Scholz-Rede: Über der »Zeitenwende« schwebt Wagenknecht

Regierungserklärung von Scholz wird zur Debatte über Berliner Friedensdemo vergangenes Wochenende

  • Robert D. Meyer
  • Lesedauer: 5 Min.
Auf der Demo am Samstag war Wagenknecht präsent, im Bundestag am Donnerstag dagegen abwesend.
Auf der Demo am Samstag war Wagenknecht präsent, im Bundestag am Donnerstag dagegen abwesend.

»Hat Wagenknecht dem Antrag eigentlich zugestimmt?«, fragt Ralf Stegner. Der SPD-Politiker spricht als erstes, nachdem Gregor Gysi die Debatte zum Antrag der Linksfraktion am Donnerstagmittag eröffnet hatte. Stegner ist bemüht, die von der Linken geforderte »Verhandlungsinitiative zur Beendigung des Krieges der Russischen Föderation gegen die Ukraine« differenziert zu betrachten, lobt ausdrücklich einzelne Inhalte, wie die Forderung nach einer diplomatischen Initiative, die er sympathisch finde. Dann aber sagt Stegner, der Antrag stehe im Widerspruch zur Demonstration am Samstag, gemeint ist die Kundgebung vor dem Brandenburger Tor, die federführend von Wagenknecht und Alice Schwarzer initiiert wurde. Zwar hatte weder die Linksfraktion noch die Partei die Linkspartei dafür mobilisiert, doch am Donnerstag müssen sich die Linke-Abgeordneten im Bundestag immer wieder Kritik anhören, sich nicht deutlich genug abgegrenzt zu haben, auch weil zahlreiche extrem rechte Gruppen zur Teilnahme am Samstag aufgerufen hatten. Am Ende waren auch AfD-Politiker, »Querdenker« und Rechtsextreme in Berlin dabei.

Stegners Eingangsfrage nach Wagenknechts Positionierung ist mehr als der übliche politische Schlagabtausch, sondern berührt einen wunden Punkt. Die Linke-Politikerin lässt sich am Donnerstag im Plenum nicht blicken – weder als am Vormittag Kanzler Olaf Scholz seine Regierungserklärung zu den Grundzügen seiner Ukraine-Politik abgibt noch am frühen Nachmittag, als es um den Antrag der Linksfraktion geht. Das könnte alles Ausdruck dessen sein, was sich für ein Konflikt innerhalb der Linksfraktion zuspitzt. Wie der »Spiegel« am Mittwoch berichtete, soll das Lager um Wagenknecht in der Fraktionssitzung den Antrag in seiner finalen Fassung abgelehnt haben. Auch zu dieser Debatte war die 53-Jährige nicht erschienen.

Was die Linksfraktion fordert? Einen sofortigen Waffenstillstand, eine diplomatische Initiative mit anschließenden Friedensverhandlungen unter der Einbeziehung von Staaten wie Brasilien, die sich bereits als Vermittler angeboten haben. Das formulierte Ziel: Rückzug der russischen Truppen sowie »die Souveränität, territoriale Integrität und Sicherheit der Ukraine«. Ebenfalls gefordert wurde eine Verstärkung der humanitären Hilfe. Ausdrücklich heißt es im Antragstext, verantwortungsvolle Politik müsse das Ziel verfolgen, den Krieg »schnellstmöglich zu beenden und eine weitere Eskalation zu verhindern«. Es folgt der Satz: »Das Selbstverteidigungsrecht der Ukraine ist davon nicht berührt.«

