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- Berliner Koalitionspoker
SPD-Mitgliedervotum: Spannung auf den letzten Metern
Beteiligte erwarten bei SPD-Mitgliedervotum knappes Ergebnis
Endspurt im Koalitionsstreit: Am Freitagabend endet das Mitgliedervotum zur Koalitionsfrage in der SPD. Bis Donnerstagnachmittag sind über 11 000 Stimmen eingegangen, wie der SPD-Landesverband gegenüber »nd« mitteilt. Das entspricht etwa 61 Prozent der SPD-Mitglieder in Berlin. Am Sonntag sollen die Stimmen dann von 16 Wahlhelfern ausgezählt werden, mit dem Ergebnis wird bis zum späten Nachmittag gerechnet.
Sollten die SPD-Mitglieder dem Koalitionsvorhaben der Vorsitzenden Franziska Giffey und Raed Saleh zustimmen, dürfte es schnell gehen: Schon bei der Abgeordnetenhaussitzung am Donnerstag kommender Woche würde Kai Wegner (CDU) gemeinsam mit seinem Senatsteam gewählt werden. Der politische Stillstand, der die Stadt seit November mit der Entscheidung des Landesverfassungsgerichts zur Wahlwiederholung lähmt, wäre damit zunächst beendet.
Komplizierter würde es wohl werden, sollten entgegen der Erwartungen die Nein-Stimmen überwiegen. Für die SPD gäbe es dann zwei Wege: Sie könnte in die Opposition gehen und es CDU und Grünen überlassen, erneut über ein schwarz-grünes Bündnis zu verhandeln. Oder sie startet einen weiteren Anlauf für eine Fortführung des rot-grün-roten Bündnisses, das die Stadt seit 2016 regiert. So oder so würde es dann wohl bis nach Pfingsten dauern, bis Berlin einen neuen Senat hätte.
Trotz des zerbrochenen Geschirrs, das Franziska Giffey nach den Sondierungen hinterlassen hat, wären Grüne und Linke für eine erneute Auflage von Rot-Grün-Rot offen. »Wir haben gesagt, dass die Tür zwar von der SPD zugeschlagen wurde, aber dass die Tür immer noch da ist und wir sie gerne wieder aufmachen«, sagte Grünen-Fraktionschef Werner Graf am Donnerstag. Auch Noch-Sozialsenatorin Katja Kipping (Linke) plädierte am Sonntag im »Tagesspiegel« gemeinsam mit Finanzsenator Daniel Wesener (Grüne) für eine Fortführung des Mitte-Links-Bündnisses.
Offen bleibt dabei allerdings, welche Vorbedingungen gestellt werden könnten. Nach dem Ende der Sondierungen hatte Graf noch gesagt, die sprichwörtliche Tür zur SPD könne nur geöffnet werden, »wenn dahinter nicht Franziska Giffey und Raed Saleh stehen«. Jetzt verweist er allerdings darauf, dass Personalentscheidungen Sache der jeweiligen Partei seien. Auch parteiintern wird aber erwartet, dass Giffey im Fall einer Abstimmungsniederlage ihren Hut als Parteichefin nehmen müsste. Nicht auszuschließen ist, dass auch Co-Chef Raed Saleh den Parteivorsitz abgeben würde. Als mögliche Nachfolgerin wird die Parteilinke Cansel Kiziltepe gehandelt, die im schwarz-roten Senat das Sozialressort übernehmen soll. Auch über eine Rückkehr von SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in die Berliner Landespolitik wird in diesem Fall spekuliert.
Kühnert selbst dementiert derartige Gerüchte zwar konsequent, gibt aber auch Signale in diese Richtung. Gegenüber dem »Spiegel« nannte er am Donnerstag die Vorstellung eines Regierenden Bürgermeisters Kai Wegner »mehr als gewöhnungsbedürftig«. Für einen Generalsekretär, der Parteibeschlüsse nach außen vertreten soll, sind das ungewöhnliche Worte. Wie er selbst beim Mitgliedervotum abstimmen wird, ließ Kühnert offen.
