Werbung

Razzien in Neukölln: Schikane vom Feinsten

Weil die polizeilichen Razzien in Neukölln hauptsächlich Shisha-Bars betreffen, liegt der Verdacht der Diskriminierung nahe

  • Lola Zeller
  • Lesedauer: 7 Min.

Die sollen ja Razzien machen, wenn es notwendig ist. Aber doch nicht neun Jahre lang immer wieder dieselben Läden, wenn sie da nie etwas finden», sagt Ray H. Er ist Inhaber der «Skyline Lounge» in Neukölln und berichtet, dass seine Bar wie auch alle umliegenden Shisha-Lokale dasselbe Problem hätten: Rund um die Hermannstraße würden sie regelmäßig von einem Großaufgebot von Polizei, Finanzamt und Ordnungsamt durchsucht, nicht selten mit sensationshungrigen Pressevertreter*innen und Politiker*innen im Schlepptau. «Die Polizei kommt mit Brechstangen und Maschinengewehren in meinen Laden, die Gäste haben Angst», sagt H.

Dabei seien bei ihm nie Anzeichen für kriminelle Strukturen gefunden worden, immer nur kleinere Ordnungswidrigkeiten, die teilweise absurd erschienen. So hätten sich einmal Mitarbeitende des Ordnungsamtes selbst nicht einigen können, ob er den Zettel, der darauf hinweise, dass in seinem Lokal geraucht werde und Minderjährige deshalb keinen Zutritt hätten, an der Tür hängen lassen solle oder nicht. Immer wieder müsse er auch Strafen zahlen, weil er angebrochene Shisha-Tabak-Dosen verwende, was nicht zugelassen sei. Allerdings gebe es gar keine Shisha-Tabak-Dosen, die klein genug seien, um sie nur für eine Shisha zu verwenden.

Nichts davon rechtfertigt jedenfalls in H.s Augen, dass sein Lokal fünfmal im Jahr durchsucht werde. «Das ist Schikane vom Feinsten, das ist doch nicht normal», beschwert er sich im Gespräch mit der Noch-Staatssekretärin für Antidiskriminierung, Saraya Gomis (parteilos, für Die Linke) in der Senatsverwaltung für Justiz, Vielfalt und Antidiskriminierung. Gomis kennt die Situation aus Sicht der Betroffenen. Vor etwa einem Jahr veröffentlichten Neuköllner Gewerbetreibende und Initiativen einen offenen Brief, um gegen die Razzien zu protestieren.

Außer einem anschließenden Treffen mit Gomis sei aber nicht viel passiert. «Wir haben keine weiteren Reaktionen erhalten», sagt der Neuköllner Aktivist und Pädagoge Basem Saed von der Initiative «Deine Stimme zählt», die den Brief mitunterzeichnet hat. Er steht mit vielen der betroffenen Ladeninhabern in Kontakt und nimmt am Gespräch in der «Skyline Lounge» am Donnerstagnachmittag teil. «Diese militarisierten Angriffe sind Teil eines politischen Kampfes auf Kosten der Gewerbetreibenden. Die Motivation ist politisch, nicht juristisch», sagt Saed.

So sieht es auch Niklas Schrader, der innenpolitische Sprecher der Linksfraktion im Abgeordnetenhaus. Sein Fazit aus den zahlreichen parlamentarischen Anfragen zu den Verbundeinsätzen, die er als Abgeordneter schon gestellt hat: «Juristisch ist da nichts zu holen.» Verbundeinsätze werden die Einsätze genannt, weil hier verschiedene Behörden zusammenarbeiten. Klassischerweise bittet bei solchen Gewerbekontrollen das Ordnungsamt um Unterstützung der Polizei.

Ray H. kann sich allerdings nicht erklären, warum das Ordnungsamt diese Unterstützung zur Durchsuchung seines Ladens brauchen sollte. «Ich kenne die doch, habe mit ihnen schon Kaffee getrunken. Die haben doch keine Angst», sagt er. Bevor die aggressiven Razzien in Shisha-Lokalen in Neukölln zusammen mit der Polizei durchgeführt worden seien, habe es stets friedliche Kontrollen durch das Ordnungsamt gegeben. «Was wollen sie denn erreichen?», fragt sich H. Er hält die Großeinsätze für rausgeworfenes Geld, zumal nie etwas zu finden sei.

Linke-Politiker Schrader vermutet eine Machtdemonstration hinter den Großeinsätzen: «Sie wollen das Signal senden: Wir haben hier die Macht.» Dies richte sich einerseits an die migrantischen Milieus in Neukölln, andererseits an die Mehrheitsgesellschaft, die sich einen starken Staat gegenüber vermeintlicher Kriminalität wünsche. «Natürlich ist es eine rassistische Praxis», sagt Schrader.

Ray H. hat die verantwortlichen Politiker*innen im Verdacht, die Razzien zu veranlassen. Der Inhaber der «Skyline Lounge» berichtet, dass er das Lokal seit 2014 betreibe. Davor habe er drei Jahre lang ein anderes Lokal in der Nähe geführt. «Das Ganze hat mit Franziska Giffey angefangen in Neukölln, die ja auch ihre Doktorarbeit abgeschrieben hat», sagt er. Seitdem habe er eine Razzia nach der anderen durchgemacht, inzwischen sei das schon Normalität für ihn. Die amtierende Regierende Bürgermeisterin Giffey war von 2015 bis 2018 Bezirksbürgermeisterin von Neukölln, davor war die SPD-Politikerin ebendort fünf Jahre Bezirksstadträtin.

