Finnland droht Rechtsruck

Die Parlamentswahl am Sonntag kann das Ende der Regierung von Sanna Marin bedeuten

  • Robert Stark, Helsinki
  • Lesedauer: 4 Min.

Eines ist bereits seit Monaten klar: Es wird ein sehr spannender Wahlabend werden, wenn am Sonntag das neue Parlament in Finnland gewählt wird. Noch in der letzten Umfrage der Zeitung »Helsingin Sanomat«, zeigte sich ein Kopf-an-Kopf-Rennen ab. Die konservative Nationale Sammlungspartei unter Petteri Orpo liegt bei knapp 20 Prozentpunkten. Sanna Marins Sozialdemokraten und die rechtsextreme Partei Perussuomalaiset (Wahre Finnen) unter Riikka Purra bei leicht über 19 Prozent. Zu befürchten sind ein Wahlsieg von Rechtsaußen und komplizierte, lange Koalitionsverhandlungen.

Finnlands Parteiensystem ist recht zersplittert. Neben den drei großen Parteien buhlen noch drei mittelgroße Parteien – Linksbündnis, Grüne und agrarische Zentrumspartei – um die Wählergunst. Die Partei der schwedischsprachigen Minderheit, die Christdemokratie oder eine weitere neoliberale Partei könnten für die Regierungsbildung das Zünglein an der Waage werden. Die aktuelle Koalition aus Marins Sozialdemokratie, Grünen, Linken, Schwedischer Volkspartei und Zentrum wird das Bündnis kaum fortsetzen können. Zu häufig hatte es Konflikte insbesondere mit der Zentrumspartei gegeben, die die Interessen von Waldbesitzern oder Bauern gegen vermeintlich allzu ambitionierten Umweltschutz verteidigt.

Die noch amtierende Regierung unter der 37-jährigen Sanna Marin bekam zwar international so viel Aufmerksamkeit wie selten vorher ein finnischer Regierungschef. Aber das weibliche Quintett der Parteivorsitzenden sah sich von Anfang an kontinuierlichen Angriffen der rechten Opposition ausgesetzt. Mal sorgte ein geleaktes Video von Marin beim Tanzen für Aufregung, mal wurde sie für einen Staatsbesuch in Schweden in Lederjacke attackiert. Politisch bot die Mitte-Links-Koalition in den letzten vier Jahren keine allzu große Angriffsfläche: Finnland meisterte die Corona-Pandemie im europäischen Vergleich sehr gut und der Beitritt zur Nato steht unmittelbar bevor, obwohl auch das Nato-kritische Linksbündnis Teil der Koalition ist. Die Arbeitslosenquote liegt bei unter sieben Prozent und die Erwerbstätigenquote betrug im Januar 74,5 Prozent – ähnliche Werte wie in der Bundesrepublik.

Die konservative und rechtsnationale Opposition hat ihren Wahlkampf vor allem auf der steigenden Staatsverschuldung aufgebaut und eine massive Angstmacherei betrieben. Seit 2008 ist die Staatsschuldenquote kontinuierlich gestiegen, im letzten Jahr lag sie bei 71 Prozent der Höhe des Bruttoinlandsprodukts. Im Vergleich mit den nordischen Nachbarländern steht Finnland so deutlich schlechter – im europäischen Vergleich allerdings weiterhin gut da.

Den Wahlkampf prägte folglich vor allem ein Bietergefecht um die weitestgehenden zukünftigen Kürzungen – Orpos konservative Sammlungspartei will mindestens sechs Milliarden Euro in der kommenden Legislaturperiode einsparen, Purras Rechtspopulisten sogar zehn Milliarden. Dass Renten gekürzt, Sozialleistungen eingespart oder Steuern erhöht werden, erklärt naturgemäß keine Partei vorab gern – der Wille zur Politik der Austerität ist allerdings schon jetzt deutlich artikuliert. Die Themen Überalterung, Arbeitskräftemangel, Klimaschutz oder das kriselnde Gesundheitssystem blieben dabei auf der Strecke.

Allgemein war der Wahlkampf für finnische Verhältnisse recht bissig. In einem Triell der drei möglichen Ministerpräsidenten im öffentlich-rechtlichen Sender YLE schrien sich Marin und Purra in der letzten Woche beim Themenfeld Arbeitsmigration fast an – ungewöhnlich für die verhaltene, konsensorientierte Diskussionskultur im hohen Norden.

Marin hatte sich auch in ihrer Kampagne deutlich linker positioniert als andere europäische Sozialdemokraten, die Wahren Finnen bezeichnete sie als rassistisch und schloss eine Zusammenarbeit aus. Tatsächlich wurde z.B. der ehemalige Vorsitzende der Partei Jussi Halla-Aho wegen Volksverhetzung verurteilt und die Jugendorganisation der Partei musste vor drei Jahren neu gegründet werden: Der ethnonationalistische Flügel hatte das Ruder übernommen, staatliche Förderung wurde gestrichen und die Jugendorganisation ging in Konkurs.

Insbesondere in kleineren Städten, bei Männern mittleren Alters und in Vorstädten ist die Partei aber ungebrochen beliebt. Eine Ministerpräsidentin Riikka Purra ist zwar theoretisch möglich, doch relativ unwahrscheinlich. Bei einem Wahlsieg der Wahren Finnen ist die Bildung einer Koalition unter ihrer Führung unwahrscheinlich. Die Partei ist mit ihrem Anti-Migrations- und Anti-EU-Kurs isoliert und die Konservativen sind unwillig, den Juniorpartner zu spielen.

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