Wagenknecht und Schwarzer: Charakter eines nationalistischen Projekts

Die Analysen von Sahra Wagenknechts und Alice Schwarzers Mobilisierung gehen am Charakter des Projekts vorbei

  • Daniel Keil
  • Lesedauer: 7 Min.

Am 6. März 2023 äußerte der Journalist Justus Bender in der »Frankfurter Allgemeine Zeitung« seine Sorge um ein verbogenes Hufeisen: Der AfD-Ehrenvorsitzende Alexander Gauland sei voll des Lobes für Sahra Wagenknecht und überhaupt gebe es mittlerweile so viele Gemeinsamkeiten zwischen »ganz Rechten und ganz Linken«, da die AfD wie die Linkspartei auf die Arbeiter*innenklasse zielten. Die Ränder des politischen Spektrums – das der bürgerlichen Öffentlichkeit oft wie ein Hufeisen erscheint – berührten sich nun, ein Kreis habe sich geschlossen.

Vor einem solchen Schulterschluss wurde spätestens seit den Sozialprotesten des vergangenen Herbstes mit dem Schlagwort »Querfront« gewarnt. Daran ist nicht nur die extremismustheoretische Vorstellung problematisch, Linke wie Rechte würden sich in ihrer Abkehr von der bürgerlichen Mitte gleichen. Bei genauerem Hinsehen zeigt sich auch, dass der Begriff der Querfront das politische Phänomen der jüngsten Proteste nicht trifft. Wie aber lassen sich die regressiven Verbindungslinien von Wagenknecht bis Friedensbewegung verstehen?

Querfront für den Frieden?

Im Anschluss an die Veröffentlichung des »Manifests für den Frieden« von Sahra Wagenknecht und Alice Schwarzer und die von ihnen initiierte Kundgebung vom 25. Februar in Berlin haben sich die Debatten um die Bildung einer Querfront verschärft und ausgeweitet. Anlass dafür waren die verschiedenen politischen Spektren, die sich auf der Demonstration versammelten, zu der auch einige einschlägig rechte Kanäle aufgerufen hatten. Die Teilnehmer*innen kamen aus der Friedensbewegung, dem Umfeld der Querdenken-Partei Die Basis, aber auch AfD-Mitglieder und Jürgen Elsässer waren unter ihnen, sowie nach Eigenangaben das Verlegerpaar Götz Kubitschek und Ellen Kositza, die auf der Homepage der neurechten Zeitschrift »Sezession« einen Bericht über die Kundgebung veröffentlichten.

Diese Gemengelage ergab sich aus der Haltung der Organisatorinnen, Kritik an der Offenheit gegenüber rechten Akteur*innen als Diffamierung der Bewegung abzutun und zugleich in Person von Oskar Lafontaine eine spektrenübergreifende Einladung auszusprechen. Lafontaine sagte in einem Interview auf der verschwörungsideologischen Plattform Punkt Preradovic kurz vor der Kundgebung, wenn man die Distanzierung gegenüber AfD-Politikern wie Tino Chrupalla so interpretiere, das AfD-Wähler*innen nicht willkommen seien, sei dies »völliger Blödsinn«. Auf der Kundgebung selbst wies Alice Schwarzer den Vorwurf der Rechtsoffenheit zurück, um im gleichen Atemzug die Einteilung des politischen Spektrums in links und rechts für obsolet zu erklären. Man solle sich an seinen Taten messen lassen und nicht an »leeren, ausgehöhlten Etiketten«.

Ein Hinweis darauf, warum eine solche Konstellation so attraktiv für viele Menschen ist, findet sich bei den sogenannten Montagsdemonstration in Gera und Chemnitz. Dort fand eine Studie des Progressiven Zentrums durch Interviews mit 200 Teilnehmenden heraus, dass es den Demonstrant*innen in erster Linie nicht um die vermeintlich überparteiische soziale Frage geht, sondern um die Artikulation einer nationalistischen Vorstellung von Gesellschaft. Elemente dieser Haltung sind die Ablehnung politischer Parteien und ein Wunsch nach Unmittelbarkeit, also ein autoritäres und antiliberales Demokratieverständnis, sowie Russlandbezogenheit. Den Befragten dienen diese Elemente zur Interpretation der Vielfachkrise der letzten Jahre, der sie mit einem antiwestlichen Nationalismus und einer allgemein von der Blockkonfrontation des Kalten Krieges geprägten Denkform begegnen. Die Politikerin, der die Befragten am ehesten Lösungen für die aktuellen Herausforderungen zutrauen, ist Sahra Wagenknecht, noch vor der AfD-Politikerin Alice Weidel.

