- Kultur
- »4B«-Bewegung
Heterosexuelle Beziehung als Quelle von Gewalt
Die Frauen der »4B«-Bewegung in Südkorea verweigern sich gesellschaftlichen Erwartungen hinsichtlich Femininität und Familiengründung
»Die 4B-Bewegung ist die geschlechtsumgekehrte Version der Incel-Bewegung, da beide ›blackpilled‹ -Bewegungen sind. Das bedeutet, sie basieren auf einer hoffungslosen ›schwarzen Wahrheit‹«, argumentiert eine Person auf der Internetplattform Reddit. Damit bezieht sie sich auf den wachsenden Trend unter südkoreanischen Frauen, sich Beziehungen zu Männern komplett zu verweigern. »4B« steht für die vier Aspekte der Bewegung, die allesamt mit »B« beginnen: »Bihon« bedeutet die Verweigerung heterosexueller Ehe, »Bichulsan« die Verweigerung der Mutterschaft, »Biyeaonae« die Verweigerung des Datings und »Bisekseu« die Verweigerung von heterosexuellem Sex. Diese Haltung sei Ausdruck von Frustration, so die Person auf Reddit weiter, und kein progressiver, auf feministischer Solidarität basierender Kampf. Deshalb müsse man sie kritisieren.
Das Posting erhält auf Reddit viel Zustimmung. Doch ist die darin zum Ausdruck kommende Haltung gerechtfertigt? Ähneln die sich Männern verweigernden südkoreanischen Frauen wirklich Männern, die ein regressiv-biologistisches Weltbild vertreten, weil sie vermeintlich oder tatsächlich von Frauen sexuell abgelehnt werden und daher »unfreiwillig zölibatär« sind? Unter »blackpilled« versteht man im Internetjargon der Incels die fatalistische Überzeugung davon, dass sich die Partnerwahl lediglich anhand bestimmter optischer Kriterien vollziehe, wobei Frauen stets die Oberhand hätten.
Wer in der »4B«-Bewegung das Komplement der Incels erkennen will, verkennt die Realität. In dieser nämlich werden Frauen noch immer von Männern unterdrückt. Unbezahlte Reproduktionsarbeit, die »Gläserne Decke«, die den beruflichen oder akademischen Aufstieg erschwert, sexuelle und häusliche Gewalt, geschlechtsspezifischer Chauvinismus und Beleidigungen, brutale Körperpolitik und die Gefahr misogyner Angriffe, wenn man diese Zustände anklagt oder gar aktiv bekämpft, gehören dazu. Zum Glück haben feministische Kämpfe in großen Teilen der Welt zumindest ein Bewusstsein für die systematische Gewalt gegen und Ausbeutung von Frauen geschaffen. Sie haben sie oft auch mildern können. Doch diese Errungenschaften gingen immer auch mit Rückschlägen einher.
Besonders deutlich ist ein solcher Backlash in Südkorea zu beobachten. Trotz zunehmender kultureller Brüche und Fortschritte ist die südkoreanische Gesellschaft nach wie vor zutiefst patriarchal strukturiert. Frauen erhalten dort im Durchschnitt über 30 Prozent weniger Lohn als Männer – damit ist Südkorea das Land mit dem größten geschlechtsspezifischen Lohnunterschied der sogenannten Ersten Welt. Gleichzeitig lastet ein enormer Druck auf Frauen, permanent attraktiv auszusehen. Viele investieren einen großen Teil ihres mageren Lohns in modische Kleidung, Make-up und plastische Chirurgie, um den rigiden Schönheitsstandards der südkoreanischen Gesellschaft zu entsprechen. Das Ziel, das durch diese Körpernormierungen erreicht werden soll, lautet oft Ehe und Mutterschaft. Dabei haben die potenziellen Partner jedoch wenig zu bieten, kritisieren die Frauen: Reproduktionsarbeit und Kindererziehung sind in Südkorea komplett weibliche Angelegenheiten.