Chancen auf Zustimmung hatte der Antrag der Linksfraktion wenig überraschend nicht. Nach dem vierten Wortbeitrag, dem des CDU-Außenpolitikers Johann Wadephul, entglitt die bis dahin sachliche Debatte zunehmend inklusive einer SED-Anspielung des SPD-Abgeordneten Joe Weingarten gegen die Linksfraktion und Gleichsetzungsversuchen mit der extremen Rechten. Ähnliches hatte sich am Vormittag in der sich an die Regierungserklärung anschließenden Diskussion abgespielt. Vertreter*innen von SPD, Grünen, FDP und union kritisierten Die Linke. Ansatzpunkt dafür war meist die Kundgebung am vergangenen Samstag. Auch Scholz nahm darauf Bezug: »Man schafft auch keinen Frieden, wenn man hier in Berlin ›Nie wieder Krieg‹ ruft – und zugleich fordert, alle Waffenlieferungen an die Ukraine einzustellen.«

In diesem Abarbeiten an der Linken drohte der eigentliche Debattenanlass teils unterzugehen. Kanzler Scholz wollte nichts weniger, als etwa ein Jahr nach dem Einmarsch Russlands in der gesamten Ukraine eine Zwischenbilanz der von ihm ausgerufenen »Zeitenwende« zu ziehen, was nicht nur die Positionierung der Bundesrepublik im Krieg meint, sondern auch Perspektiven darüber hinaus. Vieles daran war wenig überraschend, wie etwa die Feststellung von Scholz, dass es keinen Friedensschluss über die Köpfe der Ukrainer hinweg geben dürfe.

Ebenso wiederholte der Kanzler das Ziel der Ampel-Koalition, künftig mindestens zwei Prozent des Bruttoinlandsprodukts für Verteidigung auszugeben, wozu sich alle Nato-Mitglieder verpflichten. »Diese Zusage, die ich hier am 27. Februar vergangenen Jahres gegeben habe, gilt.« Dass die Aufrüstung der Bundeswehr immer stärker aus deutscher Produktion erfolgen soll, stellte Scholz ebenso klar und warb für einen Ausbau der heimischen Rüstungsindustrie. »Wir brauchen eine laufende Produktion von wichtigen Waffen, Geräten und Munition«, so der Kanzler. Er führte aus, die Produktion erfordere »langfristige Verträge und Anzahlungen, um Fertigungskapazitäten aufzubauen«. So ließe sich in Deutschland eine industrielle Basis schaffen, »die ihren Beitrag leistet zur Sicherung von Frieden und Freiheit in Europa«.

Diesen von Scholz skizzierten Weg militärischer Aufrüstung teilt auch Unionsfraktionschef Friedrich Merz. Dem Chef der größten Oppositionspartei geht dies aber alles nicht schnell genug. Der CDU-Bundesvorsitzende forderte mehr Tempo im Hinblick auf die Ausrüstung und Modernisierung der Bundeswehr. Von dem nach dem Beginn des russischen Angriffskriegs gegen die Ukraine beschlossenen Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr seien bisher erst 600 Millionen Euro ausgegeben. »Und weitere Bestellungen lassen auf sich warten.«

Um konkrete Diplomatie ging es an diesem Tag im Bundestag auch. Scholz lobte und kritisierte zugleich die Rolle Chinas. Er begrüßte, dass sich Präsident Xi Jinping »unmissverständlich gegen jede Drohung mit Atomwaffen oder gar deren Einsatz im Krieg Russlands gegen die Ukraine« gestellt hat. Gleichzeitig forderte er Peking auf: »Nutzen Sie Ihren Einfluss in Moskau, um auf den Rückzug russischer Truppen zu drängen! Und: Liefern Sie keine Waffen an den Aggressor Russland!«

Der Rückzug Russlands aus der Ukraine ist auch Ziel der Linksfraktion. Gregor Gysi formulierte dazu einen Vorschlag: »Was halten Sie von folgender Idee: Mit Einverständnis der ukrainischen Führung könnte die Nato doch erklären, dass sie jetzt keine einzige Waffe mehr an die Ukraine lieferte, wenn die russische Führung einem Waffenstillstand zustimmte.« Er ist sich sicher: Das würde Moskau »beachtlich unter Druck« setzen.

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