Die Coronakrise zeigt sich dabei als Phase, in der verschiedene politische Milieus, von Esoteriker*innen, Impfskeptiker*innen bis zu extrem rechten Strömungen, zusammenfanden. Die AfD versuchte bisher nur mäßig erfolgreich, dieses heterogene Spektrum an sich zu binden. Sichtbar wird dennoch die rechte Strategie: Die nationalistischen Teile aller politischen Gruppen sollen aktiviert und autoritär vereint werden. Dabei werden die Versatzstücke der ideologischen Artikulationen nicht mittels Analyse der gesellschaftlichen Gegenwart kritisch bearbeitet, sondern jeweils verstärkt. Es ist leicht zu erkennen, dass die Kundgebung von Schwarzer und Wagenknecht von einer vergleichbaren Strategie getragen war.

Sehnsucht nach Souveränität

Die Initiative von Wagenknecht und Schwarzer muss daher als Versuch gedeutet werden, ein neues nationales politisches Projekt zu begründen. Ein solches ist mit dem Begriff der Querfront tatsächlich nur unzureichend erfasst. Mit Projekt ist an dieser Stelle gemeint, dass politische Strategien und Ideologien in einer gesellschaftlichen Krisen- und Konfliktsituation intellektuell zusammengeführt und zugleich als legitime politische Positionen in diesem Kampffeld aufgestellt werden. Dabei müssen Akteur*innen eines Projekts nicht unmittelbar zusammenarbeiten. Vielmehr geht es darum, dass ähnliche strategische Überlegungen an Kristallisationspunkten in einer politischen Kraft vereint werden. Die Kundgebung und das Manifest sollten einen solchen Kristallisationspunkt schaffen.

Im Mittelpunkt der hier artikulierten Vorstellungen steht dabei keine soziale, sondern eine nationalistische Position. Die Nation wird zum Zentrum gesellschaftlicher Auseinandersetzungen gemacht und dabei affirmiert. Krisen des globalen Kapitalismus und der globalen Politik werden so vor dem Hintergrund einer den gesellschaftlichen Verhältnissen nicht mehr angemessenen Unterscheidung zwischen nationalem Innen und internationalem Außen gedacht. Die materialistische Staatstheorie hat indes schon in den 70er Jahren herausgearbeitet, dass Inter- und Transnationalisierungsprozesse nicht in solchen Gegensätzen, sondern als komplexe Verflechtungen verschiedener räumlicher Politikebenen verstanden werden müssen. Im neuen nationalistischen Projekt wird jedoch weiterhin die Zweiteilung des Kalten Krieges übernommen, wahlweise mit den USA (die selbstverständlich eine politische und ökonomische Macht sind) oder gar mit einzelnen Akteuren als alleinige und äußere Problemverursacher.

Dass sich in diesen transnationalen Verflechtungen auch die Klassenverhältnisse maßgeblich verändert haben, wird in einer solchen Vorstellung konsequenterweise ausgeblendet. Anstelle einer Klassenanalyse auf der Höhe der Zeit wird hierbei nur die nationale Arbeiter*innenschaft zum Ziel der eigenen Politik. Hintergrund dieser Annahme sind zwei intellektuelle Entwicklungen, die in der neuen nationalistischen Position zusammenkommen: Zum einen findet sich eine nostalgische Verklärung des fordistischen Nationalstaats, der als schützender Staat behauptet wird, in dem der Kapitalismus domestiziert gewesen sei. Zum anderen wird die Souveränität des Nationalstaats zum einzigen Ort der Demokratie verklärt.

