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Guatemala: Der Rechtsstaat wankt
Die Präsidentschaftswahl in Guatemala könnte von einem korrupten Klüngel dominiert werden
Das Oberste Wahlgericht in der 6. Avenida zählt derzeit zu den wichtigsten Adressen in Guatemala Stadt. In dem Gründerzeitgebäude wird nämlich entschieden, wer zu den Präsidentschaftswahlen am 25. Juni zugelassen wird und wer nicht. Jordán Rodas gehört nicht zu den zugelassenen Kandidaten. Gegen den Beschluss des Wahlgerichts Gerichts hat der ehemalige Ombudsmann für Menschenrechte der guatemaltekischen Regierung Klage eingereicht. »Gemeinsam mit Thelma Cabrera, an deren Seite ich für die Vizepräsidentschaft kandidiere«, erzählt Rodas. Beide treten für die MLP an, die Bewegung zur Befreiung der Völker. Hinter der Partei steht die Bauernbewegung Codeca, die klare Ziele hat: »Wir stehen für grundlegende Reformen, die Ausrufung eines plurinationalen Staates ähnlich wie in Ecuador oder Bolivien, wo die indigenen Völker wirklich eine Stimme haben. Wir brauchen zudem geeignete Maßnahmen gegen die Korruption«, erklärt der 54-jährige Rodas im spanischen Exil.
Seit seiner fluchtartigen Abreise aus Guatemala nach dem Ende seiner Amtszeit als Ombudsmann für Menschenrechte lebt der Jurist in Bilbao. »Ich bin in Guatemala schlicht nicht sicher, muss befürchten, dass die Justiz gegen mich aktiv wird: mit konstruierten Anschuldigungen wie es gerade so oft passiert«, sagt Rodas. Der quirlige Mann sitzt auf gepackten Koffern. Zu gern würde er den Wahlkampf an der Seite von Thelma Cabrera aufnehmen, die bei den letzten Präsidentschaftswahlen mit einem vierten Platz und zehn Prozent der Stimmen einen Achtungserfolg landete.
Als gescheiterter Staat gilt ein Land, das grundlegende Funktionen nicht mehr gewährleisten kann. Dazu gehören die Aufrechterhaltung der Sicherheit, der Wohlfahrt und der Rechtsstaatlichkeit. Die Politikwissenschaft spricht dann von einem Failed State. In Guatemala ist das mehr und mehr der Fall, sagt der deutsche Jurist Michael Mörth, der seit Beginn der 1990er Jahre in Guatemala lebt. »Hier geben die organisierte Kriminalität, die Narcos gemeinsam mit dem ›Pakt der Korrupten‹ den Ton an. Sie verfügen über große Mengen an Ressourcen und lassen sich von Kritik aus den USA oder der Europäischen Union nicht mehr beeindrucken«.Sanktionen könnten daran etwas ändern. Die sind aber in Guatemala nicht in Sicht, obwohl die Kritik ähnlich wie in El Salvador zunimmt, wo seit mehr als zwölf Monaten ein Ausnahmezustand gilt, der grundlegende Bürgerrechte beschneidet. Noch gravierender ist die Situation in Nicaragua, wo das Ehepaar Daniel Ortega und Rosario Murillo eine Diktatur errichtet hat und selbst gegen die katholische Kirche Sicherheitskräfte aufmarschieren und eine gleichgeschaltete Justiz sanktionieren lässt. Drei Staaten, die mehr und mehr die Kriterien eines gescheiterten Staates erfüllen. Hoffnungsschimmer in der Region bleibt neben Costa Rica, die als Schweiz Mittelamerikas eine Sonderrolle spielt, auch Honduras. Dort versucht die demokratisch gewählte Präsidentin Xiomara Castro seit dem 27. Januar 2022, die Redemokratisierung des Landes auf den Weg zu bringen. Kernelement dabei soll eine UN-Kommission gegen Korruption und Straflosigkeit sein, die mit weitreichenden Befugnissen gegen die organisierte Kriminalität und korrupte Eliten vorgehen soll. Ende März war erst die letzte UN-Delegation vor Ort in Tegucigalpa, um die Details auszuhandeln. Ob die Kommission wie geplant Ende des Jahres gegründet wird, steht allerdings in den Sternen. Auch in Honduras gibt es massive Widerstände gegen eine unabhängige Justiz. khe
