PKK: Verbotene Wissenschaft in Hamburg

1.300 internationale Gäste wollten an der Konferenz »Wir wollen unsere Welt zurück« teilnehmen

  • Christopher Wimmer
  • Lesedauer: 5 Min.
Die Hörsäle bleiben an Ostern wohl leer. Das Präsidium der Universität Hamburg hat einem geplanten Kongress die Veranstaltungsräume entzogen.
Die Hörsäle bleiben an Ostern wohl leer. Das Präsidium der Universität Hamburg hat einem geplanten Kongress die Veranstaltungsräume entzogen.

Die Universität Hamburg hat den Veranstaltern der Konferenz »Wir wollen unsere Welt zurück« nach Hinweisen des Inlandsgeheimdienstes kurzfristig die Veranstaltungsräume in der Universität entzogen. Der Präsident der Hochschule Prof. Hauke Heekeren habe entschieden, das Audimax nicht mehr zur Verfügung zu stellen, wie der Allgemeine Studierendenausschuss (AStA) der Universität als Mitveranstalter am Montag mitteilte. Der Grund für die Absage sei eine vermeintliche Nähe der Konferenz sowie von Teilnehmer*innen zur verbotenen und als terroristisch eingestuften »Arbeiterpartei Kurdistans« (PKK).

Die Konferenz mit rund 1.300 Gästen aus dem In- und Ausland sollte über das Osterwochenende in Hamburg stattfinden. Sie ist Teil einer Reihe von Konferenzen unter dem Titel »Die kapitalistische Moderne herausfordern« (siehe nd.Die Woche vom 1. April 2023). In den vergangenen zehn Jahren konnten bereits drei derartige Konferenzen ohne Probleme an der Hamburger Universität durchgeführt werden, zuletzt im Jahr 2017. Dieses Jahr werden unter anderem der irisch-mexikanische Politikwissenschaftler John Holloway und die erste indigene Präsidentschaftskandidatin für die Präsidentschaftswahl 2018 in Mexiko, María de Jesús Patricio Martínez, erwartet.

Die Teilnehmer*innen aus Wissenschaft, sozialen Bewegungen und der Hamburger Studierendenschaft wollten in Workshops und bei Podiumsveranstaltungen gemeinsam über drängende Gegenwartsfragen debattieren: Im Fokus standen Themen wie die Klimakrise, Alternativen zum Kapitalismus oder patriarchale Gewalt. Durch die Verbindung von wissenschaftlichem Anspruch und Akteuren aus der Zivilgesellschaft sowie durch ihren internationalen Charakter dürfte die Konferenz in dieser Form einzigartig sein.

Organisiert wurde die Konferenz vom AStA der Universität Hamburg und dem Bündnis »Network for an Alternative Quest«, das sich sowohl auf akademischer als auch auf politischer Ebene für eine Zusammenarbeit zwischen der kurdischen Freiheitsbewegung und weiteren globalen Bewegungen einsetzt. »Die Absage erreichte uns aus heiterem Himmel. Wir sind geschockt darüber, wie weit der Verfassungsschutz in die Universität hineinregieren kann«, sagte Reimar Heider vom »Network« im Gespräch mit dem »nd«. »Bei den bisherigen Konferenzen gab es keinerlei Beanstandungen oder Probleme«, ergänzte er.

Auch der AStA kritisierte die kurzfristige Absage: »Dieses Vorgehen der Universitätsleitung ist völlig unangemessen und ein kritischer Eingriff in den notwendigen Austausch unter uns Studierenden über Perspektiven, wie die künftige Welt gestaltet werden kann.« Dersim Dağdeviren, die Co-Vorsitzende des »Netzwerks kurdischer AkademikerInnen«, erkennt im Vorgehen der Universität einen Angriff auf die Wissenschaftsfreiheit. Es widerspreche allem, wofür die Universität eigentlich bekannt sei. »Die Universität Hamburg beschreibt sich als die vielfältigste Forschungseinrichtung Norddeutschlands. Die Vielfalt der Wissenschaft preisen, aber vielfältige Diskurse ausgrenzen, widerspricht dem Grundsatz der Wissenschaftsfreiheit«, sagte sie dem »nd« und ergänzte: »Die Freiheit, zu forschen, zu lehren und in den Diskurs zu treten, muss unantastbar bleiben. Die Konferenz bietet der Universität Hamburg eine exzellente Gelegenheit, im Sinne der Vielfalt internationale Gäste willkommen zu heißen und essenzielle globale Themen zu debattieren.« Auch die Co-Vorsitzende der Linksfraktion in der Hamburger Bürgerschaft, Cansu Özdemir, kritisierte die Einmischung des Geheimdienstes in die Belange der Wissenschaft und der universitären Autonomie.

