Das Gelände der Staatsdatscha Pizunda ist für die Öffentlichkeit nicht zugänglich. Um das Areal zieht sich ein Betonzaun mit Stacheldraht, und Kameras überwachen die Umgebung. Die Gebäude, in denen sich einst die sowjetischen Staatschefs erholten, werden vom dichten Wald des Pizunda-Mjusserskij-Naturschutzgebietes vor neugierigen Blicken geschützt. Auf der gegenüberliegenden Straßenseite ragt das 14-geschossige Pensionat »Kurort Pizunda« aus Sowjetzeiten empor. Im Sommer erholen sich hier bis zu 2000 Russen gleichzeitig. Wer dagegen in der Staatsdatscha residiert, ist nicht bekannt.
»Von den Abchasen war 1995 kaum jemand hier«, sagt der Journalist und Aktivist Leuan Lagulaa über die Residenzen. Damals, nach dem Zerfall der Sowjetunion und dem Ende des Abchasienkriegs 1993, wurde eine erste Übereinkunft zur Vermietung der Datscha an Russland unterzeichnet, genauer gesagt an den Föderalen Dienst für Bewachung (FSO), einen Schutzdienst, der für die Sicherheit des russischen Präsidenten und der russischen Regierung zuständig ist. Drei Datschen erhielt der FSO damals, Nr. 8, 9 und 10. Alle ausgestattet mit Solarium, Swimmingpool und Kino. Jedes der Häuser ist zwischen 1360 und 1490 Quadratmeter groß. Viele Politiker und Aktivisten in Abchasien meinen jedoch, dass der Mietvertrag ungültig sei, weil Russland 2008 die Unabhängigkeit Abchasiens nicht anerkannt hat.
Anwohner berichten, dass sich die Häuser in einem bedauernswerten Zustand befänden und schon lange niemand mehr zu Besuch komme. Seit Sowjetzeiten wurden die Villen nicht mehr saniert. Russlands Rechnungshof weigere sich, die Sanierung der Häuser zu bezahlen und dränge auf die Privatisierung, sagte Naira Amalya von der Partei Apsny gegenüber »Echo Kawkasa« nach einem Treffen mit dem russischen Botschafter Michail Schurgalin. Offiziell hat sich Russland zu der Angelegenheit nicht geäußert. Abchasiens Präsident Aslan Bschanija behauptet aber, dass Russlands Staatsspitze hier weiterhin Urlaub mache.
Russland erhielt 1999 außerdem eine Siedlung mit 20 Wohnhäusern als Schenkung, die an das Gebiet der Datschen angrenzen. »Faktisch wurden die Objekte mitsamt der Einwohner übergeben«, sagt Jelena Filatowa, die Enkelin des früheren Wachleiters der Datscha, Iwan Lysenko. »Wie fast 80 andere Familien auch wurde ihm nach seiner Pensionierung 1976 der Wohnraum zugewiesen«, erklärt sie.
Anfang 2019 wurde die Siedlung plötzlich mit einem Maschendrahtzaun umzäunt. Seitdem kontrolliert der angrenzende russische Militärstützpunkt die Zufahrt. Ohne deren Zustimmung können die Bewohner weder Krankentransport, Polizei noch Feuerwehr rufen, erläutert Filatowa. Die Bewohner wandten sich wegen des illegalen Zauns an die Generalstaatsanwaltschaft. Dort hieß es, man habe nicht die Eigentumsrechte, um etwas zu unternehmen. Folglich zogen die Eltern von Filatowa wegen der Verletzung von Wohnrechten vor Gericht. Ein Urteil gibt es bis heute nicht, die Verhandlungen werden immer wieder vertagt.
