»Wir stehen als Friedensgarant bereit«

Jairo Yanakuna organisiert im Westen Kolumbiens den Selbstschutz der indigenen Völker

  • Interview: Sara Meyer, Popayán
  • Lesedauer: 5 Min.
Beerdigung von CRIC-Anführer und Farc-Opfer Jose Albeiro Camayo am 24. Januar 2022
Beerdigung von CRIC-Anführer und Farc-Opfer Jose Albeiro Camayo am 24. Januar 2022

Mindestens 7000 Indigene aus elf Gemeinschaften des Cauca, einer Region in Westkolumbien, sind dieser Tage zusammengekommen, um das 52-jährige Bestehen des Regionalrats CRIC zu feiern. Was sind aktuell die größten Herausforderungen in den indigenen Territorien?

Interview

Jairo Yanakuna, der in seiner Kultur als »Geist der Berge« bezeichnet wird, ist der politische Führer der guardía indígena (indigene Wache), die für die Sicherheit in den indigenen Territorien Westkolumbiens sorgt und bei Konfrontationen mit bewaffneten Akteuren wie den Paramilitärs oder Guerillas deeskaliert.

Derzeit leidet die indigene Bevölkerung in Westkolumbien unter Konfrontationen zwischen Guerillas. Ehemalige Farc-Kämpfer*innen und die Rebellen der Nationalen Befreiungsarmee (ELN) liefern sich bewaffnete Kämpfe um die Vorherrschaft in unseren Territorien. Die beiden aufständischen Gruppen rekrutieren außerdem junge Menschen unter Zwang oder locken sie mit Prestige und guter Bezahlung. Das hat sich mittlerweile als Strategie der hier aktiven bewaffneten Akteure etabliert. Auch die Präsenz des staatlichen Militärs macht uns Sorgen und Probleme, da einige Angehörige der Einheiten korrupt sind und gegen Bezahlung den Drogenbossen freies Geleit verschaffen. Seit dem Regierungswechsel im vergangenen August hat sich dies aber verbessert.

Wie begegnet die indigene Wache diesen Herausforderungen?

Was die bewaffneten Gruppen angeht, entwerfen wir gegenwärtig Karten, in denen wir die Präsenz der jeweiligen bewaffneten Akteure vermerken und weisen alle indigenen Gemeinschaften der Territorien darauf hin. Unsere Jugendlichen bilden wir in Schulen in unseren Territorien aus, einige sind freiwillig auch von klein auf in die indigene Wache integriert. Wir versuchen so, unsere Traditionen zu bewahren, die Sprache meines Volks der Yanakuna ist fast verloren gegangen, seit einigen Jahren erobern wir diese langsam zurück und die Jugend ist zum Teil sehr interessiert daran und engagiert sich auch politisch beim CRIC.

Sie sind der politische Anführer der »guardía indígena«, der indigenen Wache. Können Sie erklären, wie ihre Einheit funktioniert und wofür sie zuständig ist?

Die indigene Wache ist für die Sicherheit in den Territorien zuständig. Jede Gemeinschaft hat ihre eigene Einheit, die aus Kindern, Jugendlichen, Frauen und Männern jeder Altersgruppe besteht. Die Wachen der einzelnen Völker unterscheiden sich in Größe und Organisationsgrad. Bei diesem Treffen sind die Einheiten der einzelnen Territorien zusammengekommen, insgesamt sind wir etwa 400. Wir sind keine Eliteeinheit und tragen keine Waffen, sondern selbstgestaltete Stöcke. Neben mir als politischen Anführer gibt es noch einen Verwaltungsleiter und einen operativen Anführer. Wir mischen uns bei Konfrontationen ein, die in unseren Territorien stattfinden und von externen Akteuren wie den Guerillas verursacht werden. Wir deeskalieren nur, entfernen die Streitparteien voneinander oder lösen einen Konflikt. Damit ist unsere Arbeit getan. Unsere Arbeit ist sehr gefährlich, es gab schon mehrere Tote bei Schusswechseln. Wir können uns nur dadurch verteidigen, dass wir in der Überzahl sind. So schüchtern wir die Gegner oft ein.

Können Sie uns ein Beispiel aus den vergangenen Tagen nennen, bei denen die indigene Wache aktiv wurde?

Erst vor ein paar Tagen wurden wir alarmiert, dass ein 14-jähriges indigenes Mädchen von einer bewaffneten Gruppe aus unseren Territorien verschleppt wurde, eine Zwangsrekrutierung. Die Jugendliche schaffte es, der Gruppe zu entwischen und wir machten uns dann auf die Suche nach ihr. Jetzt ist sie in einer Jugendeinrichtung, da sie keine Familie hat und beschützt werden muss. Besonders marginalisierte Jugendliche werden von den illegalen Akteuren aufgesucht und zwangsrekrutiert.

Mit Präsident Gustavo Petro und Vizepräsidentin Francia Márquez betrat im August 2023 nicht nur die erste Linksregierung die politische Bühne Kolumbiens, sondern mit ihr scheinen auch zum ersten Mal der pluriethnischen Bevölkerung des Landes Gehör und wichtige politische Positionen verschafft zu werden. Wie schätzen die indigenen Völker im Allgemeinen die neue Regierung ein?

Die indigene Wache hat Gustavo Petro vor zwei Jahren persönlich kennengelernt, da wir ihm Schutz bei einem Besuch in unserer Region geboten haben. Wir haben bei den Präsidentschaftswahlen für ihn gestimmt, weil wir uns einen Wandel für unser Volk wünschen. Petro ist selbst ein Mann von unten, der in den 80er Jahren in einer Guerilla war. Er versucht nun, das Blutvergießen in unserem Land zu stoppen. Er will dem Paramilitarismus und der Oligarchie und deren Korruption sowie dem Drogenschmuggel ein Ende setzen. Aber so eine gravierende Veränderung braucht mehr als gute sechs Monate, da man nicht von heute auf morgen ein 200 Jahre altes System umkrempeln kann. Wir als indigene Bewegung unterstützen diesen Prozess des Wandels.

Glauben Sie, dass mit Petro der große Wandel für ethnische Minderheiten kommen kann?

Ja, es gab ja schon einige Veränderungen, besonders im Hinblick auf bewaffnete Gruppen. Es gibt weniger militärische Präsenz in Cauca und der Präsident strebt einen allumfassenden Frieden in unserem Land an. Außerdem fällt es auf, dass es mit Petro weniger Unterdrückung als früher gibt. Trotzdem haben wir uns als indigene Bewegung in ganz Cauca zu Beginn der Präsidentschaft Petros über zwei Monate mobilisiert, um zu demonstrieren, dass wir keine bewaffneten Gruppen, egal welcher Art, in unseren Territorien dulden, da wir diejenigen sind, die die territoriale und soziale Kontrolle in unseren Gebieten ausüben. Im Falle eines Friedensabkommens oder einer Demobilisierung der bewaffneten Gruppen stehen wir als indigene Bewegung als Friedensgarant zur Verfügung.

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