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Trügerische Idylle

Im Film »Die Eiche – mein Zuhause« geht es ein bisschen zu harmonisch zu

  • Gunnar Decker
  • Lesedauer: 5 Min.
Jagd im Film vergeblich: die Schleiereule.
Jagd im Film vergeblich: die Schleiereule.

Er steht frei am Waldrand, vor ihm ein See. Hier kann seine Krone ungehindert nach oben und zur Seite hin wachsen. Waagerechte dicke Äste, vielleicht zwanzig Meter lang. Wie seltsam, dass unsere Sprache dem Baum wie einem König eine Krone aufsetzt.

Dieser 210 Jahre alte Baum (also noch relativ jung für eine Eiche), ist sein eigenes Biotop. Musikalisch sind Bäume ohnehin längst Stars, auch wenn die Songs »Mein Freund der Baum« von Alexandra oder »Alt wie ein Baum« von den Puhdys schon etwa ein halbes Jahrhundert alt sind. Damals gab es die Grünen als Partei noch nicht und das Waldsterben begann erst. Heute zeigen sich die Grünen von Kriegstechnik stärker fasziniert als vom Wunderwerk Baum. So ändern sich die Zeiten. Darum wurde es nun wohl Zeit für diesen Film von Laurent Charbonnier und Michel Seydoux, der eine Hymne an den Baum ist.

Filmisch ist »Die Eiche – mein Zuhause« zweifellos etwas, das man so noch nicht sah. Mit Mikrokameras blicken wir in sein Inneres, zwängen uns mit Waldmäusen und Eichhörnchen in jeden noch so engen Spalt. Mal geht es direkt unter die Rinde des knorrigen Baums, mal zwischen seine Wurzeln, wo im Zeitraffer Pilze neues Myzel ausbilden. Ein unheimliches weißes Gespinst.

Text gibt es keinen, dieser Film gehört dem Wind, dem Regen, den erst grünenden, dann fallenden Blättern und denen, die mit der Eiche auf ihre Weise zusammenleben, wie die Rehe und Hirsche, die es auf die Eicheln abgesehen haben. Dem Regenguss folgt ein Sturzbach ins Labyrinth der Gänge, die Mäuse flüchten vor dem Wasser auf höher gelegene Stellen im Baum. Die Eicheln fallen wie überreife Früchte mit einem sanften Aufschlag zu Boden, die Maden darin bleiben unverletzt und kämpfen sich ins Freie. Seltsam, sogar eine mehlige Made hat ein Gesicht, sogar ein ausdrucksvolles, mit ihren stecknadelgroßen dunklen Augen hält sie Ausschau nach dem nächstgelegenen Schutz. Dann kommen die Wildschweine und reiben sich an der knorrigen Borke. Es scheint ihnen ein wahrer Genuss zu sein. Eine Schlange klettert die Äste empor, hat den Vogelnachwuchs in einem Nest vor Augen. Sie rückt immer näher heran, aber die Vogeleltern attackieren sie, der dünne Ast bricht und die Natter stürzt ins Wasser.

Das ist der Vorzug des Films: Die Kamera bleibt immer dicht dran und die Tiere stört deren Anwesenheit offensichtlich nicht, sonst würden etwa die Nager sich nicht so ausgiebig putzen und dann friedlich schlafen legen – das wirkt fast menschlich. Manchmal blickt die Kamera aber auch von ganz oben, vom hohen Himmel herunter auf die Eiche, die dann wie ein grüner Pilz aussieht.

Gesprochen wird hier nicht ein Wort, denn dies ist keine Reportage, sondern ein Kunstprodukt. Kein Kommentar soll offenbar den Bildfluss stören. Dass »Die Eiche« einen eigenen Rhythmus hat, steht außer Frage. Aber als irgendwie doch bildungsbürgerlich geprägter Betrachter fehlen mir dann doch die Erläuterungen. Was tun diese Tiere hier in und auf der Eiche, wie leben sie zusammen und wer jagt wen in dieser scheinbaren Idylle?

Auch beginnt der Klangteppich im Hintergrund irgendwann zu nerven. Was etwa soll uns Händels Klage-Arie »Lascia ch´io pianga« (»Lass mich mit Tränen mein Los beklagen«) sagen? Wo doch den ganzen langen Naturfilm über kein noch so kleines Tier zu Schaden kommt! Frieden überall. Wie gemacht zur Tiefenentspannung. Da wäre es unpassend, wenn einer den anderen frisst, was durchaus vorkommen soll. Vor allem die Mäuse scheinen gefährdet. Sie ahnen das und huschen schnell umher. Aber hier, das hätte man auch in den Abspann schreiben können, ist während des Drehs kein Tier zu Schaden gekommen. Dumm bloß für die Füchse, die Natter und die Schleiereule, denen wir nur bei vergeblichen Jagdversuchen zuschauen. Daumendrücken für Mäuse und Eichhörnchen als Sympathieträger! Sollen die Räuber zur Strafe doch verhungern.

So bekommt die Waldwelt rund um die Eiche so softe Züge wie eine Waldorfschule. Man kann das gediegenen Kitsch nennen oder aber eine verlogen moralisierende Sicht auf die brutale Natur, die dennoch Schönheit besitzt. Aber für manchen ist es gewiss schon ein Ereignis, einem Tier in seinem Alltag längere Zeit zuzuschauen. Für den ist dieser filmische Paradiesgarten gewiss ein Gewinn.

Man kann sich aber auch Hermann Hesses kleinen Text »Bäume« vornehmen, worin der Wanderer aus Passion seine Ehrfurcht vor den knorrigen Riesen bekundet. Für den Autor beten die Bäume, aber zu wem? Oft stehen sie allein gegen eine Welt, die sie mit Stürmen schüttelt und an Wintertagen mit Schnee und Eis traktiert. Aber sie halten sich mit tiefen Wurzeln beharrlich im Boden fest und heben ihr Krone genanntes Haupt trotzig hoch in den Himmel. Ein Sinnbild des Lebens, oder wie Hesse schreibt: »Wer gelernt hat, Bäumen zuzuhören, begehrt nicht mehr, ein Baum zu sein. Er begehrt nichts mehr, als was er ist. Das ist Heimat. Das ist Glück.«

»Die Eiche – mein Zuhause«, Frankreich 2022. Regie: Laurent Charbonnier und Michel Seydoux. 80 Min. Jetzt im Kino.

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