Warnstreik: Frechheit zum Quadrat

Jana Frielinghaus über die Kritiker des Verkehrsstreiks

Das sind Deutsche Bahn und Co nicht gewohnt: Zwei Gewerkschaften rufen zu einem gemeinsamen 24-Stunden-Streik auf, um in verschiedenen Tarifverhandlungen Druck zu machen. Dass die Arbeitgeber den Ausstand nun als »überzogen« bezeichnen, zeigt, dass sie nichts verstanden haben. Denn sie hätten es in der Hand gehabt, mit einem angemessenen Angebot für Inflationsausgleich zu sorgen. Einen Großstreik mit voraussichtlich Hunderttausenden Beteiligten und flächendeckendem Verkehrsstillstand hätte es dann nicht gegeben.

Stattdessen aber glauben sie offenbar, die Werktätigen mit Angeboten abspeisen zu können, bei denen diese sogar weitere Reallohnverluste hinnehmen sollen. Das hat Verdi-Chef Frank Werneke zurecht als Frechheit bezeichnet. Es ist aber nicht nur das, sondern auch Ignoranz und Instinktlosigkeit sondergleichen. Denn die Forderungen der Gewerkschaften nach Lohnerhöhungen um 10,5 bzw. zwölf Prozent sind in Zeiten der Inflation nicht nur aus sozialen Gründen völlig berechtigt. Ihre Erfüllung wäre eine entscheidende Voraussetzung dafür, die dramatische Abwanderung von Arbeitskräften insbesondere aus dem öffentlichen Nahverkehr zu stoppen. Schon jetzt fehlen dort Zehntausende. Die Verkehrswende weg vom klimaschädlichen Individualverkehr kann aber nur gelingen, wenn durch gute Arbeitsbedingungen viel mehr Menschen für eine Ausbildung oder einen Job in diesem Bereich gewonnen werden können.

Abgesehen davon hat das sozialpartnerschaftliche Agieren, zu dem die Unternehmer die Gewerkschaften jetzt mahnen, selten zu für die Arbeitenden befriedigenden Ergebnissen geführt. Vielmehr sind die Reallöhne insbesondere bei Geringverdienern in den letzten 30 Jahren kaum gestiegen. In den drei Coronajahren sind sie sogar für die Mehrheit der Beschäftigten gesunken.

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