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USA: Verhärtete Grenze zu Mexiko
Im Wahlkampf wollte Joe Biden Donald Trumps rassistische Migrationspolitik noch beenden – doch die Brutalität im US-Grenzgebiet zu Mexiko hält an
Die physische Infrastruktur der Grenze zwischen den USA und Mexiko beginnt schon etliche Meilen vor der offiziellen Demarkationslinie, die die zwei Nationalstaaten voneinander trennt. Die Checkpoints der amerikanischen Grenzpolizei befinden sich inzwischen auch Dutzende Kilometer im Hinterland. Wer den Bundesstaat Texas über die viel befahrene Interstate 10 in westliche Richtung verlassen möchte, muss dafür außerhalb der kleinen Ortschaft Sierra Blanca an einem weitläufigen Kontrollpunkt halten. Grimmig dreinschauende Beamt*innen in den militärisch anmutenden grünen Uniformen der »Border Patrol« fragen Autofahrer nach ihrer Staatsangehörigkeit.
Wer sich als US-Amerikaner zu erkennen gibt, dem wird mit einem brüsken Nicken Richtung Autobahn die Weiterfahrt erlaubt. Von anderen Durchreisenden wird verlangt, ihre Papiere vorzuzeigen, um zu beweisen, dass sie im Land sein dürfen. Nach welchen äußerlichen Anzeichen entschieden wird, wer dazugehört und wer nicht, wird nicht erklärt.
Es sind nicht nur Hauptverkehrsadern wie der Interstate 10, die durch diese Kontrollpunkte unterbrochen werden. Auch im Nachbarstaat New Mexico wird rund 100 Kilometer nördlich der Grenze noch akribisch kontrolliert, wer sich durch das ländliche Gebiet Richtung Norden bewegt. Hubschrauber in den grün-weißen Farben der Behörde patrouillieren im Luftraum über der dünn besiedelten Gegend, ihre prominent markierten Fahrzeuge sind allgegenwärtig. Weniger sichtbar und dennoch präsent sind die versteckten Kameras und vergrabenen Bewegungsmelder, mit denen die umliegende Wüste bewacht wird. Seit einigen Jahren verfügt die Border Patrol auch über eigene Drohnen vom Typ »Predator«, die bevorzugte Waffe der USA im sogenannten Krieg gegen den Terror.
Im tiefen Süden von Texas, wo der riesige Bundesstaat das Meer erreicht, kontrollieren die Grenzer*innen die Zugänge zum Strand. Eine kleine weiße Hütte, eine Schranke und ein paar Dienstwagen reichen aus, um Reisenden unterwegs zurück ins Inland den Weg abzuschneiden. Auch hier wird nach der Staatsangehörigkeit gefragt. Für Dr. Christopher Basaldú ist diese Frage jedes Mal besonders aufreibend. Er ist Angehöriger der Esto’k Gna, die den Landstrich an der Küste schon lange bewohnten, bevor die Staatsgrenzen gezogen wurden, die das Gebiet des Stammes nun durchtrennen. Wie rund 90 Prozent der Einwohner*innen des umliegenden Rio Grande Valley scheint auch der diensthabende Beamte Latino zu sein.
Die Region am spitzen Südende von Texas, zwischen Atlantik und mexikanischer Grenze, ist eine der ärmsten der USA. Manchen Schätzungen zufolge hat über ein Viertel der Bevölkerung keine Aufenthaltsgenehmigung. Dass im Rio Grande Valley vornehmlich Personen mexikanischer Abstammung für die Arbeit an der Grenze rekrutiert werden, ist für den Experten für indigene Kulturen kein Zufall: »Wegen der willentlichen, systematischen und Generationen überspannenden Verarmung des Rio Grande Valleys gibt es hier unten nur wenig gute Jobs. Nach dem 11. September hat sich die Regierung entschieden, die Grenzen zu verstärken und hier Tausende neue Stellen zu schaffen. Jobs beim Grenzschutz oder beim Zoll gehören zu den wenigen gut bezahlten Arbeitsplätzen«, so Dr. Basaldú.
