Long-Covid: Nicht genügend Hilfe

Betroffene von Long Covid fordern mehr Forschung für wirksame Medikamente

  • Kirsten Achtelik
  • Lesedauer: 4 Min.
400 Feldbetten vor dem Reichstagsgebäude: Long-Covid-Betroffene haben bereits im Januar gegen die Untätigkeit der Politik protestiert.
400 Feldbetten vor dem Reichstagsgebäude: Long-Covid-Betroffene haben bereits im Januar gegen die Untätigkeit der Politik protestiert.

Die Sitzreihen im Bundestag waren recht übersichtlich besetzt, als das Parlament am Mittwoch einen Antrag der CDU/CSU zur besseren Versorgung von Long- und Post-Covid-Betroffenen beriet. Auch die Regierungsbank war weitgehend leer, die Minister*innen für Gesundheit (Karl Lauterbach, SPD), Forschung (Bettina Stark-Watzinger, FDP) und Finanzen (Christian Lindner, FDP) glänzten durch Abwesenheit. Das mag bei einem Antrag einer Oppositionspartei nichts Ungewöhnliches sein, problematisch könnte es aber erscheinen, wenn im vierten Jahr der Corona-Pandemie und am ersten internationalen Long Covid Awarenss Day die Regierung Betroffene von Long und Post-Covid weiter mit Versprechungen hinhält, statt konkrete Zusagen für ein Hilfs- und Forschungsprogramm zu machen.

In Deutschland geht man von einer Million Betroffenen aus, die nach einer Corona-Infektion lange unter teils schweren gesundheitlichen Einschränkungen leiden, weltweit sind es Schätzungen zufolge etwa 65 Millionen Menschen. Zu den lang anhaltenden Folgen können so unterschiedliche Symptome gehören wie Schwindel, Schmerzen, Konzentrationsstörungen, Atembeschwerden und Fatigue, also Erschöpfung, bis hin zu dauerhafter Bettlägerigkeit. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) geht von mehr als 200 verschiedenen Symptomen aus.

Die genauen Ursachen sind weitgehend unklar, viele Ärzt*innen sind ratlos, wirksame Medikamente und Behandlungsoptionen gibt es kaum, Diagnoseverfahren sind nicht standardisiert. Viele Betroffene berichten von einer wahren Odyssee bis sie Hilfe und Unterstützung gefunden haben. Zwar gibt es Ansätze für hilfreiche Off-Label-Therapien. Doch klinische Studien fehlen, daher müssen Betroffene vieles selbst bezahlen. Gerade wenn man schwer krank ist und nicht erwerbstätig sein kann, ist die zeit- und geldintensive Suche nach Hilfe zusätzlich belastend.

Das Forschungsministerium twitterte am Mittwoch, man fördere die Forschung bereits mit 22,5 Millionen Euro. Die Union kritisiert in ihrem Antrag, dass ein Großteil der Förderanträge abgelehnt worden sei. Von 73 Anträgen seien lediglich 15 Projekte mit einer Fördersumme von 12,5 Millionen Euro genehmigt worden.

Die Betroffeneninitiative »Nicht genesen« protestierte deswegen zeitgleich zu der Bundestagsdebatte vor dem Forschungsministerium. Neben Porträts von Betroffenen entrollten die Aktivist*innen ein großes Banner mit der Aufschrift »Wir leiden. Wir sterben. Sie schauen zu. Wir fordern Forschung.« Schon im Januar hatte die Initiative auf der Wiese vor dem deutschen Bundestag 400 Feldbetten aufgebaut, um auf die Untätigkeit der Politik in Sachen Long Covid hinzuweisen. Die versprochene Hilfe für Betroffene sei zu wenig und zu langsam, kritisierte die Sprecherin der Initiative, Ricarda Piepenhagen.

Sie forderte eine massive Erhöhung der Gelder für die Forschung. Auch die Diagnostik und Erfassung der Betroffenen müssten dringend verbessert werden. Viele Beschwerden würden von den behandelnden Ärzt*innen als psychosomatisch abgetan und so weder statistisch erfasst noch adäquat behandelt. Auch für die ähnlichen Krankheitsbilder ME/CFS (chronisches Erschöpfungs-Syndrom) und Post-Vac (Impfschäden) sollte es mehr Forschung geben, fordert die Initiative. Angesichts von Betroffenen, denen der Lebenswille abhanden komme, müsse es schnell eine »Taskforce« geben, so Piepenhagen.

Die Gesundheitsberaterin der kanadischen Regierung, Mona Nemer, warnte in dieser Woche, dass Long Covid sich zu einem »Massenbehinderungs-Ereignis« auswachsen könne. Manche Betroffene hätten sich auch zwei bis drei Jahre nach einer Erstinfektion nicht erholt. Ohne eine klare Definition und Diagnose sei die Beantragung von Sozialhilfe, Behindertenunterstützung und Versicherungsleistungen schwer. Die Nachwirkungen von Covid hätten auch erhebliche negative Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und das Bruttoinlandsprodukt.

Auch wenn die schlimmste Zeit der Pandemie vorüber sei, bleibe das Risiko, Long-Covid-Symptome zu entwickeln, weiterhin hoch, warnte die WHO in dieser Woche: Zwischen zehn und zwanzig Prozent der Erkrankten würden nicht oder nur langsam wieder gesunden.

Bundesgesundheitsminister Lauterbach hat erklärt, Menschen mit Langzeitschäden einer Corona-Infektion oder -Impfung besser helfen zu wollen. Er kündigte 100 Millionen Euro für ein Programm zur Untersuchung der Folgen von Long Covid und Impfschäden und zur Verbesserung der Versorgung der Betroffenen an: »Das ist ein Programm, das ich so schnell wie möglich auflegen möchte. Ich bin quasi in den Haushaltsverhandlungen für dieses Geld.«

Abonniere das »nd«
Linkssein ist kompliziert.
Wir behalten den Überblick!

Mit unserem Digital-Aktionsabo kannst Du alle Ausgaben von »nd« digital (nd.App oder nd.Epaper) für wenig Geld zu Hause oder unterwegs lesen.
Jetzt abonnieren!
- Anzeige -

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.