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Krankes Gesundheitssystem
Bürgerbegehren fordert Tariflöhne im Neuruppiner Klinikum
Der Landtagsabgeordnete Ronny Kretschmer (Linke) ist von Beruf Krankenpfleger. Von 2004 bis 2014 war er Betriebsrat in den Ruppiner Kliniken, inzwischen umbenannt in Universitätsklinikum Ruppin-Brandenburg (UKRB). Kretschmer ist zurzeit Vorsitzender des Aufsichtsrats dieses kommunalen Krankenhauses. Da stellt sich die Frage, ob er eine Rückkehr des Klinikums in den Verband kommunaler Arbeitgeber ernsthaft so engagiert vertreten darf, wie er es tut. Denn die Beschäftigten müssten dann wieder Tariflöhne erhalten – und das würde erhebliche Mehrkosten verursachen. Doch Kretschmer handelt mit sozialer Verantwortung und Weitblick. Wenn das Personal anderswo, beispielsweise in Berlin, deutlich besser bezahlt wird, dann kehrt es dem UKBR den Rücken und pendelt dorthin. Dieser Gefahr muss der Landkreis Ostprignitz-Ruppin als Eigentümer des Krankenhauses auch im Interesse der Patienten begegnen und für Tariflöhne sorgen. Darum befürwortet der Politiker und Aufsichtsratsvorsitzende das am 18. Januar gestartete Bürgerbegehren »Unser Klinikum retten«, das den Tarif für den öffentlichen Dienst zum Ziel hat.
Für einen Erfolg des Bürgerbegehrens müssten innerhalb eines Jahres mindestens zehn Prozent der Wahlberechtigten im Landkreis das Anliegen unterstützen. Rund 10 000 Unterschriften würden gebraucht, erläutert Kretschmer am Mittwochabend am Rande einer Kneipentour seines Fraktionsvorsitzenden Sebastian Walter im Restaurant »Tempelgarten« in Neuruppin. »Wir gehen davon aus, dass wir im Kreistag keine Mehrheit für das Ziel des Bürgerbegehrens bekommen«, sagt Kretschmer. Nächster Schritt könnte dann ein Bürgerentscheid sein – parallel zur Brandenburger Kommunalwahl im Mai 2024.
Auch Torsten Schulz von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi plädiert bei der Kneipentour für Tariflöhne. Bisher zahlen nur zwei von 53 märkischen Krankenhäusern den Tarif für den öffentlichen Dienst: das Klinikum Brandenburg/Havel und das Potsdamer Ernst-von-Bergmann-Klinikum. In anderen Bundesländern gebe es jedoch Krankenhäuser, die regelrecht in den Tarif flüchteten, weil die Beschäftigten sogar noch höhere Löhne verlangten und dies angesichts des allgemeinen Personalmangels im Gesundheitswesen vielleicht sogar hätten durchsetzen können, berichtet Schulz. 10,5 Prozent mehr Lohn, mindestens aber 500 Euro mehr im Monat fordert die Gewerkschaft in den laufenden Tarifverhandlungen für den öffentlichen Dienst. Bisher werden nur fünf Prozent und eine Einmalzahlung von 1000 Euro angeboten. Die nächste Verhandlungsrunde ist Ende März.
Für Brandenburgs Linksfraktionschef Walter ist mit Blick auf die galoppierende Inflation durchaus angemessen, was die Gewerkschaft verlangt. »Armut bekämpft man nicht mit Sozialleistungen. Armut bekämpft man mit anständigen Löhnen«, sagt er in Neuruppin. Ihm zufolge verdienen Brandenburger durchschnittlich 1000 Euro weniger im Monat als ihre Kollegen. Im Gesundheitswesen sei der Abstand teils noch größer. Jeder dritte Beschäftigte in Brandenburg erhalte nicht einmal 12,50 Euro die Stunde, und dies bei den stark gestiegenen Preisen für Energie und Lebensmittel. Für eine Familie summierten sich die Mehrkosten auf 3500 Euro im Jahr. Er spüre es an der Ladenkasse, sagt Walter. »Ich backe gern. Ich merke es bei der Sahne.«
Bei den 8000 bis 9000 Euro brutto, die ein Landtagsabgeordneter erhalte, sei das kein Problem. Aber andere müssten mit 1800 Euro brutto auskommen. Entlastungspakete von Bund und Land seien ein bürokratischer Wirrwarr. So habe ihm die Stadtverwaltung von Eberswalde mitgeteilt, er müsse aufgrund der Entlastungsmaßnahmen für die Kita seines einjährigen Sohnes jetzt nur noch halb so viel Elternbeitrag bezahlen. »Ich habe natürlich sofort dort angerufen und erklärt, dass dieser Bescheid zurückgenommen werden müsse«, betont Walter. Er liege mit seinem Einkommen schließlich weit oberhalb der Freigrenze.
Dass ihm seine Hausärztin in den Ohren liege, er solle doch in eine private Krankenversicherung wechseln, weil sie dann mehr für seine Behandlung abrechnen könnte, versteht Walter, hält das aber für einen Konstruktionsfehler. Es müsste doch darum gehen, die Patienten zu heilen, und nicht darum, wie sich mit ihnen am meisten Geld machen lasse. »Wie krank kann ein System sein?«
Dabei geht es den Krankenhäusern nach Angaben des Abgeordneten Kretschmer gegenwärtig alles andere als gut. »Ich kenne in Brandenburg keine Klinik, die im Moment schwarze Zahlen schreibt. Es gibt keine«, sagt er. Doch die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach (SPD) angekündigte Krankenhausreform verspreche keine Abhilfe. Sie laufe im Gegenteil auf ein Kliniksterben im ländlichen Raum hinaus.
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