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Doppelt arbeiten für die Karriere

Die konservative Wende in Russland bekommen Frauen auch in der Berufswelt zu spüren

  • Roland Bathon
  • Lesedauer: 4 Min.
Das offizielle russische Familienbild: Der Mann arbeitet, in diesem Fall als Soldat im Osten Russlands, die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder – und arbeitet im Zweifel auch noch.
Das offizielle russische Familienbild: Der Mann arbeitet, in diesem Fall als Soldat im Osten Russlands, die Frau kümmert sich um Haushalt und Kinder – und arbeitet im Zweifel auch noch.

Die derzeit in Russland propagierte Idee einer »russischen Welt« ist voll von Idealen, die man gerade aus einer aufgeklärten Sicht ultrakonservativ nennen muss. Ein Baustein ist die Gegnerschaft zum Feminismus westlicher Prägung. So spricht das Föderationsratsmitglied Margarita Pawlowa im Zusammenhang mit dem Feminismus von einer »Verunglimpfung« der Werte der traditionellen Familie und Familienrolle der Frau. Organisationen, die die Rechte von Frauen und Minderheiten schützten, nähmen einen vorderen Platz in der Liste der »Feinde« des Staates ein, stellt dazu die russische Politologin Jekaterina Schulman im Nachrichtenportal Meduza fest.

So haben nicht nur queerfeministische Aktivistinnen einen noch bedrängteren Stand als vor der russischen Invasion der Ukraine. Abweichungen vom propagierten Modell werden in immer geringerem Maße geduldet. Hier stellen sich zwei Fragen: Beeinträchtigt das zugrunde liegende Frauenbild auch die beruflichen Möglichkeiten der nicht feministisch aktiven Frauen? Und folgt die »russische Welt« dem reaktionären Frauenbild »Kinder-Küche-Kirche«, dem zufolge die Frau zugunsten der Kindererziehung und Mutterrolle im Beruf zurückstehen muss?

Solche Vorstellungen sind von der Lebenswirklichkeit junger Frauen in russischen Metropolen seit Jahrzehnten weit entfernt. Bereits in der frühen Sowjetunion war die »arbeitende Frau« Normalität. Frauenrechte waren ein formelles Postulat der sowjetischen Gesellschaft, die Stellung der Frau in Politik und Wirtschaft war lange stärker als im Westen. Ende der 60er Jahre war der Frauenanteil im Obersten Sowjet achtmal so hoch wie im US-Kongress. Doch das zog sich nicht bis in die Spitze: Im Politbüro saßen nur Männer.

Geblieben ist jedoch eine starke Stellung der Frauen in technischen Wirtschaftssektoren. Zu den Branchen mit den besten Karrierechancen für Frauen zählt die Moskauer Tageszeitung »Kommersant« unter anderem die Telekommunikation, den Schwermaschinenbau und die Metallurgie, also eher untypische Branchen. Positive Geschichten von Frauen, die sich in Männerdomänen durchsetzen, gehören bis heute zum Repertoire russischer Medien. So berichtete die Zeitung »Don24« von der Durchsetzungskraft einer Elektroschweißerin und einer Konstrukteurin in der Schwerindustrie – ein Beitrag, der genauso gut Teil eines deutschen Programms für Mädchen in Mint-Berufen sein könnte.

Dass dieses positive Bild von Frauen in technischen Berufen in der Zeit der »russischen Welt«, in der sonst alles Moderne abgelehnt wird, erhalten geblieben ist, liegt daran, dass in dieser Ideologie neben Konservativismus auch Sowjetnostalgie mitschwingt. Werden feministische Aktivistinnen von den Ideologen des Kreml sofort mit dem »dekadenten Westen« assoziiert und bekämpft, verbinden diese mit der Ingenieurin oder Lkw-Fahrerin eher Ideale der Sowjetepoche.

Der Lebensalltag der russischen Frauen ist aber keine heile Welt. Denn die von den herrschenden Konservativen betriebene »Wende zurück« und das propagierte klassische Frauen- und Familienbild strahlen stark in das Berufliche aus. Laut »Kommersant« werden Frauen heute seltener für gut dotierte Positionen und solche im Management vorgeschlagen als vor zehn Jahren.

Während russische Frauen zu mehr als zwei Dritteln berufstätig sind, betrug schon vor dem Ukraine-Krieg ihr Einkommen im Schnitt weniger als 60 Prozent des Einkommens der Männer. Frauen arbeiten daneben vermehrt in einer halblegalen Grauzone ohne Sozialversicherung, oft in mehreren Jobs. Bei der Geschlechtergerechtigkeit lag Russland 2021 im internationalen Vergleich im hinteren Mittelfeld. Dass sich diese Ungerechtigkeit im Berufsleben durch die Politik und Propaganda noch verstärkt, davon zeugt eine Umfrage des staatlichen Meinungsforschungsinstituts WZIOM. Demnach nimmt der Anteil der Russen zu, der Männer generell für besser für Führungspositionen geeignet hält als Frauen.

Nicht nur die schlechteren Aufstiegschancen benachteiligen russische Frauen. Auch die Doppelbelastung durch Familie und Beruf ist bei einem propagierten Familienbild, in dem Hausarbeit und Kinderbetreuung hauptsächlich Frauensache sind, wesentlich stärker. Schon jetzt managen viele russische Frauen weitgehend alleine ihre Familie. Das politische Ideal, festgeschrieben in einer offiziellen »Strategie der Bevölkerungspolitik bis 2025«, ist die »traditionelle Familie«, die Frau habe »demografische Pflichten«.

Dass dieses Ideal mit der Verdrängung der Frauen aus der Berufswelt durchgesetzt wird, ist jedoch unwahrscheinlich. Es ist eher ein Element der Propaganda, wie die russische Gender-Wissenschaftlerin Irina Kosterina feststellt. Die russischen Durchschnittsbürger wollen ihr zufolge nicht, dass sich der Staat generell in den Bereich des Privaten einmischt. So werden den russischen Frauen in Zukunft zumindest beruflich weiter viele Türen offenstehen. Um sie zu öffnen, müssen sie jedoch wesentlich mehr Kraft aufwenden als ihre männlichen Kollegen.

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