Mit Brandschutz gegen Mieter

Am Amtsgericht Neukölln wird die Räumung des Hausprojekts »Brauni« verhandelt

Noch wohnen hier 40 Menschen: Hausprojekt »Brauni«
Noch wohnen hier 40 Menschen: Hausprojekt »Brauni«

Stühlerücken im Gerichtssaal: Am Dienstagmorgen herrscht im Saal 112 im Amtsgericht Neukölln Gedränge. Der Andrang im Publikumsbereich ist groß – dabei ist das Geschehen vorne recht trocken. Auf der Tagesordnung steht eine Güterverhandlung in einer Mietsache. Die Anwälte beider Seiten tauschen Angebote und Argumente aus, der Richter hört bedächtig zu und stellt knappe Nachfragen.

Warum also das große Interesse? Im Kern des Prozesses steht die Braunschweiger Straße 53/55, ein als »Brauni« bekanntes linkes Wohnprojekt in Neukölln. »Vor zehn Jahren haben wir uns zusammengefunden, um ein alternatives Wohnprojekt zu gründen«, sagt ein Vertreter der Hausbewohner, der Linus genannt werden will. Unweit vom S-Bahnhof Neukölln sei ein »Ort kollektiven Zusammenlebens in einer immer mehr individualisierten Gesellschaft« entstanden. Die Bewohner hätten die vier Stockwerke des alten Fabrikgebäudes selbst ausgebaut. »Wir haben alles selbst gemacht«, sagt Linus. Jetzt sei dieser Traum aber gefährdet. Denn der Eigentümer der Immobilie, eine Immobiliengesellschaft, will die über 40 Bewohner räumen.

Geklagt hat aber nicht der Eigentümer, sondern die Bewohnerschaft des Hauses. Sie wollen den Hauptmieter der Räumlichkeiten wechseln. »Es hat einen Wandel gegeben, ein Teil der Gründergeneration lebt nicht mehr hier und andere sind neu dazugekommen«, sagt Linus. Der Vermieter habe den Wechsel aber mit fadenscheinigen Argumenten abgelehnt. Nach langem Hin und Her klagten die Bewohner des Hauses. Auf die Klage reagierte der Vermieter wiederum mit Gegenklagen, die jetzt gemeinsam mit der ursprünglichen Klage verhandelt werden. »Der Vermieter nahm die Geschichte zum Anlass, um abstruse Gründe für eine Räumung zu finden«, so Linus.

Beklagt werden unter anderem Verstöße gegen Brandschutzrichtlinien und Mängel bei der hauseigenen Elektronik. Weil ein Raum des Wohnprojekts gelegentlich für politische Veranstaltungen genutzt wurde, wirft der Vermieter den Bewohnern vor, ein Gewerbe zu betreiben, für das es keinen Mietvertrag gebe. Selbst aus einem Straßenfest, das im vergangenen Jahr organisiert wurde, um Solidarität mit dem bedrohten Projekt zu zeigen, wird den Bewohnern ein Strick gedreht. Bei dem Fest seien beleidigende Äußerungen gegenüber dem Vermieter gefallen, beschwert sich sein Anwalt in einem gerichtlichen Schreiben.

Auch zu Beginn des Prozesses bekräftigt der Anwalt der Vermietergesellschaft deren Absicht. »Für uns ist der Räumungsanspruch essenziell«, antwortet er auf die Frage des Richters, ob sich die zwei Parteien nicht auf eine Instandsetzung einigen könnten. »Generell möchten wir, dass die Mieter ausziehen.« Bei den Vertretern der klagenden Bewohner löst das erwartbar wenig Begeisterung aus. »Wenn das der Anspruch ist, kommen wir nicht überein«, so einer der zwei Anwälte. »Der langfristige Verbleib muss gesichert sein.«

Weil die Positionen so unterschiedlich sind, kommt keine gütliche Einigung zustande. Die Vertreter der Bewohner schlagen noch vor, dass diese das Haus gemeinsam mit dem Miethäusersyndikat kaufen könnten. Der Anwalt der Immobilienfirma dreht sich zu einem der zwei Gesellschafter, der anwesend ist. »Das kommt nicht infrage«, sagt der Anwalt daraufhin. Der Richter ermutigt die Parteien trotzdem zu Verhandlungen vor dem nächsten Gerichtstermin.

