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  • Philipp Staab »Anpassung«

Fortschritt war gestern

In seinem Buch »Anpassung« spürt der Soziologe Philipp Staab einem neuen Leitmotiv der krisengeschüttelten Zivilisation nach.

  • Peter Nowak
  • Lesedauer: 6 Min.
Die beste Anpassung ist, wenn man sich von der Umwelt gar nicht mehr unterscheidet. Verlangt das Leitbild der Anpassung eine solche Selbstaufgabe?
Die beste Anpassung ist, wenn man sich von der Umwelt gar nicht mehr unterscheidet. Verlangt das Leitbild der Anpassung eine solche Selbstaufgabe?

Sind Vorstellungen von Emanzipation und Fortschritt ein Auslaufmodell in einer Welt, die zunehmend an ihre Grenzen stößt? Das ist zumindest die Annahme, die der Soziologe Philipp Staab seinem aktuellen Buch »Anpassung – Leitmotiv der nächsten Gesellschaft« zugrunde legt. Während man in der Moderne noch glaubte, »die Welt ließe sich gestalten und der Fortschritt sorge quasi automatisch für ein besseres Leben«, schreibt Staab, würden die Krisen der Gegenwart eine andere Stimmung einläuten: »Erderwärmung, Wachstumskrise und subjektive Überlastungen haben diesen Optimismus erschüttert. Heute geht es in erster Linie darum, die Katastrophe abzuschwächen«.

Der historische Pessimismus, der sich hier Ausdruck verschafft, prägt Staabs gesamtes Buch. Entsprechend sind auch die von Staab in den Blick genommenen politischen Alternativen eher technokratischer Ausrichtung und von einer tendenziellen Absage an die Emanzipation geprägt. In einer Zeit, in der es um das nackte Überleben gehe, sei für die Utopie einer besseren Welt kein Platz mehr. Für Staab wirft diese Erschöpfung utopischen Denkens eine grundlegende Frage auf: »Wie aber soll man eine Gesellschaft beschreiben, die sich nicht primär von der Selbstentfaltung, sondern von Problemen der Selbsterhaltung her bestimmen muss? Deren Leitmotiv nicht Fortschritt, Emanzipation oder individuelle Freiheit, sondern Anpassung darstellt?« Anhaltspunkte und »erste Bilder von Gesellschaften, die sich von der rücksichtslosen Priorisierung des Selbstentfaltungsprogramms verabschiedet haben« findet der Autor in den gegenwärtigen Diskursen um das Konzept der Anpassung.

Anpassung statt Selbstentfaltung

Mit philosophischer Unterfütterung konstruiert Staab einen Gegensatz zwischen »Anpassung« und »Selbstentfaltung«, wobei er unter letzterer die menschliche Emanzipation an sich versteht. Für ihn stehen nicht nur jene Marotten der vergangenen Jahrzehnte, die Selbstentfaltung etwa darauf reduzierten, mit dem Flugzeug zum Clubbesuch nach Berlin zu jetten, zur Diskussion. Der Autor stellt mit seinen Thesen einen viel umfassenderen Begriff von Selbstentfaltung infrage, nämlich jene »moderne Semantik des Fortschritts, der Individualisierung, der Emanzipation und der Demokratisierung«. All dies erachtet er als nicht mehr tragbar, um die gesellschaftliche Gegenwart adäquat zu begreifen.

In seiner Herangehensweise nimmt der Autor Anleihen bei Ulrich Becks soziologischem Klassiker »Risikogesellschaft« aus dem Jahr 1986. Damals war es der Atomunfall von Tschernobyl, aber auch die Angst vor einem Atomkrieg, die Beck als Beweise für eine »sich selbst gefährdende« Zivilisation anführte. Bei Staab kommen nun die Klimakrise und die Erfahrungen der Corona-Pandemie hinzu, die eine »Selbsterhaltungsfragen umso dringender auf die Tagesordnung« stellen würden. Zur Beschreibung einer Gesellschaft, die primär von der Selbsterhaltung bestimmt sei, fallen Staab – mit Verweis auf die feministische Philosophin Eva von Redecker – ausgerechnet Pilze ein: Sie böten ein »Gegenmodell zum isolierenden Individualismus der Moderne«.

Es ist tatsächlich bezeichnend, dass selbst Philosoph*innen mit linkem Selbstverständnis als Vorbild für die menschliche Entwicklung eine nahezu unbewegliche Lebensform anführen, die faktisch der Gegensatz des flexiblen und weltentdeckenden Menschen ist. Ist damit etwa auch eine Absage an einen Begriff von Zivilisation verbunden, wie er im Umfeld der Frankfurter Schule stark gemacht wurde? Der Kritischen Theorie wie der gesamten materialistischen Theoriebildung zufolge fängt ja Zivilisation gerade da an, wo der Mensch der Natur nicht mehr hilflos ausgesetzt ist. Pilze hingegen gehören zu den Lebensformen, die am unmittelbarsten von ihrer natürlichen Umgebung abhängig sind. Was bedeutet es nun, gerade sie als Vorbild für die geforderte Anpassung des Menschen anzuführen? Soll die Menschheit sich den Naturverhältnissen schicksalsergeben beugen?