Seit Beginn des Votums werben die Jusos für ein Nein zur Großen Koalition. »Die SPD wird es in einer Regierung mit der CDU schwer haben, ihr soziales Profil zu schärfen, weil wir immer wieder in Regierungszwänge eines konservativ geführten Senats geraten werden«, sagt die Juso-Landesvorsitzende Sinem Taşan-Funke im Gespräch mit »nd«. »Der Koalitionsvertrag ›Das Beste für Berlin‹ ist nicht das Beste, weil da zu viel gestriger Geist drinsteckt.« Sie kritisiert, dass die neue Koalition Privatschulen fördern und Religionsunterricht einführen will. »Das alles liegt in der Natur der Sache, wenn man mit Menschen koaliert, die konservieren wollen«, sagt sie.
Auf der anderen Seite mobilisieren die Befürworter des Koalitionsvertrages unter dem Motto »Besser mit uns« ihre Anhänger. Zu ihnen gehört Christian Hochgrebe. Das ehemalige Mitglied des Abgeordnetenhauses war Teil der Verhandlungsgruppe für den Koalitionsvertrag. »Die alte Koalition hat sich bei vielen Themen in eine Sackgasse manövriert«, sagt er. Auch wenn die Schnittmengen mit Linken und Grünen auf den ersten Blick größer erschienen – bei vielen Fragen habe es heftige Konflikte mit den Koalitionspartnern gegeben, die in Blockaden mündeten. Die Koalition mit der CDU bedeute daher ein »Mehr und kein Weniger« an sozialdemokratischer Politik.
Vor allem in der Innenpolitik befürchten viele Sozialdemokraten einen Rechtsschwenk. »Gerade in der freiheitsliebenden Stadt Berlin finde ich es bedenklich, dass mehr repressive Maßnahmen auf die Berliner und Berlinerinnen zukommen«, sagt Taşan-Funke über die Pläne der Großen Koalition. Christian Hochgrebe sieht dagegen auch bei der Innenpolitik eine »deutliche sozialdemokratische Handschrift«. »Zu sozialdemokratischer Politik gehört auch, dass sich die Menschen sicher in der Stadt bewegen können«, sagt er mit Blick auf die umstrittenen Passagen zu Bodycams und Überwachungskameras. In der Koalition mit der CDU sei die SPD zudem das »linke Korrektiv«. So hätte man durchsetzen können, dass nicht willkürlich in der Stadt Orte videoüberwacht werden könnten, sondern die Bewachung anlassbezogen und auf sogenannte kriminalitätsbelastete Orte beschränkt werde. »Mehr Überwachungsmaßnahmen bringen nicht mehr Sicherheit«, hält Taşan-Funke dem entgegen.
Bis zum Ende des Mitgliederentscheids veranstaltete die SPD mehrere Mitgliederforen, um über die Koalitionsfrage zu diskutieren. »Es war eine sehr ernsthafte Debatte«, beschreibt Hochgrebe die Atmosphäre bei den Foren. Es habe auch »harte und direkte« Worte gegeben, doch dies sei verständlich. Vonseiten der GroKo-Kritiker wird der Prozess dagegen auch kritisiert. »Der Landesvorstand nimmt sich das Recht, eine Werbekampagne pro Schwarz-Rot zu fahren«, sagte Hannah Lupper, Vorsitzende einer Kreuzberger SPD-Abteilung, am Mittwoch gegenüber »N-TV«. Christian Hochgrebe verweist dagegen darauf, dass bei den Mitgliederforen immer auch Kritiker auf dem Podium vertreten gewesen seien. Die Redebeiträge aus dem Publikum seien mit einem Zufallsverfahren ausgewählt worden, um eine Beeinflussung zu verhindern.
Dazu, wie die Abstimmung am Ende ausgehen wird, möchte niemand eine Prognose abgeben. Weil sich nur 15 bis 20 Prozent der Mitglieder an Parteiveranstaltungen beteiligen, ist die Stimmung schwer einzuschätzen. Alle Beteiligten rechnen aber mit einem relativ knappen Ergebnis. In der Parteiführung herrsche mit Blick auf die Ergebnisverkündung am Sonntag eine gewisse »Nervosität«, wie es aus Parteikreisen heißt. Auf einem auf Twitter kursierenden Video warnt eine sichtbar aufgewühlte Franziska Giffey davor, die Diskussion in die Öffentlichkeit zu tragen. »Lasst uns den Medien und der CDU kein Futter geben.« Zumindest dieses Ziel scheint schon jetzt verfehlt.
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