Das verbotene Dorf muss weichen

Die Bewohner der selbstverwalteten Gemeinschaft Fraguas unterliegen der spanischen Justiz

  • Susanne Brust
  • Lesedauer: 4 Min.
Die Demonstrationen für den Erhalt von Fraguas wie hier in Madrid haben die Zerstörung nicht verhindern können.
Die Demonstrationen für den Erhalt von Fraguas wie hier in Madrid haben die Zerstörung nicht verhindern können.

»Nach zehn Jahren harten Kampfes vor Gericht […] haben wir entschieden, einen Schlussstrich unter das Projekt Fraguas Revive zu ziehen«, so lautet die traurige Bilanz der Besetzer*innen in einer Pressemitteilung vom 24. Februar. Damit steht das kleine Dorf Fraguas in der spanischen Provinz Guadalajara, etwa 120 Kilometer nordöstlich von Madrid, bald wieder leer.

In den 60er Jahren noch von mehreren hundert Menschen bewohnt, hatte das Franco-Regime das Dorf 1968 zwangsenteignen und räumen lassen. Über 40 Jahre stand Fraguas leer, bis im Jahr 2013 eine Gruppe junger Menschen das Gelände besetzte und die Häuser des Dorfs nach und nach wieder aufbaute. In Selbstverwaltung entstanden mehrere Wohnhäuser, ein Gemeinschaftshaus und eine Brauerei. Unter dem Motto »Fraguas Revive« (Fraguas lebt wieder auf) organisierte das Kollektiv Veranstaltungen über die Wiederbelebung des ländlichen Raums in Spanien, Wiederaufforstungswochen und Dorffeste.

Dieses Wiederaufleben findet nun sein trauriges Ende. Mit ihrer Entscheidung reagieren die Besetzer*innen auf ein Schreiben des zuständigen Landgerichts vom 11. Januar. Darin wurde das bereits vor Jahren gegen die jungen Menschen erhobene Urteil bestätigt: Sie müssen das Dorf nicht nur verlassen, sondern auch die Kosten für die Zerstörung der Bauten in Höhe von 110 000 Euro tragen. Tun sie dies nicht, müssen sechs Personen für zwei Jahre und drei Monate ins Gefängnis.

Im Jahr 2019 hatte ein Gericht sechs Personen wegen Aneignung öffentlichen Geländes und Verstößen gegen die Raumordnung verurteilt. Ein weiteres Verfahren wegen Umweltschädigung wurde zwar eingestellt. Doch auch der Regionalregierung von Castilla-La Mancha ist die Besetzung ein Dorn im Auge. Die Duldung der illegalen Bebauung ermutige weitere Menschen dazu, das Recht zu brechen, heißt es. In dem zum Naturpark erklärten Gebiet, in dem das besetzte Dorf liegt, lassen sich etwa 40 unbewohnte Dörfer finden, mit Fraguas ist es nun wieder eines mehr.

Ein Räumungstitel liegt bereits seit Mitte Dezember 2022 vor. Da die Regionalverwaltung mit weiteren Bußgeldern drohe, habe man beschlossen, das Dorf zu verlassen und sich der Geldstrafe zu stellen, erklärte das Fraguas-Kollektiv. Denn auch die rechtlichen Mittel sind ausgeschöpft: Nach einer gescheiterten Klage vor dem Verfassungsgericht (»nd« berichtete) hatte die Gruppe mit einem unabhängigen archäologischen Gutachten versucht, eine Räumung des Dorfes zu verhindern. Die Grundsteine des Dorfes Fraguas sind zwischen 800 und 1000 Jahre alt, eine Zerstörung würde also auch historische Teile beschädigen. Auswirkungen auf die Gerichtsentscheidung hatte das Gutachten jedoch nicht.

»Man hat weder auf die Stimme eines unabhängigen Archäologenteams gehört noch auf eine unabhängige Schätzung, die die Kosten für die Zerstörung deutlich geringer ansetzt als das Gericht«, kritisiert der Besetzer Gonzalo Aracil gegenüber »nd«. Da die hohe Summe auch mit dem Absitzen der Haftstrafe nicht verfallen würde, habe man sich dazu entschieden, die Geldstrafe zu begleichen. Dafür sammeln die Besetzer*innen über die Crowdfunding-Plattform Goteo Spenden. Dank solidarischer Unterstützer*innen sind in den vergangenen Jahren bereits 40 000 Euro zusammengekommen. Ehemalige Bewohner*innen stehen dabei genauso hinter dem Kollektiv wie Umweltschutzorganisationen und spanische wie internationale Wissenschaftler*innen.

Obwohl das Projekt Fraguas sein Ende findet, sieht die Gruppe auch ihre Erfolge: »Es hat dazu geführt, dass das Thema der Landflucht öffentlich thematisiert wird. Außerdem war es ein Sprungbrett für Menschen und Projekte, sich dem ländlichen Raum wieder zuzuwenden.« Die Landflucht gerade junger Menschen wird in Spanien zunehmend zum Problem. In der Provinz Guadalajara etwa leben 80 Prozent der Bevölkerung auf nur sechs Prozent der Fläche. Weite Teile der Gegend sind damit wie leergefegt – ein Phänomen, das auch als »España vaciada« (geleertes Spanien) bekannt ist. Während im ganzen Land über 2000 Dörfer leerstehen, sind die Mieten in den Städten gerade für junge Menschen unbezahlbar.

Gerade wegen dieses Ungleichgewichts habe man sich ein Einlenken der Regionalregierung gewünscht, erklärt Isa Turina Rodríguez aus dem Fraguas-Kollektiv im »Guardian«: »In einer Zeit, in der es für Menschen so schwierig ist, einen Ort zum Leben zu finden, hätten die Behörden doch aus einer Gruppe junger Menschen, die ein Dorf wiederaufbauen wollen, ihren Nutzen ziehen können. Stattdessen haben sie sich dafür entschieden, uns zu kriminalisieren.«

Das Ende von Fraguas ist damit auch kein gutes Zeichen für andere Landprojekte in Spanien. Dutzende verlassene Dörfer wurden im Laufe der vergangenen Jahrzehnte besetzt. Doch die Bewegung gegen Landflucht und für die Wiederbelebung des ländlichen Raums bleibt sich einig: »Wiederbesiedlung darf keine Straftat sein!«

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