In der US-amerikanischen Amtssprache ist vom »Hardening« der südlichen Grenze die Rede, also ihrer »Verhärtung«. Neben der Schaffung neuer Stellen und der Militarisierung der Grenze bedeutete das in den letzten zwei Jahrzehnten vor allem einen schärferen Umgang mit Personen, die versuchen, sie unerlaubt zu überqueren. Möglichst viele Migrant*innen schnell wieder abzuschieben, blieb dabei ein Projekt beider Parteien. Was unter George W. Bush unter der Ägide des Heimatschutzes begann, führte sein Nachfolger Barack Obama energisch weiter. Über eine Million Menschen ließ Obama allein in seinen ersten drei Amtsjahren abschieben; Zahlen, die selbst Donald Trump nicht erreichen konnte.
Joe Biden versprach im Wahlkampf eine Abkehr von der offen rassistischen Politik der Trump-Regierung. Doch entlang der US-Südgrenze sucht man vergeblich nach Anzeichen hierfür. »Title 42«, ein Gesetz, das unter dem Vorwand der Pandemiebekämpfung die formlose Abschiebung von Asylsuchenden und Migrant*innen vereinfachte, kann weiter angewendet werden. Im Dezember wurde die von der Biden-Regierung verfügte Aufhebung der Maßnahmen durch den Obersten Gerichtshof blockiert.
Jenn Budd trug jahrelang die grüne Uniform der Border Patrol und war selbst an der »Verhärtung« der südlichen Grenze beteiligt. Im Grenzgebiet zwischen Kalifornien und Mexiko wurde sie dazu ausgebildet, Migrant*innen und Schmugglergruppen durch das unwegsame Terrain zu verfolgen. Sie lernte anhand von Fußabdrücken und abgebrochenen Zweigen Personen aufzuspüren, die versuchten, sich vor ihrer Behörde zu verstecken – »Menschen jagen«, wie Budd heute dazu sagt. Als sie im Jahr 1995 zum Grenzschutz kam, war sie eine von Tausenden neuer Rekrut*innen, deren Einstellung die Clinton-Regierung beschlossen hatte. Im Jahr 2001 verließ sie die Behörde. »Ich konnte nicht mehr guten Gewissens diese Uniform und Dienstmarke tragen«, so Budd gegenüber »nd«. »Nicht, nachdem ich wusste, was die Border Patrol wirklich ist.«
Budd hat ihre Zeit an der Grenze in einem Buch aufgearbeitet, das im vergangenen Jahr erschienen ist: »Against the Wall« ist Beichte und Anklageschrift zugleich. Vor allem aber ist es eine erschütternde Chronik der Gewalt. Budd beschreibt nicht nur in schonungslos klarer Sprache, wie sie lernte, migrierende Personen zu entmenschlichen, zu schlagen und einzuschüchtern, sondern auch, wie sie selbst immer wieder zum Opfer einer zutiefst brutalen Institution wurde. Noch in der Ausbildung wurde sie von einem Rekruten aus dem eigenen Jahrgang vergewaltigt. Anstatt ihr Hilfe anzubieten oder den Täter zu stellen, zwangen ihre Ausbilder sie noch am nächsten Tag, bei einem Selbstverteidigungstraining gegen ihn zu kämpfen.
In »Against the Wall« beschreibt Budd, wie sie als lesbische Frau immer wieder angefeindet und schwer belästigt wurde. Gleich zwei Mal versuchten Dienstkollegen sie töten zu lassen, weil sie vermuteten, dass sie ihre Zusammenarbeit mit den Drogenkartellen aufdecken könnte. Nachdem sie den Dienst quittiert hatte, erkrankte sie an schweren Depressionen; einen Suizidversuch im Jahr 2015 überlebte sie nur knapp.
