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Macrons Rentenreform ist durch – der Widerstand bleibt
Nach der Bestätigung des Verfassungsrats mobilisieren Gewerkschaften zu Massenprotesten am 1.Mai
Am Ende ging alles ganz schnell. Nachdem Gewerkschaften den französischen Verfassungsrat angerufen hatten, um die umstrittene Rentenreform zu überprüfen, erklärte der oberste Hüter der Verfassung am Freitagabend die Anhebung des Renteneintrittsalters von 62 auf 64 Jahre im Wesentlichen für rechtens. Bereits am Samstag trat die Reform mit der Veröffentlichung im Amtsblatt in Kraft. Dass Präsident Emmanuel Macron sich mit seiner Unterschrift dermaßen beeilte, ist für die Gewerkschaften eine »brutale Herausforderung und Provokation«. Als erste Reaktion kündigten sie an, Macrons Einladung zu einem Gespräch am kommenden Dienstag im Élysée-Palast nicht zu folgen. »Wir werden ihm nicht erlauben, zur Tagesordnung überzugehen und so zu tun, als sei nichts geschehen«, sagte die CGT-Vorsitzende Sophie Binet.
Gerwerkschaften wollen weiter protestieren
Frankreichs Gewerkschaften geben den Widerstand nicht auf und organisieren bereits die Demonstrationen am 1.Mai, die ganz im Zeichen des Kampfes gegen die Rentenreform stehen werden und beispiellosen Umfang annehmen sollen. Diese Mobilisierung dürfte alles übertreffen, was es in dieser Hinsicht in Frankreich seit 1945 gegeben hat, denn erstmals steht dahinter eine Einheitsfront: alle großen Gewerkschaften des Landes.
Dass der Verfassungsrat den Winkelzug der Regierung durchgehen ließ, die Rentenreform in einem Nachtragshaushaltsgesetz für die Sozialversicherung unterzubringen und dafür im Parlament das vereinfachte und beschleunigte Bestätigungsverfahren der Verfassung zu missbrauchen, ist eine schwere Enttäuschung für die Gewerkschaften. Andererseits hat der »Rat der Weisen«, unter denen sich mit Laurent Fabius und Alain Juppé je ein ehemaliger linker und rechter Premier befinden, sechs Artikel des Rentenreformgesetzes zurückgewiesen. Diese sollten durch Steuer- und Abgabennachlässe Unternehmen motivieren, »Senioren« einzustellen oder sie davon abzuhalten, ihre älteren Beschäftigten bereits Jahre vor dem Renteneintrittsalter aus dem Betrieb und in die Arbeitslosigkeit zu drängen.
Mehrere Artikel aus Reform gestrichen
»Diese Artikel waren von der Regierung unter dem Eindruck der Proteste über die Rentenreform nachträglich in den Text eingefügt worden, um den Schock über das Rentenalter 64 etwas abzufedern«, erklärte der Vorsitzende der Gewerkschaft CFDT, Laurent Berger. »Dadurch, dass diese ›Zuckerparagraphen‹ wegfallen, steht das Gesetz nun nackt in seiner ganzen Brutalität da.«
Klare Worte kommen auch vom Gründer der Bewegung La France insoumise, Jean-Luc Mélenchon: »Statt zur Entspannung der sozialen Krise beizutragen, haben die hinter den Barrieren einer Polizeihundertschaft verschanzten Mitglieder des Verfassungsrates mit ihrer Entscheidung noch zur Verschärfung beigetragen. Sie beweisen damit, dass sie auf der Seite der präsidentiellen Monarchie stehen und nicht auf der des souveränen Volkes. Der Kampf geht weiter und muss noch breitere Kräfte einbeziehen.«
Zweiter Anlauf für ein Referendum
Ein von mehr als 250 Abgeordneten der Opposition eingebrachter Antrag, ein Vorbereitungsverfahren für ein Referendum über die Rentenreform einzuleiten, wurde vom Verfassungsrat zunächst abgewiesen. Damit hofften die linken Parteien und die Gewerkschaften, die Rentenreform, die von einem Großteil der Franzosen abgelehnt wird, noch nachträglich zu Fall bringen zu können. Aufgrund juristischer Mängel war das Scheitern bereits absehbar gewesen. Darum wurde vor Tagen ein »nachgebesserter« zweiter Antrag eingereicht, über den der Verfassungsrat Anfang Mai entscheiden wird.
»Durch ein solches Referendum könnte das Land mit demokratischen Mitteln aus der gegenwärtigen Krise erhobenen Hauptes hervorgehen«, schätzt Fabien Roussel, der Nationalsekretär der Französischen Kommunistischen Partei, ein.
Derweil versucht auch die Rechte, von der Empörung über das Verhalten von Präsident und Regierung zu profitieren. Mit Blick auf die Präsidentschaftswahl 2027 erklärte die Fraktionsvorsitzende des rechtsextremen Rassemblement National, Marine Le Pen: »Das Volk wird das letzte Wort haben und einen Machtwechsel einleiten, durch den dann auch diese ungerechte Reform hinfällig wird.«
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