Langer Weg zum Frieden in Kolumbien

Die Regierung von Präsident Gustavo Petro verhandelt mit verschiedenen bewaffneten Gruppen

  • Sara Meyer Bogotá
  • Lesedauer: 4 Min.

Die Linksregierung Kolumbiens nähert sich ihrem Ziel, das gewaltmüde Land nach mehr als fünf Jahrzehnten zu befrieden, weiter an. Präsident Gustavo Petros Projekt, einen »allumfassenden Frieden« herbeizuführen, bekam mit der Ankündigung, sich mit den Farc-Dissidenten an den Verhandlungstisch setzen zu wollen, zusätzlichen Aufwind. »Ein zweiter Friedensprozess beginnt. Es wird ein Dialog zwischen der Regierung und dem Zentralen Generalstab eingerichtet«, verkündete der Regierungschef Mitte März auf Twitter, ohne weitere Details zu nennen. Die Aufhebung von 19 Haftbefehlen, die gegen Teile der aktiven Farc-Kämpfer*innen anhängig waren, verlieh diesem Vorhaben Glaubwürdigkeit.

Neben den bereits fortgeschrittenen Friedensgesprächen mit den marxistisch-orientierten ELN-Rebellen soll nun auch mit deren Hauptrivalen Estado Mayor (Zentraler Generalstab) ein formeller Dialog eröffnet werden. Diese illegal bewaffnete Gruppe ging aus einer Abspaltung der ehemaligen Farc-Guerilla hervor, die sich dem Friedensabkommen von 2016 zwischen der kolumbianischen Regierung und der Farc nicht angeschlossen hatte. Der Estado Mayor ist in weiten Teilen des Landes und im Nachbarland Venezuela aktiv und finanziert sich überwiegend durch Drogenhandel.

Die Einbeziehung von Dissidenten stellt von Anfang an eine der größten Herausforderungen für einen umfassenden Frieden dar. Dies ist insbesondere auf die unübersichtlichen Strukturen dieser illegalen Akteure zurückzuführen. Die Problematik dezentraler Kommandostrukturen bringt die Gefahr mit sich, dass sich erneut vereinzelte Kämpfer*innen gegen einen Waffenstillstand entscheiden könnten, was den Frieden Kolumbiens aufs Neue gefährden würde.

Erst vergangene Woche warnte das Internationale Rote Kreuz vor der humanitären Lage im Land: Die Organisation sieht die anhaltenden bewaffneten Auseinandersetzungen zwischen der ELN und den Farc-Dissident*innen als größte Bedrohung. Dies bestätigt regelmäßig auch die Bevölkerung, die unter der anhaltenden Gewalt nicht nur körperlich, sondern auch psychisch leidet. Allein im vergangenen Jahr wurden mehr als 500 durch Sprengkörper verursachte Verletzungen gemeldet, über 200 Menschen verschwanden spurlos. Inzwischen befinden sich innerhalb Kolumbiens mehr als sieben Millionen Personen auf der Flucht.

Auch die Verhandlungen mit den ELN-Rebellen gehen entgegen Petros optimistischen Annahmen schleppender voran als erwartet. Bisher ist von einer Niederlegung der Waffen selten die Rede, und wenn, dann in Form von vagen Formulierungen. Die Delegationen verließen die zweite Runde der Gespräche in Mexiko mit einem förmlichen Abkommen, in dem die Agenda für den weiteren Dialog festgelegt und der Wille bekräftigt wurde, die Bevölkerung an diesem Prozess zu beteiligen. Das lange ersehnte Endziel, eine dauerhafte Waffenruhe zu besiegeln, wurde aber vorerst in die dritte Verhandlungsrunde, die in Kuba stattfinden soll, verschoben.

Zwischen den Verhandlungspartnern kam es seit Jahresbeginn immer wieder zu Turbulenzen. Zuerst kündigte Präsident Petro eine sechsmonatige bilaterale Feuerpause an, was anschließend von der ELN-Guerilla dementiert wurde. Anfang März tötete das kolumbianische Militär zudem einen der führenden Köpfe der aktiven ELN-Guerilla, Comandante Rivas. Ferner drängen die Rebellen am Verhandlungstisch weiterhin darauf, rechtlich als bewaffnete politische Rebellenorganisation eingeordnet zu werden. Dies könnte unter anderem zur Folge haben, dass erstmals die in Kolumbien vorherrschenden sozialen Strukturen offiziell als Ursache des mehr als 50 Jahre andauernden bewaffneten Konflikts anerkannt würden.

Petros ambitioniertes Projekt des »allumfassenden Friedens« strebt ferner eine Einigung mit einer weiteren Fraktion ehemaliger Farc-Kämpfer*innen an. Neben diesen politischen Friedensprozessen will er sich künftig dreier weiterer krimineller Organisationen annehmen, wie etwa dem »Golfclan«, einer mafiösen, paramilitärischen Struktur, die immer weiter an Einfluss im Land gewinnt und Terror gegen die Zivilbevölkerung ausübt. Auch mit ihnen soll eine friedliche Annährung angestrebt werden.

Mit dem Golfclan hatte die Regierung eine Feuerpause vereinbart, die aber aufgrund der zunehmend schwierigen Sicherheitslage und anhaltenden Kritik von Regierungsseite aus vergangener Woche beendet wurde.

Kolumbien blickt auf eine Vielzahl von gescheiterten Friedensgesprächen zurück. Die wichtigste Voraussetzung für das langersehnte Ende der Kämpfe wäre Vertrauen in die Worte der Regierung, die ihre Zusagen in der Vergangenheit nicht immer einhielt. Es bleibt die Hoffnung, dass der erste linke Präsident Kolumbiens den Wandel endlich herbeiführen kann.

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