- Politik
- Explodierende Mieten in Spanien
Umstrittenes Mietgesetz in Spanien auf der Zielgeraden
Minderheitsregierung will vor den Kommunalwahlen punkten
Es ist ein Erfolg der »Republikanischen Linken Kataloniens« (ERC) und von »Baskenland Vereinen« (EH Bildu). Die linken Unterstützer der in Madrid regierenden spanischen Minderheitsregierung aus Sozialdemokraten (PSOE) und Linkspartei Unidas Podemos haben einen Durchbruch beim Dauerstreit um das spanische Mietgesetz erreicht. Nachdem es innerhalb von 13 Monaten in den Verhandlungen keine Ergebnisse gab, weil die PSOE wirkliche Verbesserungen weitgehend verhindert hatte, soll nun am Donnerstag ein Kompromiss im zuständigen Parlamentsausschuss verabschiedet werden, der mit der ERC und EH Bildu ausgehandelt wurde. Das Gesetz soll schon am 27. April den Kongress passieren, um noch vor den Kommunal- und Regionalwahlen am 28. Mai auch den Senat zu passieren. Angesichts der wirtschaftlichen Lage, dem starken Kaufkraftverlust und der Zerstrittenheit der Regierungskoalition, müssen PSOE und Unidas Podemos vor den Wahlen angesichts schlechter Umfrageergebnisse schnell etwas Handfestes vorweisen, um bei der einfachen Bevölkerung noch punkten zu können.
Am geplanten Gesetz gibt es allerdings von allen Seiten massive Kritik. Dass die rechten Parteien und die Unternehmervereinigungen das Vorhaben geißeln, ist für den sozialdemokratischen Ministerpräsidenten Pedro Sánchez noch einigermaßen zu verschmerzen. Aber auch Mietervereine sehen in dem Gesetz kaum Fortschritte. Das wird vor allem die Linkspartei Unidas Podemos (UP) schmerzen, die den Mietervereinen nahesteht. Von der UP hatten sich viele versprochen, dass sie deutliche Verbesserungen durchsetzen kann, die auch in anderen Bereichen nicht gekommen sind. Ein Problem ist, dass die Mieten nicht einmal gedeckelt werden. Dabei sind die längst so explodiert, dass sie längst oft »unbezahlbar« sind, erklärt Pablo Carmona, der einst in Madrid Spitzenkandidat für eine der UP nahestehende Bürgerkandidatur war. Der Historiker macht deutlich, dass die »Mieten in den vergangenen Jahren um 50 Prozent« gestiegen sind.
Carmona kritisiert, dass die Steigerung bei den Mieten nur für zwei Jahre gebremst werden soll. Für 2024 sollen sie drei Prozent steigen dürfen. Im Jahr darauf soll die Steigerung auf die allgemeine Inflationsrate begrenzt werden. Nur in Stadtteilen mit einer »angespannten Wohnungslage« sollen besondere Bedingungen gelten. Das sind Stadtteile, in denen die Mieter mehr als 30 Prozent ihres Einkommens für die Miete aufbringen müssen. Dort soll ein Mietpreisspiegel Pflicht werden. Wie das ermittelt werden kann, steht in den Sternen.
Jaime Palomera, der in der Mietergewerkschaft aktiv ist, führt zentrale Kritikpunkte an dem Gesetz an. Auch der Wissenschaftler am Institut für Stadtforschung streicht heraus, dass Mieten nicht gesenkt werden, wie es das katalanische Gesetz geschafft hatte. Das war zwischen 2020 und 2022 in Kraft, wurde aber durch das spanische Verfassungsgericht gekippt. In seinem Gastbeitrag für die Onlinezeitung »Publico« unterstreicht er, dass Vermieter über Saisonverträge jegliche Regulierung umgehen können. So sieht auch er als »absehbares Ergebnis« eine mögliche kontraproduktive Wirkung. Er vermutet, dass »das Angebot auf dem Wohnungsmarkt stark zurückgehen wird, da es zunehmend in den Teilmarkt« der Saisonverträge umgeleitet wird.
Vage Formulierungen böten sogar den Anreiz, Mieter auf die Straße zu setzen. Denn mit neuen Mietern könne die Limitierung umgangen und die Mieten doch unbegrenzt erhöht werden. »Für den neuen Mieter ist es sehr schwer, den Mietpreis im vorherigen Vertrag zu beweisen.« Ausnahmen ließen zudem Erhöhungen um zehn Prozent zu.
Eine allgemeine Kritik ist, dass der soziale Wohnungsbau ein stiefmütterliches Dasein fristet. Darüber könnten Mieten gesenkt werden, wenn es billige Konkurrenz gäbe. Nur 2,5 Prozent der Wohnungen hier sind Sozialwohnungen. Spanien ist dabei europäisches Schlusslicht. In den Niederlanden, Österreich oder Dänemark sind es dagegen bis zu zehn Mal so viele. Ministerpräsident Sánchez hat nun angekündigt, man werde den Anteil in nur zwei Jahrzehnten auf 20 Prozent erhöhen. Das nimmt der Regierung niemand ernsthaft ab. Die wird, sollten die Umfragen richtig liegen, bei den Parlamentswahlen im November oder Dezember ohnehin abgewählt.
Dass Sánchez populistisch im Wahlkampf ankündigt, nun 50 000 Sozialwohnungen zu mobilisieren, die sich in den Händen der staatlichen Bad Bank (Sareb) befinden, erzürnt auch den Koalitionspartner UP. Das verkauft Sánchez nun als seine Idee. UP hatte vier Jahre erfolglos versucht, das durchzusetzen. Viele dieser Wohnungen sind aber in keinem bewohnbaren Zustand, 15 000 müssten sogar erst gebaut werden. Dazu erklärt sogar der Chef der größten Gewerkschaft CCOO, das sei eine gute Initiative, aber es gehe nicht um Zehntausende, sondern um »Millionen Wohnungen«, denn Millionen Menschen hätten schon heute »enorme« Probleme, eine Miete zu bezahlen oder an einen Kredit für den Wohnungskauf zu kommen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.