Heute ist Jenn Budd eine schonungslose Kritikerin ihres ehemaligen Arbeitgebers und setzt sich als Aktivistin für einen offensiveren Umgang mit den Verbrechen der Border Patrol ein. Sie lebt unweit ihres alten Einsatzgebietes im kalifornischen San Diego und reist regelmäßig nach Mexiko, um sich mit Migrant*innen und Aktivisten auf der anderen Seite der Grenze auszutauschen.
»Es ist schwierig für mich, über die Jahre in der Border Patrol zu sprechen«, sagt sie gegenüber »nd«. »Ich leide immer noch an posttraumatischen Belastungsstörungen; es besteht immer das Risiko einer Retraumatisierung.« Trotzdem fühlt sie sich dazu angehalten, die Wahrheit zu sagen. »Mein Selbstmordversuch hat mich dazu gebracht, mich nicht nur mit meinem eigenen Schmerz auseinanderzusetzen, sondern auch mit dem Umstand, dass ich mich einer Organisation angeschlossen habe, die die weiße Vorherrschaft (›white supremacy‹) aufrechterhält. Ich wusste, dass ich mich der Verantwortung für meine eigenen Handlungen stellen musste, wenn ich die Spirale meiner eigenen psychischen Krankheit brechen wollte.«
Jenn Budd schenkt den Verlautbarungen der Biden-Regierung in Sachen Grenzpolitik nur wenig Glauben. Seit den Clinton-Jahren bis heute hat sich wenig verändert, außer dass der Umgang mit Migranten immer unbarmherziger wird. »Wenn es um nichtweiße Migrant*innen geht, ändert sich kaum etwas«, sagt sie. »Der große Unterschied zwischen den Republikanern und den Demokraten ist, dass die Republikaner stolz auf ihre Brutalität sind, während die Demokraten versuchen, möglichst wenig über ihre eigene zu sprechen.« Sie beschreibt, wie Migranten seit den 90er Jahren systematisch in die abgelegensten und schroffsten Gegenden der Grenzregion geleitet werden. »Die Migrant*innen sollen zur Umkehr gezwungen werden, damit sie ihren Freunden und Familien sagen: ›Versucht es nicht, es ist zu schwer‹«, sagt sie. »Doch damit das funktioniert, muss ein gewisser Prozentsatz von ihnen sterben.«
Budd erzählt in ihrem Buch, wie sie während ihrer Zeit beim Grenzschutz selbst verstorbene Migrant*innen gefunden hat. »Da draußen in der Wüste liegen Tausende Leichen, die nie geborgen werden«, erzählt sie. »Wir haben an unserer südwestlichen Grenze ein Massengrab geschaffen.«
So greifbar die Folgen der amerikanischen Migrationspolitik im Grenzland auch sind, so ist es doch vor allem der Nachbarstaat im Süden, der dessen Konsequenzen tragen muss. An einem kühlen Winterabend in Mexiko City erzählt ein Imbiss-Betreiber beiläufig, dass er vor rund sechs Monaten in die Hauptstadt abgeschoben wurde. 16 Jahre lebte und arbeitete er in den USA, heiratete und wurde Vater. Dann wurde er wegen Trunkenheit am Steuer verhaftet und kurz danach abgeschoben. Als illegalisierter Einwanderer darf er nie wieder einreisen, auch nicht, um seine Tochter zu sehen.