Die Veranstalter kündigten zudem an, gegen die Entscheidung juristisch vorzugehen. Ein Anwalt sei eingeschaltet. Bereits seit Juni letzten Jahres sei man mit der Universität über die Konferenz im Gespräch. Trotz der wiederholten Ablehnung von Gesprächen durch das Uni-Präsidium seien die Veranstalter weiterhin gesprächsbereit. Sie fordern dieses weiterhin auf, die Räumlichkeiten zur Verfügung zu stellen. Eine entsprechende Erklärung wurde innerhalb weniger Stunden von über hundert Professor*innen, Akademiker*innen und Initiativen aus aller Welt unterstützt. Unter ihnen ist auch der Kommunikationswissenschaftler Kerem Schamberger. Er sagte dem »nd«: »Die Diskreditierung einer gesamten wissenschaftlichen Konferenz als extremistisch ist eine massive Einschränkung der Meinungsfreiheit. Wissenschaft lebt doch gerade davon, dass an Universitäten Themen diskutiert werden, die über das Bestehende hinausreichen. Das ist der Sinn von Wissenschaft.« 

Die Universität verteidigte hingegen ihr Vorgehen. Nachdem die Hochschule durch den Geheimdienst nähere Informationen zum Hintergrund der Veranstaltung, zu Kooperationspartnern und zu einzelnen Inhalten erhalten habe, sei die Genehmigung widerrufen worden, hieß es vonseiten der Universität. Unter anderem wird der Konferenz vorgeworfen, dass Ebru Günay, die ehemalige Anwältin des PKK-Gründers Abdullah Öcalan, dort sprechen solle. Verschwiegen wird jedoch, dass sie auch die Co-Vorsitzende der zweitgrößten Oppositionspartei der Türkei, der Demokratischen Partei der Völker (HDP), ist. Auch weiteren unterstützenden Gruppen wie der Initiative »Freedom for Abdullah Öcalan – Peace in Kurdistan«, dem Verband der Studierenden aus Kurdistan (YXK) oder dem Kurdischen Zentrum für Öffentlichkeitsarbeit »Civaka Azad« wird PKK-Nähe vorgeworfen – ohne sich jedoch näher mit ihnen auseinanderzusetzen. »Es gibt für alle, die sich mit kurdischer Politik beschäftigen, eine Art Kontaktschuld«, beklagte Heider. »Es gibt keine wirkliche Kritik an den konkreten Inhalten der Konferenz. Alles wird einfach automatisch in die Nähe zur PKK gerückt.«

Noch deutlicher in der Kritik an der Hochschule wurde der AStA: »Es ist ein Skandal ohnegleichen, dass der Unipräsident nicht die Souveränität der Universität verteidigt, sondern sich vom Inlandsgeheimdienst diktieren lässt, wer wissenschaftliche Debatten in der Universität führen darf und wer nicht. Wir sind entsetzt über diesen Angriff auf die Organe der studentischen Selbstverwaltung, die Autonomie der Wissenschaft und die Meinungsfreiheit im Allgemeinen.«

Wie die Veranstalter*innen dem »nd« mitteilten, wird die Konferenz trotzdem im geplanten Zeitraum in der Hansestadt stattfinden. Man hoffe weiterhin auf eine Einigung mit der Hochschulleitung und darauf, die Räume doch noch nutzen zu können.

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