Der Grund für die Verzögerungen liege in dem neuen Abkommen über die Staatsdatscha von Anfang 2022, davon sind die Bewohner überzeugt. Russland könne demzufolge außer den drei Datschen noch 180 Hektar Schwarzmeer, 155 Hektar Naturschutzgebiet und acht Hektar Wohnviertel in Pizunda bekommen – insgesamt 343 Hektar. Wird das Abkommen ratifiziert, muss Abchasien das Land innerhalb eines halben Jahres abtreten. Personen, die auf dem Territorium des Objekts leben, sollen zwar das Nutzungsrecht für ihre Wohnungen behalten, heißt es im Abkommen. Die Anwohner glauben aber nicht, dass ihnen dies eine Sicherheit bietet. »Es gibt weder eine namentliche Auflistung von Bewohnern noch Dokumente über die Sozialmiete des Eigentums«, gibt Filatowa zu bedenken.
In der Vereinbarung steht, dass die Staatsdatscha für 49 Jahre übergeben wird, allerdings ist der Zeitraum flexibel. Im letzten Punkt wird nämlich von einer automatischen Verlängerung um weitere 15 Jahre gesprochen. Die Pacht des Landes sei eine »Fiktion«, davon ist der Jurist Said Geserdawa überzeugt. In Wirklichkeit werde das Stück Abchasien Russland einfach geschenkt. Laut Vereinbarung geht die Datscha mitsamt der Siedlung in russisches Recht über. Das widerspreche allerdings der abchasischen Verfassung, schreibt Geserdawa in einem Kommentar der »Nuschnaja Gaseta«. Russische Soldaten können dann körperliche und Waffengewalt bei der Ausübung ihrer Pflichten ausüben. Gleichzeitig dürften abchasische Organe sie weder verhaften noch anklagen. Außerdem darf Russland laut dem Abkommen das Gelände bebauen. Selbst das Mietende bedeutet nicht das Ende der Besitzrechte Russlands. Will Abchasien das Land wiederhaben, muss es alle Ausgaben der Russen bezahlen, schreibt Geserdawa und zweifelt daran, dass Abchasien dazu in der Lage sein wird.
Das Abkommen vom Januar wurde erst im Juli öffentlich, als es im Parlament ratifiziert werden sollte. Die Regierung habe bewusst auf die neue Wahlperiode gewartet, davon ist die Journalistin Isida Tschania überzeugt, weil jetzt 80 Prozent der Abgeordneten Anhänger des Präsidenten sind. Am 21. Juli beauftragte das Parlament das Verfassungsgericht mit der Überprüfung der Verfassungsmäßigkeit. Zwei Tage, nachdem das Gericht das Abkommen am 1. August bekommen hatte, gab es die Entscheidungsfindung ohne Urteil zurück an die Abgeordneten.
Präsident Bschanija tingelte zuvor über die Dörfer, um für die Ratifizierung zu werben. »Nicht ein Bürger Abchasiens ist gegen die Übergabe«, erklärte Ruslan Chaschig, ein Mitglied des Innenministeriums, noch am 20. Juli. Zwei Tage später musste Bschanija ein Treffen mit Dorfbewohnern in Matschara »wegen Unruhen« nach der Diskussion über die Übergabe abbrechen. Medien berichten, das Treffen habe mit einer Schlägerei zwischen Oppositionellen und Sicherheitskräften geendet.
Der Präsident argumentiert, man übergebe die Datscha aus Dankbarkeit für Russlands Hilfe für die jährlichen Milliardenzahlungen in den Haushalt und den militärischen Schutz vor Georgien. »Können wir Wohlstand, Frieden und Ruhe ohne Unterstützung Russlands sicherstellen?«, fragte Bschanija auf einem Treffen. »Welche Alternativen haben wir?« Als eine Frau wissen wollte, warum man die Frage ausgerechnet jetzt, nach über zehn Jahren Diskussion, lösen müsse, antwortete der Präsident nicht.
Agdur Ardsinba, wichtigster oppositioneller Gegenspieler Bschanijas, sagte, es gebe viele Menschen, die sich angesichts der Abhängigkeit von Russland nicht mehr an die autonome Republik erinnern können. »Wir gestatten es weder Euch noch Euren Oligarchenfreunden, ein solches Modell zu erschaffen«, erklärte Ardsinba und meint damit den Beitritt zu Russland.
