GroKo in Berlin: 30 Spuren ins Glück

Andreas Koristka über Berlins Zukunft als schwarz-rote Autobahnhauptstadt

Langsam kommt der Frühling und mit den ersten Sonnenstrahlen weckt er die alten zärtlichen Gefühle zwischen CDU und SPD, die in einer Kältestarre ausharren mussten. In Berlin verhandeln beide Parteien gerade über eine Große Koalition. Das ist erfrischend nach Jahren der Stagnation. Denn im Streit des rot-grün-roten Senats blieben wichtige Entscheidungen auf der Strecke.

Am schlimmsten hatte es den Weiterbau der Stadtautobahn getroffen, gegen den sich besonders die Grünen und Die Linke sträubten. Sehr zum Unmut der Bauenthusiastin Franziska Giffey, durch deren Adern Flüssigbeton fließt. Aus ihrer Leidenschaft hat sie nie ein Hehl gemacht. Schon früh forderte sie ihre Genossen auf, sich an Leuten auszurichten, die wollen, dass die Stadt funktioniert, die ihren Job machen und früh aufstehen, weil sie vom Autobahnlärm geweckt werden.

Andreas Koristka (Print)
Autorenfoto von Andreas Koristka am Donnerstag, den 10. Oktober ...
Andreas Koristka ist Redakteur der Satire-Zeitschrift Eulenspiegel. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter: dasnd.de/koristka

Aber auch wenn Giffey mit der CDU von Kai Wegner einen Partner hat, der weit besser zu ihr passt als die verlausten Drückeberger von Grünen und Linken, hat sie ein Problem. Denn der Bau von Autobahnen, die Grundlage des deutschen wirtschaftlichen Aufstiegs, ist in Gefahr. Wenn der Autobahnbau weiter voranschreitet wie in den letzten 90 Jahren, ist nach derzeitigen Berechnungen bis zum 14. Juni 2055 jede theoretisch mögliche Trasse in Deutschland gebaut. Der Bau von Autobahnen wäre an diesem Tag abgeschlossen und die BRD würde kollabieren – mit den bekannten Folgen wie Massenarbeitslosigkeit, Armut und flächendeckendem Kannibalismus.

Um diesen Punkt hinauszuzögern, muss man kreativ sein. Wie gut, dass die Verhinderer im Berliner Senat die vielleicht reizvollste Baulücke Europas hinterlassen. Es ist nun die Gelegenheit für Schwarz-Rot, deren Potenzial voll auszureizen. Die Rede ist vom Tempelhofer Feld, wo sich derzeit noch Fuchs und Hipster »Gute Nacht« sagen. Es wäre ein schöner Gewinn für die Stadt, wenn Wegner und Giffey beschließen würden, dass dieser Ort die modernste Autobahn des Planeten wird. Dank ihrer 30 Spuren könnte man nicht nur den Friedhof Columbiadamm von der Hundewiese III aus in weniger als drei Minuten erreichen, sie würde auch der Berliner Wirtschaft eine gewisse Planungssicherheit geben.

Damit diese Sicherheit bestehen bleibt, könnte nach Fertigstellung der Autobahn eine neue Autobahn darüber gebaut werden. Danach noch eine usw. usf. Nach oben ist ja nahezu unbegrenzt Platz. Im Lauf der Jahrzehnte würde ein neues monumentales Wahrzeichen Berlins entstehen – mit allen positiven Aspekten für den Tourismus. Aus der ganzen Welt werden sie in Scharen anreisen und man wird ihnen von den Visionären Wegner und Giffey berichten. Das winzige Problem mit den von englischen Männern besetzten Bierbikes auf der Überholspur wird von illegalen Rennfahrern gelöst werden.

Finanziell rechnet sich die Sache auch. Allein die Milliardenerlöse aus der Rastplatztoilettenverpachtung werden den Berliner Haushalt bis zum Jahr 2030 komplett entschulden. Berlin wird zum Geberland. An manchen Sonntagen wird Franziska Giffey am Straßenrand stehen und den Vorbeifahrenden freundlich aus ihrem Chanelkostümchen heraus zuwinken. Aus den Autos wird man ihr Blumen und Handküsse zuwerfen. Eine Stadt, die zu zerreißen drohte, wäre endlich mit sich selbst versöhnt.

Angesichts solcher Aussichten scheint es unwahrscheinlich, dass die SPD-Mitglieder sich der Koalition mit der CDU verweigern. Denn sie haben die einmalige Chance, Teil eines Jahrtausendprojektes zu sein.

Andreas Koristka ist Redakteur der Satire-Zeitschrift Eulenspiegel. Für »nd.DieWoche« schreibt er alle zwei Wochen die Kolumne »Betreutes Lesen«. Alle Texte unter: dasnd.de/koristka

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