Keine Rede vom Kapitalozän

Es fällt auf, dass Staab in seinem Buch von den gesellschaftlichen Bedingungen des Kapitalismus, die erst zu der Klima- und Umweltkrise führen, nicht reden will. Der Begriff des Kapitalozäns kommt bei ihm nicht vor. Dieses Fehlen einer Kapitalismuskritik ist umso erstaunlicher bei einem Autor, der in mehreren Büchern über den digitalen Kapitalismus bereits beweisen konnte, dass er seinen Marx durchaus gelesen hat. Aber Staabs Kritik wendet sich gegen einen Pappkameraden, nämlich die bürgerliche Vorstellung, dass der Fortschritt automatisch für ein besseres Leben sorge. Dabei haben Linke die kapitalistischen Produktionsverhältnisse schon immer als Hindernis benannt, das letztlich überwunden werden muss, um den entscheidenden, wirklichen Fortschritt zu erreichen: ein gutes Leben für alle Menschen.

Die Fortschrittsdebatte wird aktuell etwa in der Klimabewegung wieder geführt. Staab aber nimmt die Klimaaktivist*innen, die für einen Systemwechsel auch zur Lösung der Klimakrise eintreten, nicht zur Kenntnis. Vielmehr bezieht er sich auf Positionen der vornehmlich bürgerlichen Umweltbewegung und vertritt, mit dem Verweis auf die Dringlichkeit der Klimakrise, eine technokratische Lösung, die möglichst von politischen Interessen verschont bleiben soll. Diese Technokratie spezifiziert er durch unterschiedliche Adjektive, »protektiv« etwa soll sie sein, und verweist darauf, dass sie »keineswegs die entpolitisierte Herrschaft kapitalistischer Sachzwänge« sein müsse. Die Vertreter*innen einer Herrschaft der Sachzwänge rühmten sich allerdings schon immer damit, die reine Vernunft und keinesfalls kapitalistische Interessen zu vertreten.

An diesen Schwachstellen ändert auch nichts, dass Staab im letzten Kapitel – wohl als Reminiszenz an seine marxistische Digitalismuskritik – das Projekt Cybersyn anführt: ein Kybernetik-Projekt aus der Zeit der sozialistischen Allende-Regierung in den Jahren 1971 bis 1973, das als Informationssystem für beschleunigte Planungsentscheidungen etabliert werden sollte. Es ist ein Lieblingsbeispiel linker Kybernetiker*innen und auch Staab führt es in seinem Kapitel »Protektive Technokratie« für einen positiven Bezug auf die Kybernetik an. Doch Cybersyn ist keineswegs jenes Vorzeigemodell einer Technokratie, wie Staab es darstellt. Vielmehr war das Projekt Teil des Klassenkampfs in der Endphase Allendes in Chile, mit dem die Linken 1972 versuchten, den Streik von Fuhrunternehmern zu neutralisieren. Nach dem rechten Militärputsch in Chile wurde das Projekt Cybersyn sofort beendet, die Anlagen zerstört und die Protagonist*innen verfolgt.

»Demokratisierung im Sinne einer Erweiterung deliberativer Beteiligungsverfahren oder subpolitischen Aktivismus bilden im Feld nicht das anvisierte Programm … Expertise und die Erweiterung von Handlungsspielräumen sind die entscheidenden Parameter«, formuliert Staab sehr allgemein einen Grundsatz der kommenden Lösungsansätze. Er erwähnt nicht, dass damit auch eine klare Absage an Klimaaktivist*innen verbunden ist, für die eine Technokratie – mit welchen Adjektiven auch immer versehen – keine Antwort auf die Klimakrise ist.

Von der Klimakrise zur Corona-Pandemie

Auch die Corona-Pandemie wird von Staab thematisiert, um daraus politische Schlussfolgerungen zu ziehen. In einem Kapitel bezieht sich der Autor auf Zitate aus einer (nicht repräsentativen) Umfrage, in der Menschen zum Umgang mit der Pandemie befragt wurden. Die Personen klagten sowohl über Staatsversagen als auch über »zu viel« Demokratie. Manche der Interviewten plädierten für längere Legislaturperioden, andere für eine Regierung, die dem Parteienstreit enthoben ist. In solchen Aussagen finden sich eindeutig Elemente autoritärer Lösungsansätze, die Staab aber nicht als solche benennt. Vielmehr führt er sie an, um eine der Politik enthobene Technokratie zu plausibilisieren.

Es ist zu hoffen, dass die Vision des Buches eine Diskussion auslöst – an der sich auch Klimaaktivist*innen beteiligen, die angesichts der Klima- und Umweltkrise eben nicht einer Technokratie das Wort reden. Das Buch macht aber auch deutlich, dass eine linke Kritik an Kapital und Herrschaft heute vielfach fehlt. Gerade sie müsste sich aber in der Kritik an Staabs Thesen bewähren und deutlich machen, dass der Spätkapitalismus nicht das Ende der Menschheit bedeuten muss, solange sich genügend Gegenkräfte für eine andere Gesellschaft mobilisieren lassen. Staabs technokratische Vorstellungen tendieren allerdings eher dazu, die Zumutungen für die große Mehrheit der Menschen auch mit dem Verweis auf die Klimakrise der demokratischen Diskussion zu entheben.

Philipp Staab: Anpassung. Leitmotiv der nächsten Gesellschaft. Suhrkamp, 239 S., br., 18 €.

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