Tiktok-Verbot: Spielball der Geopolitik

Bei der Diskussion um ein mögliches Tiktok-Verbot geht es weniger um Datenschutz als um Machtinteressen

Allein auf weiter Flur: Weder in Europa noch in den USA gelingt es Tiktok-Chef Shou Zi Chew, die umfassenden Bedenken gegen sein Unternehmen aus dem Weg zu räumen.
Allein auf weiter Flur: Weder in Europa noch in den USA gelingt es Tiktok-Chef Shou Zi Chew, die umfassenden Bedenken gegen sein Unternehmen aus dem Weg zu räumen.

Shou Zi Chew hat schwere Wochen hinter sich. Zu Beginn des Jahres musste sich der Chef der Videoplattform Tiktok bereits Fragen der EU-Kommission bezüglich der Einhaltung des europäischen Datenschutzgesetzes stellen lassen. In der vergangenen Woche stand er dann dem Energie- und Handelsausschuss des US-Abgeordnetenhauses Rede und Antwort, um Bedenken bezüglich der Einflussnahme des chinesischen Staates bei der App auszuräumen. In beiden Fällen ist Chew gescheitert; der Druck auf die Plattform steigt. Neben EU-Kommission und -Parlament untersagen mittlerweile zehn weitere Regierungen ihren Mitarbeiter*innen, die App auf ihren Diensthandys zu nutzen. Auf EU-Ebene wird diese Maßnahme vor allem mit vagen Bedenken bezüglich der Cybersicherheit und des Datenschutzes begründet. Bei dem Unternehmen mit chinesischem Mutterkonzern könne man nicht sicher sein, was mit den Nutzerdaten geschehe und wer letztlich darauf Zugriff habe. In den USA gehen die Bedenken noch weiter, zusätzlich zum Vorwurf der Datensammelwut ist dort noch von Spionage und chinesischer Propaganda die Rede. War die Nutzung der Plattform für Regierungsbeschäftigte bereits vor Monaten untersagt worden, steht mittlerweile sogar ein Verbot im Raum.

Dass die Vorwürfe nicht gänzlich aus der Luft gegriffen sind, zeigt ein Vorfall aus der jüngsten Geschichte von Bytedance, zu dem auch Tiktok gehört. Dort musste man erst vor wenigen Monaten zugeben, dass man bei der Suche nach undichten Stellen auch auf die Nutzerdaten von US-Journalist*innen zugriff, die zuvor kritisch über das Unternehmen berichtet hatten. Mithilfe von Standortdaten sollte herausgefunden werden, welche Mitarbeiter*innen sich mit den Journalist*innen getroffen hatten. Die dafür Verantwortlichen wurden entlassen, doch der Vorfall genügt, um das sowieso schon zwielichtige Bild des Konzerns bestätigt zu sehen. Zwar befindet sich dieser zu 60 Prozent in den Händen westlicher Investoren und hat seinen offiziellen Firmensitz auf den Cayman-Islands. Trotzdem unterhält man eine große Zentrale in Peking, und der staatliche China Internet Investment Fund (CIF) besitzt nicht nur ein Prozent der Anteile am Unternehmen, sondern stellt auch eines von drei Aufsichtsratsmitgliedern für das China-Geschäft.

Mangelnder Datenschutz auch in den USA

Wie andere westliche Anwendungen ist auch Tiktok im Land verboten, stattdessen betreibt Bytedance dort die baugleiche und ebenso erfolgreiche Schwester-App Douyin. Ähnlichkeiten im Algorithmus der beiden Anwendungen nähren immer wieder Spekulationen darüber, dass Inhalte chinesischer Staatsmedien nicht nur beim heimischen Douyin, sondern ebenfalls auf Tiktok verstärkt ausgespielt werden könnten. Weiteren Anlass zur Sorge gibt die nationale Gesetzgebung. So darf in Fällen der nationalen Sicherheit auf personenbezogene Daten zugegriffen werden, mit dem Geheimdienstgesetz von 2017 sind Unternehmen sogar zur Zusammenarbeit mit den Behörden verpflichtet.

