Die Platte sieht gut aus

Von der DDR lernen, heißt bezahlbare Wohnungen bauen

  • Andreas Fritsche
  • Lesedauer: 4 Min.

Wenn an der Stadtbrücke von Frankfurt (Oder) das Zukunftszentrum für Deutsche Einheit und europäische Transformation gebaut worden wäre, so hätte für die unteren fünf Etagen ein Plattenbau den herrlichen Blick auf die Oder versperrt. Ob man den nicht wegreißen könnte, habe die Jury gefragt, die darüber zu befinden hatte, welche ostdeutsche Stadt den Zuschlag für das Zentrum bekommt, plaudert Oberbürgermeister René Wilke (Linke) nun aus dem Nähkästchen.

Aber nein! Kommt gar nicht in die Tüte. So etwas wird in Frankfurt (Oder) seit 2018 aus guten Gründen nicht mehr gemacht. Die Jury wunderte sich ein bisschen, dass die Kommune in dieser Frage stur bleibt, berichtet der Oberbürgermeister. Das Zukunftszentrum soll nun nach Halle/Saale kommen. Weil der Plattenbau nicht verschwindet? Wilke winkt ab: »Daran hat es nicht gelegen.«

Wohnungswirtschaft in Frankfurt (Oder)
  • Bei der kommunalen Wohnungswirtschaft Frankfurt (Oder) GmbH (WOWI) stehen laut Oberbürgermeister René Wilke (Linke) 428 Wohnungen leer. »Nicht alle davon sind sofort bezugsfertig.«
  • 2022 investierte die WOWI 27 Millionen Euro. 2023 ist ein Rekordwert von 36 Millionen angepeilt. Damit stößt sie Wilke zufolge an Grenzen, denn Bauarbeiter sind knapp.
  • Der Anteil kommunaler und genossenschaftlicher Wohnungen am Gesamtwohnungsbestand der Stadt sinkt, wie der Rathauschef bedauert.
  • In Frankfurt (Oder) wurde Ende 2021 eine Monatsmiete von durchschnittlich 5,17 Euro je Quadratmeter nettokalt verlangt (Berlin 6,52 Euro, Potsdam 6,43 Euro).
  • Plattenbauwohnungen am Juri-Gagarin-Ring sollen nach ihrer Sanierung 5,40 Euro bis 6,50 Euro je Quadratmeter kosten. Ohne gewährte Fördermittel müsste man bei 7,50 Euro starten, sagt Wilke. af

    Die Begebenheit ist aber ein schönes Sinnbild dafür, wie die einst beliebten Plattenbauten nach der Wende in Verruf gerieten und nun langsam gerechter beurteilt werden, auch wenn sich das noch nicht überall herumgesprochen hat.

    Am Freitagabend wird im Blok O von Frankfurt (Oder) über den Städtebau der DDR geredet und darüber, wie er das Leben bis heute prägt. »Mehr als Platte« – unter dieser Überschrift haben die Rosa-Luxemburg-Stiftung und die Linksfraktion im brandenburgischen Landtag zur Diskussion eingeladen.

    280 Plattenbauten mit zusammen 8000 Wohnungen haben in Frankfurt (Oder) überlebt. Doch bis 2018 der Abrissstopp verfügt wurde, der damals noch umstritten war, sind 10 545 Wohneinheiten beseitigt gewesen. Andernfalls würde die Leerstandsquote heute 42 Prozent betragen, erläutert René Wilke. Schließlich schrumpfte die Einwohnerzahl von 87 000 im Jahr 1989 auf weniger als 57 000 im Jahr 2021. Doch 2022 gab es dann unter dem Strich ein Plus von 1750 Einwohnern – und das nicht allein wegen der ukrainischen Flüchtlinge. Die Leerstandsquote sank binnen eines Jahres von 6,7 Prozent auf 5,7 Prozent. Alles zur richtigen Zeit richtig gemacht, kann Oberbürgermeister Wilke deshalb mit Blick auf den Abrissstopp vermerken. 42 Prozent Leerstand wären für die kommunale Wohnungswirtschaft und für die Wohnungsbaugenossenschaften eine unzumutbare Belastung gewesen. Aber zu gering sollte der Leerstand auch nicht werden, damit kein Druck auf die Mieten entsteht.

    Architektin Diana Felber erzählt, dass man Plattenbauten vor 20 Jahren zu Stadtvillen verkleinerte, während sie heute eher noch aufgestockt werden. Jüngere Wohnungen seien oft zu groß und damit zu teuer. Die typische DDR-Wohnungsbauserie WBS 70 biete dagegen effiziente Quartiere, die größer wirken, als sie tatsächlich sind. Die Fassaden seien auch kein Problem. »Die sehen ganz gut aus.« Die Platte habe lediglich ein Imageproblem, sagt Felber, die an der Technischen Universität Cottbus-Senftenberg lehrt.

    Woher dieses Imageproblem kommt? »Die Platte wurde in den Medien ganz stark stigmatisiert«, beklagt Harald Engler vom Leibnitz-Institut für Raumbezogene Sozialforschung in Erkner die Entwicklung in den 1990er Jahren. Er macht westdeutsche Unkenntnis dafür verantwortlich. »Eine schlimme Zeit.« Denn eigentlich sei das eine spannende Architektur mit interessanten Lösungen und großzügigen Grünanlagen – »ein Bestandteil der deutschen Kulturgeschichte, der Erhaltung und Pflege wert ist«. Natürlich mussten viele wegziehen, nachdem sie ihre Arbeit im Halbleiterwerk von Frankfurt (Oder) verloren. Natürlich zogen Bewohner um in Eigenheime oder hübsch sanierte Altbauwohnungen, wenn sie sich das leisten konnten. Damit ging die soziale Mischung verloren. Denn obwohl es ein Klischee sei, dass in der DDR der Kombinatsdirektor mit der Kassiererin Tür an Tür wohnte, so ganz falsch sei es nun auch nicht. Auch die sofortige Verkehrsanbindung der Großsiedlungen – in Frankfurt (Oder) durch die Straßenbahn, in Berlin-Marzahn durch die S-Bahn – könne sich sehen lassen. Wenngleich die DDR der heute überholten Vorstellung von der autogerechten Stadt nahekommen wollte, wie Engler sagt. »Von der DDR lernen, heißt siegen lernen, gilt nicht«, meint er zwar. Schränkt jedoch ein: »Beim seriellen Bauen vielleicht schon.« Denn an bezahlbaren Wohnungen mangelt es heute zunehmend.

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