Weil keine Einigung getroffen werden kann, geht das Verfahren also weiter. Die Anwälte diskutieren die Argumente, die für oder gegen eine Räumung sprechen. Der Anwalt des Vermieters sieht den ursprünglichen Mietvertrag durch den Mieterwechsel verletzt. Es beginnt eine Diskussion über die Auslegung von Urteilen des Bundesgerichtshofs. Der Richter folgt der Diskussion aufmerksam, um am Ende festzustellen: »Man kann das so oder so sehen.«

Obwohl der Richter sich auch in anderen Fragen noch nicht festlegen will, lässt er doch durchblicken, dass er die formalen Begründungen des Vermieter-Anwalts für »wahrscheinlich nicht ausreichend« für eine Räumung ansieht. Dem Argument, dass das Wohnprojekt ein Gewerbe betreibe, will er nicht folgen. »Ein Gewerbemietverhältnis scheint es mir nicht zu sein«, sagt er.

Entscheidend wird also die Frage sein, ob Brandschutz und Elektronik des Gebäudes rechtskonform sind. Ein vom Vermieter beauftragter Gutachter hatte nach einer Besichtigung im November vergangenen Jahres auf Mängel hingewiesen. Für die Anwälte des Projekts ist das Gutachten mehr Schein als Sein. »Wer die Fachsprache kennt, der weiß, dass nur Kleinigkeiten bemängelt werden«, so der Anwalt. Diese würden aber mit für Laien bedrohlich klingenden Begriffen größer gemacht als sie sind.

Auch Linus vom Kollektiv hält die Argumentation in dem Gutachten für dünn. »Sie suchen nach Problemen, weil sie nicht vertragsgemäß kündigen können«, sagt er. Baumängel seien kaum gefunden worden. »Hauptsächlich wird beklagt, dass Protokolle vom Einbau der Elektronik fehlen«, so Linus. Eine Räumung würde das nicht rechtfertigen. »Probleme kann man ja auch lösen«, sagt er. Das Kollektiv sei jedenfalls bereit, bestehende Mängel zu beseitigen.

Eine Entscheidung fällt am Dienstag noch nicht. Die Parteien einigen sich darauf, in vier bis sechs Wochen erneut zusammenzukommen. Dann soll nach weiteren Verhandlungen ein Urteil fallen. »Nach dem Tag heute sind wir eigentlich ganz zuversichtlich«, sagt Linus. Er freut sich, dass der Richter signalisiert habe, bei den vertragsrechtlichen Fragen eher auf der Seite der Bewohner zu stehen. Um jetzt zu klären, ob der Brandschutz und die Elektronik den gesetzlichen Bestimmungen entsprechen, könnte der Richter noch eine weitere Begehung anordnen. Der anvisierte Zeitplan wäre dann wohl nicht mehr einhaltbar.

Für Linus steht bei der Verhandlung viel auf dem Spiel. Die »Brauni« sei ein »Ort der Selbstorganisation«. »Hier wird viel für den Kiez gemacht«, sagt er. Das Haus biete auch zahlreichen Menschen mit Fluchtgeschichte eine Unterkunft, es sei ein »vielfältiger Ort«, so Linus. Für den möchte er auch weiter kämpfen: Sollte das Gericht dem Räumungsgesuch des Vermieters stattgeben, würde das Kollektiv in jedem Fall in die nächste Instanz gehen. »Wir wollen bleiben«, sagt Linus.

Werde Mitglied der nd.Genossenschaft!
Seit dem 1. Januar 2022 wird das »nd« als unabhängige linke Zeitung herausgeben, welche der Belegschaft und den Leser*innen gehört. Sei dabei und unterstütze als Genossenschaftsmitglied Medienvielfalt und sichtbare linke Positionen. Jetzt die Beitrittserklärung ausfüllen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft

Das »nd« bleibt gefährdet

Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.

- Anzeige -
- Anzeige -