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  • Ausstellung »Chez Icke«

Kneipen: Berlins zweite Wohnzimmer

In der Kommunalen Galerie zeigen drei Fotografinnen die Kneipen der Hauptstadt von ihrer besten Seite

Bunter Ort der Geborgenheit: In Berliner Kneipen spielt sich mehr ab als Exzess und Spielsucht.
Bunter Ort der Geborgenheit: In Berliner Kneipen spielt sich mehr ab als Exzess und Spielsucht.

Dicke Luft, schummriges Licht, blinkende Spielautomaten und natürlich jede Menge Alkohol: Die Welt der Eckkneipen war Friederike von Rauch, Anna Lehmann-Brauns und Stefanie Schweiger lange Zeit fremd. Heute kennen sie die Berliner Kneipenkultur so gut wie wohl kaum jemand anderes. In über 100 Lokalen waren die Fotografinnen zu Gast, haben gefilmt, geknipst und mit altgedienten Wirt*innen gesprochen. Das Ergebnis mit dem Titel »Chez Icke« ist noch bis zum 28. Mai in der Kommunalen Galerie in Wilmersdorf zu sehen.

»Die Idee zum Projekt kam während der Zeit des Lockdowns«, sagt Friederike von Rauch zu »nd«. Dass der Stadt ohne die geöffneten Eckkneipen etwas Zentrales verloren gehe, sei deutlich zu spüren gewesen. Ohne selbst geübte Tresenhockerin zu sein, spricht die Fotografin von einem »Faszinosum«, das die Lokale seit jeher umgibt. »Ich bin in Berlin aufgewachsen und Anna auch. Wir sind schon immer an dieser Art Kneipen vorbeigelaufen«, führt sie aus. »Irgendwie hatte das schon immer etwas ganz Verheißungsvolles.«

Noch bevor die Gaststätten wieder öffnen durften, begannen von Rauch, Lehmann-Brauns und Schweiger mit ihren Recherchen. Schnell war klar: Im Zentrum der Arbeit sollten die ursprünglichen, vergleichsweise rauen Berliner Kneipen stehen. »Wir wollten kein Projekt machen, bei dem wir einsame Betrunkene vorführen«, sagt von Rauch. »Gleichzeitig sollte es nicht das Ziel sein, Alkohol und Spielsucht zu verharmlosen oder auszuklammern.« Kneipen, die dem rechtsextremen Spektrum zugeschrieben werden, habe man versucht, von vornherein auszuklammern.

Nach Ende des Lockdowns begannen die Fotografinnen damit, einen Tresen nach dem anderen abzuklappern – anfangs noch mit etwas Zurückhaltung, später dann immer selbstbewusster. »Zumindest bei mir war da zu Beginn eine kleine Schwellenangst«, sagt von Rauch. Sie habe befürchtet, in alteingesessenen Kneipen als »Fremdkörper« zu wirken. Eine Sorge, die sich zumindest mit Blick auf die Berliner Wirt*innen als unbegründet herausstellen sollte: »Ich habe schnell festgestellt, dass das hauptsächlich von mir ausgeht. Die haben schon alles gesehen.«

Die Arbeit vor Ort beschreibt die Künstlerin als erstaunlich unkompliziert, selbst wenn es ans Filmen ging. »Ich habe jahrelang im Film gearbeitet. Drehgenehmigungen waren da natürlich ein Riesenthema«, sagt sie. Auf entsprechende Nachfragen habe man in den meisten Kneipen mit Schulterzucken reagiert: »Ja, macht doch«, zitiert von Rauch den Tenor der Gastwirt*innen, wenn das Trio spontan und mit Equipment am Tresen aufkreuzte.

Wirkliche Probleme mit der Stammkundschaft habe es bis auf ein paar Sprüche nicht gegeben. »An manchen Orten waren wir dann auf einmal die ›Mädels‹, obwohl wir uns alle schon jenseits der 40 bewegen«, erzählt von Rauch. Eine »Männerdomäne« will sie trotzdem nur zum Teil erkennen. »Rund ein Drittel waren Frauen, aber wir sind auch nicht zu ganz später Stunde losgegangen.«

An Stelle des Exzesses tritt bei den Fotografinnen die Kneipe als sozialer Ort: Ein Wirt wartet zusammen mit seinem Hund auf die erste Kundschaft des Tages, ein anderer erzählt, wie er schon in der Schule von seinen Eltern in die Kochen-AG geschickt wurde, um ihn auf die Übernahme der Familienkneipe vorzubereiten. In »Chez Icke« ist vor allem Stefanie Schneider, die mit ihren Arbeiten versucht, die Menschen hinter dem Tresen zu porträtieren. Friederike von Rauch und Anna Lehmann-Brauns widmen sich derweil den Innenräumen, kleinen Wohnzimmern, die Menschen inmitten der Großstadt Geborgenheit schenken. All das sei eigentlich »sehr Nicht-Berlin«, sagt von Rauch. Den Künstlerinnen seien regelrechte »Familiengefüge« begegnet, Wirt*innen hätten während Corona heimlich geöffnet – nicht wegen des Geldes, sondern schlichtweg für ihre Kundschaft.

Zugleich ist die Ausstellung eine literarische. Etliche Bücher haben die Künstlerinnen durchforstet, um der Berliner Kneipenkultur und ihren Ursprüngen näherzukommen. Besucher*innen können sich durch eine Auswahl an Texten blättern, von Alfred Döblin und Hans Fallada bis hin zu Jörg Fauser. Hinzu kommt das, was die Fotografinnen auf ihren Kneipentouren aufgeschnappt haben, professionell in Berliner Mundart transkribiert, wie von Rauch versichert: »Ick bin hier imma«, »Hier klappt nüscht mehr außer der Tür, dit is Berlin«, »Aba is ooch ’n hartet Brot so ’ne Kneipe.«

Ohne dass es die Absicht der Künstlerinnen gewesen wäre, auf sämtliche Bezirke Rücksicht zu nehmen, sind sowohl der Berliner Westen als auch der Osten vertreten. Aus welchen Kneipen die Aufnahmen stammen, hält das Trio zwar nicht geheim, schreibt die Namen der Orte und Wirt*innen allerdings nicht direkt unter die Werke. »Die Ausstellung ist nicht dazu gedacht, dass die Leute die Kneipen abfahren und abtrinken«, sagt von Rauch. Trotzdem habe sie aus mehreren Gaststätten die Rückmeldung erhalten, dass seit Beginn der Ausstellung neues Publikum seinen Weg an die Tische findet.

Ein Erfolg ist »Chez Icke« schon jetzt, wie von Rauch verrät. Die Resonanz sei größer ausgefallen, als erwartet. »Es ist schön zu sehen, dass die Leute das so aufgenommen haben. Das Gästebuch ist voll«, sagt die Fotografin. Weitere Projekte zum Thema Kiezkneipe könne sie sich im Moment zwar nicht vorstellen, doch: »Auf Wanderung sollte diese Ausstellung auf jeden Fall gehen.«

»Chez Icke« läuft bis zum 28. Mai, der Eintritt ist frei. Öffnungszeiten: Dienstag bis Freitag, 10–17 Uhr, Mittwoch 10–19 Uhr, Samstag und Sonntag 11–17 Uhr.

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