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Gewobag auf Kollisionskurs

Sparwut der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaft bringt Mieter auf die Barrikaden

  • Nicolas Šustr
  • Lesedauer: 7 Min.
Hope – Hoffnung, das brauchen die Mieter der Gewobag-Häuser an der Ecke Bülowstraße und Frobenstraße in Berlin-Schöneberg
Hope – Hoffnung, das brauchen die Mieter der Gewobag-Häuser an der Ecke Bülowstraße und Frobenstraße in Berlin-Schöneberg

Urinpfützen, Kothaufen im Stromverteilerkasten, gebrauchte Spritzen. Wenn Judit Bernhardt durch den Fotoordner ihres Handys scrollt, ist das eine Parade der Ekligkeiten. Es ist Alltag der 178 Haushalte in Treppenhäusern, Gängen und Aufzügen des Wohnkomplexes der landeseigenen Gewobag an der Adresse Bülowstraße 94/95 und Frobenstraße 4. Direkt davor ist der härteste Teil des Strichs im Gebiet um die Kurfürstenstraße. Hier verkaufen sich ältere Frauen und trans Menschen, nicht wenige von ihnen sind obdachlos und drogenkrank.

Es gab schon bessere Zeiten in den Häusern. »Bis April 2022 gab es einen 24-Stunden-Sicherheitsdienst. Das war wunderbar«, sagt Ingrid Gärtner. Eingeführt worden war er erst im Oktober 2021. »Aber dann wurde er aus wirtschaftlichen Gründen eingestellt, wie uns gesagt wurde«, berichtet sie. Laut Gewobag liegt das aber daran, dass die Security »nicht den gewünschten Erfolg gebracht hat«, wie das Unternehmen auf nd-Anfrage mitteilt.

Im Herbst 2022 lag ein Schreiben mit einer Umfrage in den Briefkästen. »Möchten Sie eine dauerhafte Bestreifung des Wohnhauses?«, so die Frage der Gewobag. Etwa 90 bis 100 Euro monatliche Umlage pro Wohnung wurden für die 24-Stunden-Variante in Aussicht gestellt, rund 30 bis 35 Euro, wenn täglich von 22 bis 6 Uhr bestreift wird, vier Stunden täglich ab Mitternacht hätten demnach bis zu 17,50 Euro pro Monat gekostet. »Die MieterInnen haben sich im Großteil gegen eine mieterseitige Kostenübernahme ausgesprochen«, berichtet die Gewobag.

»Warum muss ich dafür zusätzlich bezahlen, wenn ich ganz normal wohnen möchte?«, fragt Judit Bernhardt. Sie ist wie Gärtner und ein erheblicher Teil der Mieter des Hauses Seniorin. Seit November macht sie mit zwei anderen Mietern täglich um 23 Uhr eine Kontrollrunde durch den Komplex. »Wenn jemand da ist, der dort nicht hingehört, rufen wir die Polizei«, berichtet sie. Über 100 Mal sei das bereits der Fall gewesen. Ebenfalls seit November lässt die Gewobag die Häuser täglich vier Stunden nachts bestreifen – auf eigene Kosten. »Wir haben das erst vor Kurzem mitbekommen. Die kommen irgendwann mit dem Auto, drehen eine Runde und sind dann wieder weg«, sagt Bernhardt. »Acht Stunden Sicherheitsdienst täglich ab 22 Uhr, mit Leuten, die vor Ort sind – das würde etwas bringen.« Gewobag und Bezirk schöben sich immer gegenseitig die Verantwortung zu.

Noch schwerwiegender war für Ingrid Gärtner, die auf einen Rollator angewiesen ist, der Ausfall des Fahrstuhls in ihrem Aufgang. Bis zum 7. März war er fast vier Monate außer Betrieb. »Seit November komme ich zwar über die Aufzüge in den anderen Aufgängen rein und raus, aber nicht an meinen Briefkasten und in meinen Keller. Bis heute kann ich zwar mit meinem Aufzug in meine Etage fahren, anfordern kann ich ihn von dort aber nicht. Es passiert nichts, wenn man die Taste drückt«, sagt Gärtner.