Schulterschluss Nationalismus

Eine linke Propagierung der Souveränität des Nationalstaats bildet die Schnittmenge mit rechten Ideologien. Dies zeigte sich etwa auch an einer linken Verteidigung des Brexit von Bill Mitchell und Thomas Fazi, die dazu auf den englischen Historiker John Laughland zurückgriffen. Laughland behauptete, die EU sei als direktes Ergebnis aus den Europa-Plänen der Nazis hervorgegangen, und vertrat diese These auch bei der sogenannten Souveränitätskonferenz des extrem rechten Magazins »Compact«. In wissenschaftlichen Arbeiten mit dieser Argumentation wird zudem auf ein konservatives demokratietheoretisches Argument zurückgegriffen, das vor allem gegen Jürgen Habermas’ Versuche der Begründung einer supranationalen Demokratie in Anschlag gebracht wurde: Der Demos brauche eine nationale Identität und er müsse dafür homogen sein.

Wagenknecht bringt diese Positionen in ihrem letzten Buch »Die Selbstgerechten« zusammen, wenn sie behauptet, eine Demokratie brauche mehr Gemeinsamkeit als eine geteilte Sprache und dafür reiche auch ein Bekenntnis zum Grundgesetz nicht aus. Folgerichtig versteht sie den Nationalstaat als Schutzraum vor Globalisierung und Migration. Ausgeblendet wird dabei, dass auch der fordistische Nationalstaat für viele keinen Schutzraum bot, sondern durchzogen war von Gewalt und Marginalisierung. Die Behauptung des Nationalstaats als Schutzraum bringt nicht nur vergangene und gegenwärtige Kämpfe von beispielsweise Frauen, LGTBQI*s und Migrant*innen zum Verschwinden, sondern verunmöglicht damit auch eine kritische Aufarbeitung linker Versäumnisse in vergangenen Kämpfen. Die nationale Brille des Klassenkampfs reproduziert die Ausschlüsse migrantischer Arbeiter*innen durch rassistische Setzungen.

Nationalismus bietet auch eine Verbindung zu »Querdenker*innen« und autoritären bis verschwörungsideologischen Teilen der Friedensbewegung, die gesellschaftliche Entwicklungen nur im Rahmen einer dichotomen, antiwestlichen und antiliberalen Sichtweise artikulieren. Auch diese Anschlussfähigkeit tendenziell linker Milieus weist auf ein Versäumnis hin: Teile des linken Spektrums haben die Entwicklungen in der Friedensbewegung nicht kritisch aufgearbeitet sowie ein uneindeutiges bis affirmatives Verhältnis zum esoterischen Spektrum gepflegt.

Den Rechten nicht auf den Leim gehen

Die fluide gewordenen Milieus in der Vielfachkrise unter dem Banner der Nation zu vereinen, entspricht im Kern einer alten rechten Strategie. Bereits die konservativ-faschistische Zeitung »Die Tat« betonte 1933 die Aktivierung der rechten Teile aller Parteien. Es verwundert daher wenig, dass antirassistische, antitransphobe und Klimabewegungen vom neuen nationalistischen Spektrum als »Marotten« abgetan werden. Zugleich ist es zu einfach, von einer neuen Querfront zu sprechen, denn es sind viel mehr als Linke und (Neu-)Rechte, die dort vereint werden sollen. Politische Praxis, die einer nationalistischen Logik folgt, stärkt nur die Rechte. Aufgabe einer linken Kraft wäre es dagegen, die eigenen Denkformen, Begriffe und die eigene Praxisgeschichte kritisch aufzuarbeiten und angesichts dramatisch veränderter globaler Verhältnisse auf ihre Tauglichkeit zur Analyse der Gegenwart zu überprüfen. Diese Arbeit steht noch am Anfang.

Daniel Keil ist Gesellschaftswissenschaftler, lebt und arbeitet hauptsächlich in Frankfurt und Köln. Seine Arbeitsschwerpunkte sind materialistische Staatstheorie, kritische Theorie, kritische Europaforschung und die extreme Rechte.

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