Auch »Harry« war fast zwei Jahrzehnte lang in den USA und arbeitete in Kalifornien in der Gastronomie und in verschiedenen Krankenhäusern. Der drahtige Mittvierziger, der seinen Namen nicht in der Zeitung lesen möchte, überquerte noch vor dem 11. September in der Nähe von San Diego die Grenze. Den Schmugglern zahlte er damals rund 1500 US-Dollar, damit sie ihn sicher an den Grenzanlagen vorbeisteuern. »Heute zahlt man um die 10 000«, sagt er, auch weil die Überquerung durch die Maßnahmen der US Regierung schwieriger geworden ist. »Damals gab es kaum Technologie«, erzählt er vor dem Geschäft, das er mit seiner Familie in Oaxaca, der Hauptstadt des gleichnamigen Bundesstaates im Süden von Mexiko, betreibt. »Heute gibt es Infrarotkameras, Drohnen und Moskitos – so nennen sie hier die Hubschrauber vom Typ «Apache», deren Rotoren kaum zu hören sind.«
In Oaxaca City sind die Gegensätze der US-amerikanischen Grenzpolitik überall zu finden. US-Tourist*innen ziehen durch die malerische Innenstadt mit ihrer gut erhaltenen Kolonialarchitektur. Die Stadt im Hochland des Bundesstaates gilt als sicheres Urlaubsziel, das Essen und die indigenen Kulturen der Region sind weltberühmt. Auf den öffentlichen Plätzen betteln junge Migrant*innen aus Venezuela und Mittelamerika, um sich den Weg weiter in Richtung der nördlichen Grenze zu finanzieren. Während die Besucher*innen aus den USA für ihre Rückreise einfach ins Flugzeug steigen, ist der Weg, der auf Migrant*innen aus dem Süden wartet, deutlich gefährlicher.
Dr. Rubria Rocha de Luna stammt aus der Stadt Monterrey im Norden von Mexiko und ist mit den Gefahren der Route gut bekannt. Als die Trump-Regierung im Jahr 2018 die Grenzen fast vollständig schließen ließ, suchte Rocha de Luna einen Weg, um Migrant*innen zu helfen. Die Psychologin studierte zu diesem Zeitpunkt an der Texas A & M University in den USA, am Center for Digital Humanities, das die Schnittstellen zwischen moderner Informationstechnologie und Geisteswissenschaften erforscht.
»Zu diesem Zeitpunkt wurden Kinder durch die amerikanische Einwanderungsbehörde ICE unter Zwang von ihren Eltern getrennt«, erzählt sie im Interview mit »nd«. Inspiriert von einer Organisation, die die ICE-Internierungslager auf einer digitalen Karte dokumentierte, entwickelte Rocha de Luna ein Projekt, das heute unter dem Namen »Redes« betrieben wird. »Redes« besteht aus einer frei zugänglichen Website, die Migrant*innen auf der Durchreise durch Mexiko abrufen können, um Schlafplätze, Gesundheitsversorgung und andere Unterstützung zu finden.
Mittlerweile sind es über 270 Organisationen und Anlaufstellen, die über »Redes« zu finden sind. Dr. Rubria Rocha de Luna betreut dieses digitale Netzwerk größtenteils über Whatsapp und vermittelt auch Menschen, die aus den USA zurück nach Mexiko abgeschoben werden, an NGOs und Freiwillige. »Wenn zum Beispiel jemand weiß, dass er um 2 Uhr morgens über die texanische Grenze nach Nuevo Laredo abgeschoben wird, können wir sicherstellen, dass jemand auf der anderen Seite der Grenze auf die Person wartet, um ihr zu helfen.«
Doch auch die Arbeit von »Redes«, dessen Webseite weiterhin auf den Servern einer US-amerikanischen Universität liegt, ist Einschränkungen unterworfen. »Die Leute fragen mich oft, ob ich ihnen sagen kann, wie sie die Grenze überqueren sollen«, erklärt die Akademikerin. »Doch das dürfen wir nicht tun. Ich versuche ihnen dazu zu raten, zu bleiben, wo sie sind, und von dort in den USA Asyl zu beantragen.«
Die Möglichkeit, dies zu tun, wird von den Vereinigten Staaten durch das Epidemiegesetz »Titel 42« aber nach wie vor stark eingeschränkt. »Ich rate ihnen von der Weiterreise ab, damit sie sich nicht in Gefahr begeben und zum Beispiel von den Narcos entlang der Grenze gekidnappt werden«, sagt Rocha de Luna. »Natürlich halten sich nicht alle daran«, ergänzt sie. »Von vielen hören wir nie wieder.«
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