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Zeitenwende auf chinesischen Straßen
In der Volksrepublik spielen Elektroautos von deutschen Marken kaum eine Rolle
Dass Volkswagen nach wie vor der Platzhirsch auf dem weltweit größten Automarkt der Welt ist, daran lassen die Wolfsburger auf der »Auto Shanghai« keinerlei Zweifel: Mit perfekt choreografierter Lichtershow und Hollywood-reifem Trailer präsentiert der eingereiste Vorstand auf der Branchenmesse sein neues Premium-Modell, das endlich die Aufholjagd auf dem heiß umkämpften Elektro-Markt einläuten soll. Und tatsächlich erfreut sich der ID.7 unter den anwesenden Influencern großer Beliebtheit. Euphorisch belagern sie mit ihren Smartphone-Kameras die Limousine.
Markenvorstand Thomas Schäfer gibt sich betont selbstbewusst: »Wir haben eine starke Palette und sind eigentlich sehr zufrieden. Ich glaube nicht, dass wir die Entwicklung verschlafen haben«, sagt der 53-Jährige. Doch die Zahlen sprechen eine andere Sprache. Gleich zu Beginn der am Dienstag eröffneten Automesse trudelte eine Eilnachricht ein, die die Branche nachhaltig erschüttert: Der chinesische Hersteller BYD hat im ersten Quartal seinen Marktanteil auf elf Prozent gesteigert und ist damit am traditionellen Spitzenreiter VW vorbeigezogen.
Schaut man bloß aufs Elektro-Segment, dann ist die Machtverschiebung bereits seit längerem sichtbar: Im letzten Jahr stammten bereits nahezu acht von zehn verkauften E-Autos aus heimischer Produktion. Innerhalb des restlichen Anteils spielen die deutschen Anbieter nur eine untergeordnete Rolle: Volkswagen kommt immerhin auf 2,4 Prozent, BMW nur auf 0,8 Prozent und Mercedes ist mit 0,3 Prozent geradezu irrelevant.
Experte: Deutsche Ingenieure seien zu behäbig und ignorant
Für den Experten Tu Le, Gründer von »Sino Auto Insights«, hat der Paradigmenwechsel auch einen kulturellen Ursprung: Die deutschen Auto-Ingenieure seien vom Erfolg der letzten Jahrzehnte behäbig und ignorant geworden. Sie seien auf Spaltmaße und Motorik fixiert, hätten jedoch Berührungsängste vor Software und digitaler Veränderung. »Die Software kann dem Auto jedoch längst nicht mehr untergeordnet sein, die Software ist das künftige Auto«, sagt Tu le.
Der Paradigmenwechsel bei der E-Mobilität ist insofern für die deutschen Autobauer beunruhigend, weil der verkehrspolitische Groschen auf dem größten Automarkt der Welt längst gefallen ist. Bereits jetzt sind ein Viertel der verkauften Neuwagen in China E-Autos. Denn die Regierung hat bereits vor Jahren damit begonnen, die Lizenzvergabe für Verbrennungsmotoren stark zu drosseln.
Die Industriepolitik der kommunistischen Partei verfolgte von Beginn an stets zwei Ziele: Sie wollte mithilfe von E-Autos die apokalyptischen Feinstaubwerte in den Großstädten senken und gleichzeitig eine Wachstumsbranche für die Volkswirtschaft aufbauen. In Wolfsburg und Ingolstadt wurden die Ambitionen der Chinesen lange belächelt, denn Benziner aus Fernost waren bislang berüchtigte Ladenhüter. Bei E-Autos und selbstfahrenden Pkw hingegen kann die Volksrepublik nun aus dem Vollen schöpfen: China verfügt nahezu über ein Monopol auf seltene Erden, die für die Produktion von Batterien notwendig sind. Das Land hat zudem im Gegensatz zu Europa lasche Regulierungen für den Datenschutz und Privatsphäre. Hinzukommen die bereits hoch entwickelten Tech-Unternehmen, welche die Software für die Autos der Zukunft bereitstellen.
Die Zahlen belegen dies eindeutig: Lagen die Verkäufe von E-Autos 2021 noch bei rund 3,5 Millionen, haben sich diese im Vorjahr mit 6,5 Millionen fast verdoppelt. 2023 könnte laut Prognosen bereits die 10-Millionen-Marke durchbrochen werden. Das sind mehr als im ganzen Rest der Welt zusammen. China wird dadurch zur führenden Auto-Exportnation, die wohl noch dieses Jahr Deutschland vom weltweit zweiten Platz ablösen wird. Allein BYD möchte 2023 800 000 Fahrzeuge ins Ausland liefern. Doch die chinesische E-Auto-Branche ist keineswegs eine einzige Erfolgsgeschichte. Aufgrund von Regierungssubventionen sind derart viele Unternehmen angezogen worden, dass sich die meisten von ihnen selbst kannibalisieren. Kaum ein Produzent schreibt bislang schwarze Zahlen. Hinzu kommt seit Jahresbeginn ein erbitterter Preiskampf, den wohl nur die großen Platzhirsche auf Dauer überstehen können.
VW setzt bei China-Geschäft auf Investition und Kooperation
Volkswagen versucht nun mit weiteren Investitionen, eine Aufholjagd zu forcieren, dessen Gelingen für den nachhaltigen Erfolg des Unternehmens essenziell sein wird. Während der Automesse in Shanghai verlautbarten die Wolfsburger, eine Milliarde in ein neues Innovationszentrum für Elektro-Autos in der zentralchinesischen Stadt Hefei zu stecken. Im letzten Oktober kündigte VW zudem ein Joint Venture mit »Horizon Robotics« an, einem der vielversprechendsten chinesischen Start-Ups für Computer-Chips, künstliche Intelligenz und autonomes Fahren.
»China für China« lautet die Strategie, die praktisch alle deutschen Autobauer verfolgen. Der Markt im Reich der Mitte ist so wichtig geworden, dass man die politischen Risiken zumindest nach außen hin herunterspielt. Oder, wie es VW-Markenchef Thomas Schäfer sagt: »Unsere Verpflichtung zu China steht.«
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