Von den Verbundeinsätzen heimgesucht würden hauptsächlich Shisha-Bars und Barbershops, sagt Basem Saed. Mit teils erschütternden Konsequenzen: Einige Lokale hätten dichtgemacht, Inhaber*innen sogar das Land verlassen, weil sie unter den gegebenen Umständen nicht bleiben wollten. «Die Läden werden ruiniert», sagt Saed. Vor allem wenn die Presse die Razzien begleite und dann Bilder von den Läden veröffentliche, hätten diese schnell einen kriminellen Ruf, der Kund*innen abschrecke.

«Da reden alle immer davon, dass sie Integration wollen, und dann machen sie den Gewerbetreibenden hier das Leben zur Hölle», sagt Saed. Ein benachbartes Lokal habe zum Beispiel schließen müssen, weil der Mietvertrag vom Hauseigentümer nicht verlängert worden sei. Grund dafür seien Beschwerden der Anwohner*innen über die ständigen Polizeieinsätze im Laden gewesen.

Dass die Razzienpolitik in Neukölln seit Jahren vor allem Shisha-Lokale ins Visier nimmt, lässt auf eine Diskriminierung schließen. «Die ganzen Hipster-Bars hier in der Straße werden nie von der Polizei kontrolliert. Die Kneipe um die Ecke gibt es bestimmt schon seit 20 Jahren, die hatten auch noch nicht eine Razzia», sagt Ray H.

Wenn es sich bei den Polizeieinsätzen um eine diskriminierende Praxis handelt, wäre das theoretisch ein Fall für das Landesantidiskriminierungsgesetz (LADG). Das Gesetz gibt Berliner*innen die Möglichkeit, sich gegen Diskriminierung durch Behörden zu wehren – sofern sie denn bereit sind, sich über erfahrene Diskriminierung zu beschweren. Zuständig hierfür ist die Ombudsstelle unter der Leitung von Doris Liebscher. Auch Liebscher nimmt an dem Vor-Ort-Termin in der «Skyline Lounge» teil.

«Wenn wir als Ombudsstelle gegen Diskriminierung aktiv werden, dann sprechen wir vorher immer alles mit den Betroffenen ab», sagt Liebscher. Sie wisse auch, dass es eine Hürde sei, in Behörden zu gehen, um sich zu beschweren, und wie frustrierend es sei, wenn dann aus den Beschwerden nichts folge. «Das Gute bei uns ist: Die Stellen, die wir anfragen, müssen uns auch antworten, sie sind gesetzlich dazu verpflichtet», erklärt Liebscher.

Aus Sicht der Ombudsstelle gebe es in der Tat ein starkes Diskriminierungspotenzial bei den Neuköllner Razzien, so Liebscher. Vor allem die Frage, ob die Auswahl der kontrollierten Gewerbetreibenden auf einer herkunftsbezogenen Unterscheidung basiere, müsste anhand entsprechender Beschwerden untersucht werden. «Auch die Verhältnismäßigkeit der Einsätze ist fraglich.» Bereits in anderen Fällen wie den Kontrollen durch die Bundespolizei in Zügen hätten Gerichte festgestellt, dass eine solche Praxis in der Öffentlichkeit zur Stigmatisierung beitrage. Das könne auch auf die Gewerbekontrollen in Neukölln zutreffen.

Der rechtliche Rahmen ist also gegeben, um die polizeiliche Razzienpraxis auf Diskriminierung zu prüfen und entsprechend weiter vorzugehen. Der Zugang zu solchen Verfahren im Rahmen des LADG ist aber nicht ohne Hürden. So bittet Saed etwa darum, einen Messengerdienst für Handys einzurichten, um Beschwerden von Gewerbetreibenden direkt an die Ombudsstelle weiterleiten zu können. Liebscher verweist darauf, dass die Ombudsstelle für digitale schriftliche Nachrichten nur per E-Mail zu erreichen sei. «Hier haben wir schon ein Problem: Die Verwaltungskommunikation ist nicht mit Community-Arbeit kompatibel», sagt Staatssekretärin Gomis. Es sei zu viel Arbeit, alle Nachrichten, die per Handy-Chat ankämen, dann noch in die Verwaltungsform per E-Mail zu übertragen.

Nach kurzer Überlegung gibt es den Vorschlag, einen Chat-Kanal mit der Ombudsstelle über den Nachrichtendienst Signal einzurichten, wobei der Chat selbst von einer Community-Ansprechperson betreut würde. «Genau deshalb ist eure Perspektive so wichtig für die Weiterentwicklung des LADG», sagt Gomis. Es sei ein wichtiges Anliegen, Barrieren abzubauen, damit alle einen Zugang zum Recht erhielten.

«Es ist möglich, etwas zu verändern», sagt Liebscher mit Blick auf die Perspektive Neuköllner Shisha-Lokal-Betreiber. «Dazu braucht es Menschen wie dich, die sich beschweren», sagt sie zu Ray H. und fügt mit Blick auf Saed hinzu: «Und Menschen wie dich, die die Leute organisieren.»

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.