Klar ist, bei der Nutzung von Tiktok werden nicht wenige Daten gesammelt. Etwa, wie oft die App benutzt wird, welche Inhalte angesehen werden oder von welcher IP-Adresse der Zugriff erfolgt. Bei entsprechender Zustimmung ebenfalls Standortdaten, Zahlungsinformationen, Kontakte aus dem Telefonbuch et cetera. Daraus lassen sich Persönlichkeitsprofile erstellen, um den Nutzer*innen gezielt Inhalte sowie auf ihre Interessen zugeschnittene Werbung anzuzeigen. Das ist allerdings kein Alleinstellungsmerkmal. Auch westliche Social-Media-Dienste, von Youtube über Facebook, Instagram bis Twitter beruhen auf genau diesem Geschäftsmodell – und sammeln in der Regel auch nicht weniger Daten als Tiktok.

Der flüchtige Blick auf die Wahlkämpfe von Donald Trump genügt, um zu verstehen, dass auch Dienste von US-Konzernen vor Verbreitung von Propaganda und Fake-News nicht gefeit sind. Und auch beim Datenschutz nehmen die Vereinigten Staaten nicht unbedingt eine Vorreiterrolle ein. Eine bundesweit gültige Regelung zum Thema existiert nicht, was Unternehmen ermöglicht, aus dem Verkauf personalisierter Datensätze ein Geschäft zu machen. Wollte China also massenweise an personenbezogene Daten aus den USA kommen, müsste es dafür nicht extra eine App entwickeln, sie könnten ganz einfach und legal erworben werden. Auf illegale Weise haben sich staatliche Hacker*innen sowieso bereits vor Jahren riesige Mengen beschafft. So waren allein zwischen 2015 und 2017 zusammengenommen mehr als 200 Millionen Amerikaner*innen von Datendiebstählen betroffen. Die Beute erstreckte sich von Sozialversicherungsnummern über Fingerabdrücke von Mitarbeiter*innen der US-Personalbehörde OPM bis hin zu Angaben zu Einkommen, Wohn- und Mailadressen von Mitarbeiter*innen und Kund*innen des Krankenversicherers Anthem.

Das digitale Machtgefüge gerät ins Schwanken

Dennis-Kenji Kipker ist Professor für IT-Sicherheitsrecht an der Uni Bremen und sieht bei der aktuellen Diskussion Parallelen zum Fall Huawei. Schon 2021 hatte Joe Biden veranlasst, Produkte des weltgrößten Anbieters von Telekommunikationsausrüstung vom US-Markt auszuschließen. Die Begründung damals: Enge Verbindungen zur chinesischen Regierung und die Warnung vor Spionage und Sabotage. Da Vorbehalte gegen die Videoplattform in ähnlicher Weise ebenso gegen andere Social-Media-Dienste angeführt werden könnten, ordnet Kipker die Causa Tiktok auch als Teil der geopolitischen Auseinandersetzung zwischen China und dem Westen ein. Im ZDF sagte er: »Tiktok ist letzten Endes nur ein politisches Exempel, das man statuieren will.« Man betone damit erneut, dass dem chinesischen Staat nicht zu trauen ist. Ebenso wolle man eine Situation wie beim Krieg gegen die Ukraine verhindern und »im Falle eines China-Taiwan-Konfliktes nicht von chinesischen Technologie-Exporten abhängig sein«.

Der Aufstieg der Video-App bringt indes auch das digitale Machtgefüge ins Schwanken. Schließlich beherrschten jahrzehntelang ausschließlich US-Plattformen den Markt für Social-Media-Dienste. Mit Tiktok hat nun das erste auch im Westen erfolgreiche soziale Netzwerk, das nicht aus den Vereinigten Staaten kommt, Fuß fassen können. Und es wächst rasant. Während Facebook etwa neun Jahre brauchte, um die Marke von einer Milliarde Nutzer*innen zu erreichen, dauerte es bei Tiktok nur halb so lang. Mit seinen 1,8 Milliarden Nutzer*innen liegt es heute zwar noch deutlich hinter Facebook (2,9 Milliarden), doch an Potenzial aufzuschließen mangelt es kaum. Globale Trends werden nicht mehr auf Mark Zuckerbergs Plattformen, sondern auf der beliebten Video-App gesetzt. Das haben auch Werbekunden längst verstanden: Mit knapp über 100 Milliarden US-Dollar investieren sie in diesem Jahr erstmals mehr Geld für Social-Media-Anzeigen in China als in den USA. Schon im kommenden Jahr könnte Tiktok Prognosen zufolge mit dem bisherigen Marktführer Youtube gleichziehen und Werbeeinnahmen in Höhe von 23,6 Milliarden Dollar generieren.

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