Wütend macht sie, dass ein Aufzugsmonteur im Dezember erklärt haben soll, dass die Gewobag ein Reparaturangebot seiner Firma aus Kostengründen ausgeschlagen habe. So berichtet es Judit Bernhardt. Auf diesen Punkt geht das Landesunternehmen auf Anfrage gar nicht ein, schreibt von Lieferengpässen aufgrund des Angriffskrieges auf die Ukraine und der Corona-Pandemie und dass man die Unannehmlichkeiten sehr bedauere.

Unangenehm für die Gewobag dürfte es kommende Woche werden. Da lädt das Unternehmen zur Mieter*innenversammlung für den Schöneberger Norden. Es ist die Reaktion auf eine selbst organisierte Versammlung Anfang Februar, an der rund 150 Betroffene teilnahmen und bei dem eine Resolution verabschiedet worden ist. »Garantierte Reaktion auf Mieterinnen-Anfragen innerhalb einer Woche (automatische E-Mail-Antworten genügen nicht), bei Notfällen innerhalb von 24 Stunden zum Stand der Umsetzung bzw. voraussichtlicher Ausfallzeiten«, so eine der Forderungen. Die Mieterinnen und Mieter verlangen auch eine »zügige, lückenlose Aufklärung über Kostenerhöhungen seit dem Zeitpunkt der Umstellung der Heizkostenverteiler« sowie »Aufklärung über den Inhalt, die Grundlage und die jeweilige Höhe der Grundkosten in der Wärmelieferungsrechnung« des Tochterunternehmens Gewobag ED. Mehr Engagement und Unterstützung sei auch bei Energiesparen und Energieeffizienz nötig. Gefordert wird die »sofortige Umsetzung aller Maßnahmen aus den geltenden Energiesicherungsverordnungen und Datenerfassung zu Wärmeverbrauch und Sanierungsbedarf«.

An dem Abend im Februar wurden Fälle geschildert, die eher an das Gebaren eines renditeorientierten Immobilienkonzerns erinnerten. Nur ein Beispiel ist die Abwicklung eines Wasserschadens, über den ein Mieter berichtete: »Acht Wochen hat es gedauert, bis jemand von der Gewobag überhaupt auftauchte. Bis dahin ist das Wasser bis in den Keller gelaufen, drei Wohnungen sind unbewohnbar.« Auch seine Wohnung sei betroffen. Doch es kam noch besser. »Vor ein paar Tagen rief mich das Umzugsunternehmen an. Sie ziehen am ersten Februarwochenende aus, wurde mir erklärt. Ich hatte keinen Schlüssel und wusste auch nicht, wo die Ersatzwohnung sein soll.«

Da verwundert es nicht, dass die Gewobag versucht haben soll, das Treffen zu verhindern. Ausrichter waren die Mieter:inneninitiative Bülowstraße Ost sowie die Stadtteilvertretung Quartiersrat Schöneberger Norden. »Wir haben ein Schreiben von der Gewobag bekommen, in dem sie uns das Recht abgesprochen haben, zusammen mit der Mieterinitiative zu der Veranstaltung einzuladen. Wir wurden zu einem Gespräch eingeladen zum Thema Regeln für Kommunikation und Umgang miteinander«, berichtete das Sprecherteam des Quartiersrates Anfang März. Zuvor sollen bereits die Mieterbeiräte unter Druck gesetzt worden sein.

»Diese Vorwürfe weisen wir entschieden zurück«, so die Gewobag. »Die Mieterbeiräte werden von uns in der Durchführung von MieterInnenversammlungen zu allgemein interessierenden Fragen der Mieterschaft selbstverständlich unterstützt. Wir erteilen keine Verbote und haben dies auch nicht getan.« Der Quartiersrat habe die Einladungen zur Veranstaltung verteilt, ohne die Gewobag darüber in Kenntnis zu setzen. »Wir haben dies zum Anlass genommen, das Sprecherteam des Quartiersrates zu einem persönlichen Gespräch einzuladen«, so das Unternehmen.

