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Lehrkräftebildung auf dem Prüfstand
Bündnis kritisiert Intransparenz bei Verhandlungen zu Hochschulverträgen
Bei der Berliner Bildungskampagne »Schule muss anders« ist man massiv verärgert. Nur durch Zufall habe man erfahren, dass sich der Senat und die Hochschulen an diesem Freitag treffen wollten, um hinter verschlossenen Türen über die Zukunft der Lehrkräfteausbildung zu verhandeln, sagt Mitinitiator Philipp Dehne. Das sei ein klarer Bruch der eigentlichen Zusagen aus dem Haus der noch amtierenden Wissenschaftssenatorin Ulrike Gote (Grüne), heißt es von den Bildungsaktivisten.
Tatsächlich hatte Gotes Staatssekretärin Armaghan Naghipour (parteilos, für Grüne) für die anstehenden Verhandlungen zu den Hochschulverträgen 2024 bis 2028 mit Blick auf das Thema Lehrkräftebildung noch im Januar mehr Transparenz als in der Vergangenheit versprochen. »Es geht ja um Beteiligung, es geht darum, dass man Transparenz schafft«, hatte Naghipour öffentlich erklärt.
Dass man nun übergangen werde, gehe nicht an – nicht am Freitag und auch sonst nicht, sagt Dehne: »Die Frage, wie viele Lehrkräfte für die Schulen an den Hochschulen ausgebildet werden, betrifft immerhin ein öffentliches Gut – und deswegen muss es auch öffentlich verhandelt werden.«
In der Wissenschaftsverwaltung von Senatorin Gote kann man die Aufregung nicht nachvollziehen. »Wir begrüßen den fachlichen Input aus der Zivilgesellschaft und werden die Positionen und Argumente auch mitbedenken«, sagt Gotes Sprecher Hans-Christoph Keller »nd«. Es habe hierzu ja auch bereits einen intensiven Austausch gegeben. Über die Verhandlungen werde es zudem regelmäßige Berichte im Wissenschaftsausschuss des Abgeordnetenhauses geben, der schließlich öffentlich tage. Was sich aber von selbst verstehe, so Keller weiter: »Die Verhandlungen zu den Hochschulverträgen finden zwischen den Vertragspartner*innen – Senat und Hochschulen – statt und sind vertraulich.«
Genau diese Vertraulichkeit sorgt bei der Kampagne »Schule muss anders« für Unbehagen. Angesichts des gravierenden Lehrkräftemangels an den Schulen fordern Dehne und seine Mitstreiter schon seit langem, dass in den Hochschulverträgen eine Zielzahl von 3000 Lehramtsabsolventen im Jahr festgeschrieben wird. Anders wäre der wachsende Lehrkräftebedarf nicht zu decken.
Aktuell sollen die Hochschulen 2000 Absolventen jährlich ausbilden. Das Problem: Nicht einmal das können sie gewährleisten. Im vergangenen Jahr verließen lediglich etwas mehr als 900 Lehrkräfte Berlins Hochschulen. Die Hochschulen wiederum stehen einer Erhöhung der Zielzahl durchaus skeptisch gegenüber und verweisen neben einer schon jetzt vorhandenen Höchstauslastung in manchen Bereichen vor allem auf offene Finanzierungsfragen.
Dana Löscher studiert Lehramt im Master an der Humboldt-Universität. Sie macht für die fortgesetzte Mangelwirtschaft dabei nicht zuletzt die mehr als schwierigen Studienbedingungen verantwortlich. Überfüllte Kurse, fehlende Seminarplätze, monatelanges Warten auf die Betreuung von Haus- oder Abschlussarbeiten: Das alles sei hausgemacht. Denn es fehlten eben nicht nur Lehrer an den Schulen, sondern auch Dozenten in den Lehramtsstudiengängen, sagt Löscher: »Für mehr Studierende braucht es einfach auch mehr Dozierende.« Dass das wiederum nicht zum Nulltarif zu haben sei, liege auf der Hand.
Dass den Hochschulen im vergangenen Jahr für die Lehrkräftebildung 2023 insgesamt 17 Millionen Euro zusätzlich zugesprochen wurden, sei ja »ein erster guter Schritt, aber nicht genug«, sagt Löscher. Die Mittel müssten verstetigt werden – und das voraussichtlich bis zum Jahr 2043. Es brauche endlich eine langfristige Planung. Dehne sagt: »Viele haben offenbar noch nicht erkannt, dass wir uns in einer Bildungskrise befinden.«
Die Berliner Linke stellt sich unterdessen – einmal mehr – an die Seite von »Schule muss anders«. In einem am Dienstag im Abgeordnetenhaus eingereichten Antrag fordert sie, nicht nur die 17 Millionen Euro langfristig abzusichern. Auch spricht sich die Linksfraktion dafür aus, dass in den Hochschulverträgen »verbindliche bedarfsdeckende Zielzahlen« in Höhe von mindestens 3000 Absolventen jährlich festgeschrieben werden. Und: »Es müssen Anreize und Sanktionsmechanismen für das Erreichen beziehungsweise Verfehlen der festgesetzten Zielzahlen vereinbart werden.«
»Wir können es uns nicht länger leisten, dass das Land Berlin weiter unterhalb des Bedarfs ausbildet«, sagt Franziska Brychcy, die bisherige und wohl auch künftige bildungspolitische Sprecherin der Linksfraktion. Die von SPD, Grünen und Die Linke begonnene Ausbildungsoffensive müsse sowohl von der noch amtierenden Wissenschaftssenatorin als auch von ihrer Nachfolgerin oder ihrem Nachfolger »engagiert fortgesetzt werden«. Es gehe darum, so Brychcy, »die Weichen für eine bedarfsgerechte Lehrkräfteausbildung zu stellen und die Finanzierung der Lehrkräfteausbildung langfristig zu absichern«.
Von den Koalitionären in spe ist hierzu vorerst wenig Konkretes zu hören. Im Bericht der SPD-Sondierungsgruppe heißt es zu den mit der CDU gefundenen »Schnittmengen« kurz und knapp: »Berlin wird deutlich mehr Lehrkräfte ausbilden, um den wachsenden Schülerzahlen gerecht zu werden.« Fast wortgleich steht es im internen Papier des CDU-Teams.
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