Die indigene Maya-Kandidatin Cabrera genieße dort Vertrauen, wo das konservative Lager nicht punkten könne, erklärt Héctor Reyes. Und das sei bei den indigenen Völkern Guatemalas. Für den Juristen und Leiter des Menschenrechtszentrums CalDH ist das Duo ein ernstzunehmendes Gespann, das den vielen zugelassenen Bewerber*innen des konservativen Lagers durchaus Paroli bieten könnte. Durch die Aussperrung der beiden solle der Weg frei gemacht werden für willfährige konservative Kandidat*innen, meint Reyes. »Das Wahlgericht hat die für uns so wichtigen Wahlen für die Familien, die das Land dominieren, verkauft.«
Für diese These spricht, dass Zury Ríos kandidieren darf, obwohl die Verfassung dieses Recht den Verwandten von Diktatoren verwehrt. Ríos ist die Tochter von Efraín Ríos Montt, der während seiner Amtszeit von 1982 bis 1983 für etliche Massaker an der indigenen Ethnie der Ixil verantwortlich ist. Im Genozid-Prozess wurde er 2013 zwar schuldig gesprochen, aber nie bestraft. Seine Tochter ist im evangelikalen Kirchenspektrum populär und genießt die Unterstützung der Militärs. Sie zählt zu den aussichtsreichen Kandidat*innen des Urnengangs am 25. Juni. Für Jordán Rodas ein Hinweis darauf, dass Guatemala ein neues autoritäres Regime droht.
Der Ausschluss von Kandidat*innen – neben Rodas und Cabrera wird auch dem konservativen Roberto Arzú, Sohn eines Ex-Präsidenten, oder Edmond Mulet von der Partei Cabal eine Kandidatur verwehrt – hat auch international für Kritik gesorgt. Die Menschenrechtsorganisation Human Rights Watch und die Organisation Amerikanischer Staaten haben die Entscheidungen des Wahlgerichts kritisiert und sich besorgt gezeigt.
Eine Einschätzung, die auch Héctor Reyes teilt: »Das ist ein Fall von Wahlfälschung von ganz oben – lange vor dem eigentlichen Urnengang.« Dagegen gehen die Anwälte der MLP mit allen juristischen Mitteln vor. Nachdem die Klage gegen das Urteil des Wahlgerichts vom Obersten Gerichtshof abgelehnt wurde, muss nun das Verfassungsgericht entscheiden. Dessen Urteil erwartet der Generalsekretär der MLP, Cirilo Pérez, in den kommenden Tagen. Dann hofft Jordán Rodas mit gehöriger Verspätung noch in den Wahlkampf eintreten zu können. »Die Zulassung unserer Kandidatur wäre ein Zeichen dafür, dass die Justiz in Guatemala noch nicht komplett ferngesteuert wird«, meint Rodas aus dem spanischen Exil.
Doch viel Hoffnung bleibt nicht. Die Justiz scheint bereits teilweise zum willfährigen Instrument der Politik geworden zu sein. »Kriminalisierung von Andersdenkenden ist Teil der perfiden Strategie, hinter der korrupte Politiker, die ökonomisch potenten Familien des Landes und das Militär stehen«, kritisiert Héctor Reyes. Als »Pakt der Korrupten« wird dieses Dreieck der Macht in Guatemala seit Jahren bezeichnet. Wer nicht mit uns ist, ist gegen uns, lautet die Devise innerhalb dieses Machtzirkels. Eine Schlüsselfunktion darin hat die Generalstaatsanwältin Consuelo Porras inne. Sie steht auf der Lohnliste des »Paktes der Korrupten«, ist in den USA längst zur »unerwünschten Person« erklärt worden und lässt ihr Personal aus durchsichtigen politischen Motiven bei Bedarf fallen. International angesehene Richter wie Miguel Ángel Gálvez und Staatsanwalt sowie Antikorruptions-Spezialist Juan Francisco Sandoval sind nur zwei Prominente unter mehr als dreißig Fällen, in denen Justizangestellte fluchtartig das Land verlassen mussten – weil gegen sie aus rein politischen Motiven ermittelt worden sei, erklärt Héctor Reyes.