In einer nicht repräsentativen Online-Umfrage der Mieter:inneninitiative Bülowstraße Ost gaben 71 Prozent der Antwortenden an, dass sich ihre Zufriedenheit in den letzten Jahren verschlechtert habe. Heizkostenabrechnungen seien für fast die Hälfte der Befragten unverständlich, für rund 30 Prozent nur teilweise. Das ist aus Sicht der Initiative vor allem deshalb dramatisch, da mehr als ein Drittel der Befragten hohe Nachzahlungen aus den vergangenen Jahren beklagt – also noch aus den Jahren vor der Energiekrise. Im Durchschnitt werden rund 500 Euro genannt, jedoch auch bis 2000 Euro.

Große Fehler bei Heizkostenabrechnungen musste die Gewobag in den letzten Jahren beispielsweise in Beständen an der Heerstraße Nord in Staaken einräumen – nach massivem politischem und juristischem Druck. Die Bestände sind zusammen mit der Reinickendorfer Rollberg-Siedlung Teil eines fast 6000 Wohnungen umfassenden Pakets, das 2019 für rund zwei Milliarden Euro vom inzwischen in der Adler Group aufgegangenen Immobilienspekulanten Ado zurückgekauft worden ist. Seit der Übernahme beklagen Mieterinnen und Mieter eine schlechtere Betreuungs- und Instandhaltungslage.

Die Schöneberger Mieter*inneninitiative fordert auch die Rücknahme des Outsourcings der Hausmeister- und Reparaturservices. »Als einzige Wohnungsbaugesellschaft hat die Gewobag das outgesourcte Tochterunternehmen sogar verkauft«, sagt Verdi-Gewerkschaftssekretärin Carla Dietrich zu »nd«. Jährlich müsse sich die privatisierte Tochter Fletwerk neu um die Aufträge bewerben und immer billiger werden. »Für die Beschäftigten ist das richtig ätzend und hat dazu geführt, dass die Bezahlung inzwischen 35 Prozent unter dem Niveau des Flächentarifvertrags Wohnungswirtschaft liegt«, berichtet sie. »Zu dem Lohn findet man auch kaum noch gute Leute.«

Die Gewobag steht unter starkem finanziellen Druck. Laut dem kürzlich von der Wohnraumversorgung Berlin veröffentlichten Bericht zur wirtschaftlichen Lage lag die Verschuldung 2021 mit über fünf Milliarden Euro oder rund 1029 Euro pro Quadratmeter Wohnfläche mit Abstand am höchsten unter den sechs Landeseigenen. Die allgemeinen Immobilienzinsen sind in letzter Zeit rasant gestiegen. Laut der Auswertung liegen sowohl die kalten als auch die warmen Betriebskosten, die auf die Miethaushalte umgelegt werden, deutlich über jenen der fünf anderen Wohnungsbaugesellschaften. Dabei sind beispielsweise bei der Wohnungsbaugesellschaft Berlin-Mitte die Hausmeister direkt beim Unternehmen angestellt. Auf Fragen von »nd« nach einem Zusammenhang von Finanzierungsfragen und der Instandhaltung der Bestände geht die Gewobag nicht konkret ein.

»Die Mieteinnahmen der Landeseigenen sind trotz der Beschränkungen der Erhöhungsmöglichkeiten auskömmlich für eine ordentliche Bewirtschaftung der Bestände. Die Unternehmen machen weiter Gewinne«, sagt Ulrike Hamann zu »nd«. Sie ist Geschäftsführerin des Berliner Mietervereins. »Man muss aber fragen, ob Ankäufe und Neubauten wirklich aus dem Mietentopf gestemmt werden können. Die dürfen nicht zulasten der Instandsetzung gehen«, so Hamann weiter.

Innerhalb der rot-grün-roten Koalition wird bereits seit geraumer Zeit die Finanzlage der landeseigenen Wohnungsbaugesellschaften diskutiert. Mitte Januar stellte die Berliner Linke ihren Vorschlag für ein kommunales Wohnungsbauprogramm vor. Eine Milliarde Euro pro Jahr soll demnach über Eigenkapitalerhöhungen den Landeseigenen dafür zufließen. Mit direkten Kapitalzuführungen an die Wohnungsbaugesellschaften muss sich nun auch Schwarz-Rot beschäftigen. Ansonsten droht den kommunalen Unternehmen das Geld auszugehen. Der private Wohnungsbau liegt schon am Boden.

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