Dokumentation jüdischer Friedhöfe bedroht

Hilferuf bei der Eröffnung der »Woche der Brüderlichkeit«

  • Matthias Krauß
  • Lesedauer: 4 Min.

Dem hoffnungsvoll gestarteten wissenschaftlichen Projekt »Jüdische Friedhöfe in Brandenburg« droht das Aus. Bei der Eröffnung der »Woche der Brüderlichkeit« am Montag im Potsdam-Museum sagte Projektkoordinatorin Anke Geißler-Grünberg, das Team stehe vor dem Zerfall. Das sei darauf zurückzuführen, dass weder die Mittel für das erforderliche Personal noch die finanzielle Unterstützung der Kommunen gegeben sei. »Wir hören da nur, dass dafür kein Geld vorhanden ist«, sagte Geißler-Grünberg.

Ihr zufolge sind inzwischen 70 jüdische Begräbnisstätten im Land Brandenburg nachweisbar. Die Zeit dränge vor allem deshalb, weil die Inschriften der stark verwitterten Grabsteine bald nicht mehr lesbar sein werden, warnte sie. In der Regel wurden diese Friedhöfe in der Nazizeit »gezielt zerstört«, geschändet und teils beseitigt. Aber auch in den Jahrzehnten danach waren die Stätten vernachlässigt.

Seit einigen Jahren hat die Projektgruppe des Lehrstuhls für Deutsch-Jüdische Geschichte der Universität Potsdam die systematische Aufarbeitung, Herrichtung und Pflege der alten jüdischen Friedhöfe übernommen, für die seit den 1940er Jahren keine jüdischen Gemeinden mehr sorgen konnten. Ein wesentlicher Schwerpunkt war dabei laut Geißler-Grünberg »die Sicherung der bedrohten Inschriften«. Die Worte – zum Teil auf Deutsch, zum Teil auf Hebräisch – werden dabei kopiert, später gegebenenfalls übersetzt und eingeordnet. An diesen mehrjährigen Arbeiten haben sich Wissenschaftler und Studenten beteiligt. Grabsteine wurden freigelegt, dokumentiert und wieder zugedeckt – unter anderem in Trebbin, Rathenow, Wusterhausen/Dosse und Gartz.

Friedhöfe gelten im Judentum als »Häuser des Lebens«, informierte Geißler-Grünberg. »Jüdische Friedhöfe sind in vielen Orten die einzigen augenfälligen
Zeugen jüdischen Lebens in der Mark Brandenburg. Sie wurden im Glauben
an die leibliche Auferstehung der Toten am Ende der Tage auf Dauer angelegt. Heute sind von den über 70 noch nachweisbaren Friedhöfen in Brandenburg nur wenige nicht zerstört.« Geißler-Grünberg weiter: »Diese Friedhöfe sind Spiegel des Lebens der Einzelnen wie auch des Schicksals der Gemeinden. Doch dieser Spiegel ist durch den Wandel der Zeiten und den gewaltsamen Abbruch der Tradition trübe geworden und oftmals zersprungen.«

Die im Zuge des Projektes erstellte Datenbank erstreckt sich auch auf Westpolen, wo die Datenlage und die Situation schwieriger sei, doch seien engagierte Helfer auch dort zu finden gewesen, sagte Geißler-Grünberg. 2019 startete am Lehrstuhl für Denkmalkunde der Europa-Universität Viadrina in Frankfurt (Oder) ein von der Bundesregierung gefördertes Forschungsprojekt, das die jüdischen Friedhöfe in Westpolen wissenschaftlich erschließen und online präsentieren wollte. Dafür wurde die Datenbank der Universität Potsdam genutzt.

Die untersuchten Begräbnisplätze befinden sich allesamt in den Woiwodschaften Lubuskie (Lebus) und Zachodniopomorskie (Westpommern). Sie waren mehr oder weniger von Verwahrlosung betroffen, sodass die rasche Dokumentation dringend war. Mit diesem Projekt sollte eine Lücke in der Erforschung der
Geschichte Mittelosteuropas und der dort einst ansässigen Juden geschlossen werden. Das Forschungsprojekt endete am 31. Dezember 2021. Dokumentiert ist nun ein großer Teil der jüdischen Friedhöfe in der Region. Um diese Arbeiten in Brandenburg nun zu Ende zu führen, »benötigen wir Unterstützung«, warb die Wissenschaftlerin bei der Politik um Hilfe.

Schon Mitte der 1980er Jahre wurde damit begonnen, die jüdischen Friedhöfe
im Berliner Umland zu katalogisieren. Im Rahmen einer Initiative der Jugendorganisation FDJ wurden Vorarbeiten geleistet. Es entstand in den Kommunen ein bis dahin nicht selten verschüttetes Bewusstsein für diese Anlagen. Für den Bezirk Potsdam wurden 14 jüdische Friedhöfe gezählt.

Bei der »Woche der Brüderlichkeit« erwähnte Tobias Barniske, Vorsitzender der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit in Potsdam, den Namen Theodor Goldstein. Dieser galt Ende der 1980er Jahre als letzter Jude Potsdams. Goldstein habe dafür gesorgt, dass 1979 am Standort der alten Potsdamer Synagoge eine Gedenktafel angebracht wurde. Er habe sich unermüdlich dafür eingesetzt, von jüdischen Friedhöfen zu retten, was zu retten war. Die Nazis hatten die Familie von Goldstein fast komplett ermordet. Er selbst überlebte und arbeitete als Wachdienstleiter im Getränkekombinat. Vor allem durch Zuzug aus der Sowjetunion gab es ab 1991 wieder eine jüdische Gemeinde in der Stadt. Das hat Theodor Goldstein noch erlebt. Er starb 1994 und ist auf dem jüdischen Friedhof am Potsdamer Pfingstberg begraben.

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