Er vertritt gemeinsam mit den Kolleg*innen von CalDH derzeit den Fall des Staatsanwalts Orlando López, der sich wegen Amtsmissbrauchs verantworten muss. Bis nach Deutschland reicht in einem anderen Fall die Empörung. Ulrich Gurtner, der Schweizer Geschäftsführer des größten Genossenschaftsdachverbandes im Kaffeesektor Guatemalas, Fedecocagua, wurde am 24. März unter dem Verdacht der Geldwäsche festgenommen. Seitdem wartet der 66-Jährige auf eine Anhörung im Justizpalast der guatemaltekischen Hauptstadt. »Die war eigentlich für Dienstag vorgesehen, wurde aber kurzfristig abgesagt«, so Gerardo de León, der bei Fedecocagua für den Verkauf des Kaffees verantwortlich ist. Für die Genossenschaft mit rund 23 000 Mitgliedern, zumeist Kleinbäuer*innen mit weniger als drei Hektar Anbaufläche, sind die Ermittlungen gegen ihren Geschäftsführer aus zwei Gründen ein Desaster: »Da es bisher keine Anhörung gab, wissen wir bisher nicht genau, was Ulrich Gurtner und Fedecocagua vorgeworfen wird«, sagt Gerardo de León. Also können die Anwälte kaum etwas tun, um Gurtner zu entlasten. Noch gravierender ist hingegen, dass sämtliche Konten des zweitwichtigsten Kaffeeexporteurs Guatemalas gesperrt sind. »Wir können weder bestellten Kaffee exportieren, weil dafür Exportgebühren anfallen, noch unsere Mitglieder für die Lieferung ihres Kaffees bezahlen«, klagt Gerardo de León.
Das ist für die noch bis Anfang Mai laufende Ernteperiode ein Desaster: Die Bauern brauchen das Geld für ihre Kaffeebohnen. Große Kaffeeimporteure wie Tchibo, Nespresso oder die Fair Trade Company Gepa warten auf die bestellten Container aus Guatemala und wissen nicht, ob und wann die Ware kommt. »Für Fedecocagua ist das eine existenzbedrohende Situation«, so Kleber Cruz García, Einkaufsmanager bei der Gepa in Wuppertal. Die gehört seit 1973 zu den Stammkunden von Fedecocagua und hat sich gerade in einem Brief an das Europaparlament gewandt und um faire Ermittlungen gegen Gurtner und Fedecocagua gebeten. Genau die sieht der Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Misereor, Thomas Antkowiak, gefährdet. »Wir appellieren an die Handelsexperten des Europaparlaments, sich für eine faire Behandlung von Gurtner einzusetzen und einzufordern, dass Fedecocagua wieder zahlungs- und damit handlungsfähig wird.«
Ob das helfen wird, ist unklar. Denn in Guatemala kursiert die Vermutung, dass gegen Fedecocagua ermittelt wird, weil das Genossenschaftsmodell auf transparenten und demokratischen Strukturen beruht. Genau die sind in Guatemala jedoch gefährdet. Das belegt nicht nur das Vorgehen des Wahlgerichts, sondern auch das der Justiz. Für Héctor Reyes ist das mittelamerikanische Land ähnlich wie Nicaragua und El Salvador längst auf dem Weg zu einem gescheiterten Staat.
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