Moskaus Vertreter Schurgalin drohte indes mit »finanziellen Maßnahmen«, sollte die Übergabe scheitern. Eine Verzögerung würde sich auf Investitionen in Großprojekte wie den Bau des Flughafens, touristischer Objekte und die Sanierung der Eisenbahn auswirken, zitiert das Medium »Echo Kawkasa« den Diplomaten. Fehlendes Geld sei kein Grund, Russland Gebiete abzutreten, meint hingegen die Opposition. Nach einem Treffen mit dem Botschafter Ende August kritisierten abchasische Aktivisten dessen Haltung. Schurgalin habe die Aktivisten bei dem Treffen direkt unter Druck gesetzt und mit dem Abzug russischer Soldaten sowie der Einstellung russischer Rentenzahlungen gedroht, erinnert sich Tschaina, die als Journalistin damals anwesend war.
Sie spricht auch von einem Gesetz, das Ausländern den Kauf von Immobilien erlauben soll, eine der am meisten diskutierten Fragen in Abchasien. Befürworter erhoffen sich Investitionen in die Republik, Gegner befürchten steigende Preise und eine ethnische Veränderung der Bevölkerung. Immer wieder tauchen Geschichten »betrogener« Russen auf, die versuchen, Wohnungen in Abchasien zu kaufen. Wie viele Häuser mittlerweile Menschen aus dem nördlichen Nachbarland gehören, weiß niemand, denn Grundbücher und Immobilienkataster gibt es nicht.
Anfang September gründeten junge Menschen die Initiative »Unser Pizunda« und organisierten mehrere Demonstrationen mit 50 bis 100 Teilnehmern. Sie forderten von den Abgeordneten, das Dokument nicht zu ratifizieren oder es wenigstens noch einmal zu prüfen. »Wir sind nicht gegen Russland, sondern dagegen, dass unser Land abgegeben werden soll. Wenn wir anfangen, Flächen zu verkaufen, was bleibt dann?«, fragt sich Mrana Wouba, die an den Protesten teilgenommen hat, in Anspielung an die kleine Fläche der Republik – sie umfasst nur 8600 Quadratkilometer und ist nur etwa halb so groß wie Thüringen.
Glaubt man Bschanija, dann hat Russlands Präsident Wladimir Putin ihn persönlich im November 2020 darum gebeten, die Datscha zu übergeben. Aber nicht das Land. Putin, so Bschanija, sei 2013 auf der Datscha gewesen, um sich mit abchasischen Vertretern zu treffen. Er habe immer wieder die Unabhängigkeit und Selbstständigkeit betont und davon gesprochen gesagt, keine neuen Gebiete in Abchasien erwerben zu wollen.
Nach dem Treffen mit dem Botschafter hatte die Journalistin Tschaina allerdings einen anderen Eindruck bekommen. Putin wünsche ein Treffen auf der Datscha, aber »nicht wie auf dem Gebiet Abchasiens, sondern wie auf dem Gebiet Russlands«, erinnert sie sich und zitiert den Botschafter: »Putin braucht Pizunda«.
Der innenpolitische Druck in Abchasien ist aber groß. Mehrfach wurde dem Präsidenten mit einem Sturz gedroht, sollte er das Abkommen ratifizieren; immer auch in Erinnerung daran, dass er selbst seinen Amtsvorgänger 2019 durch Massenproteste aus dem Amt gejagt hat.
Noch immer ist keine Entscheidung über das Abkommen getroffen worden. Der Jurist Geserdawa findet diesen Schlingerkurs irritierend und vermutet dahinter den Versuch, die Wogen in der Gesellschaft glätten und abwarten zu wollen. Noch scheint Russlands Präsident auch keinen Urlaub in Pizunda machen zu wollen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.