Laut einer Umfrage des Koreanischen Kriminologischen Instituts aus dem Jahre 2015 fühlen sich außerdem 71,7 Prozent der südkoreanischen Frauen von ihrem Partner kontrolliert, 35,5 Prozent thematisierten psychische und 22,5 Prozent körperliche Gewalt in ihren Beziehungen. Als wäre das nicht genug, gibt es seit einiger Zeit auch noch den sogenannten »Sperma-Terrorismus«: Männer ejakulieren auf die Kleidung oder das Essen von Frauen, um sie zu erniedrigen. Auch das heimliche Fotografieren und Filmen von Frauen sowie die Veröffentlichung des oftmals sensiblen Materials im Internet, wo Männer ihren Vergewaltigungsfantasien dann freien Lauf lassen, sind gang und gäbe. Die Täter erhalten in Südkorea dafür in der Regel maximal Geldstrafen, da bei Polizeibeamt*innen die Sensibilisierung für geschlechtsspezifische Gewalt fehlt.
Nachdem jedoch im August 2018 eine Frau heimlich das Foto eines Aktmodells an ihrer Universität aufgenommen hatte, wurde sie zu zehn Monaten Haft verurteilt. Die Wut über diesen Doppelstandard und die Alltäglichkeit männlicher Gewalt, der Frauen in Südkorea weitestgehend schutzlos ausgeliefert sind, entlud sich in landesweiten Demonstrationen und der Gründung neuer, feministischer Bewegungen. Teilnehmerinnen der Proteste schnitten sich vor laufender Kamera die Haare, um sich der Beauty-Industrie und den herrschenden Schönheitsvorstellungen zu widersetzen. Daraus entwickelte sich die »Entkomme dem Korsett«-Bewegung, deren Erfolg inzwischen dazu geführt hat, dass ein Viertel aller südkoreanischen Frauen kein Make-up mehr trägt. Das ist nachvollziehbar: Zwar ist gegen Make-up an sich nichts einzuwenden, doch die ideologische Vermittlung unerreichbarer ästhetischer Standards bestärkt Frauen in ihren Unsicherheiten und zieht ihnen das Geld aus der Tasche.
Anhängerinnen der »Entkomme dem Korsett«-Bewegung fanden sich über den aktivistischen Austausch auf Social Media dann schnell zur »4B«-Bewegung zusammen. Ähnlich wie beim politischen Lesbentum geht es in dieser darum, den Kontakt zu Männern so gering wie möglich zu halten. Das führt mitunter auch zu Spannungen innerhalb der Community: Sind Freundschaften zu Männern in Ordnung? Wie verhält es sich mit schwulen Männern? Und was ist mit trans Frauen, die stellenweise aus »4B«-Foren ausgeschlossen werden?
Einigen in der »4B«-Bewegung organisierten Frauen ist die Forderung, gar nichts mehr mit Männern zu tun haben zu wollen, sicher zu radikal. Andere Aktivistinnen argumentieren jedoch, dass dies eine notwendige Form von Selbstschutz ist: Solange Männer Frauen verachten und ihnen Gewalt zufügen, ist es das einzig Vernünftige, sich dieser Gewalt vollständig zu entziehen. Die heterosexuelle Beziehung ist für die »4B«-Frauen kein Garant für Sicherheit, Glück oder Erfüllung, sondern vielmehr eine Quelle der Gewalt. Anders als bisherige feministische Diskurse in Südkorea findet die »4B«-Diskussion zudem nicht nur im Umfeld von Universitäten und NGOs statt, sondern bringt Frauen aus sämtlichen ökonomischen Schichten zusammen. Dies führt zu einer eng vernetzten Solidarität: Mitglieder der Bewegung unterstützen sich gegenseitig ökonomisch – was in einer Gesellschaft mit einer derart großen geschlechtsspezifischen finanziellen Ungleichheit notwendig erscheint –, geben sich Tipps bei der Wohnungssuche und helfen einander, sich gegen übergriffige Männer zu wehren. Denn gerade Feministinnen werden oft gezielt Opfer frauenfeindlicher Angriffe, sowohl im Internet als auch auf der Straße.
Dass Mitglieder der »4B«-Bewegung Männer aus ihrem Leben schneiden, ist also einer konkreten gesellschaftlichen Bedrohungslage geschuldet – es ist Selbstschutz. Der Vergleich mit Incels hinkt daher stark: Denn der Hass, den diese Männer auf Frauen hegen, ist Resultat von gekränktem Anspruchsdenken und Misogynie. Die vermeintlich ungerechte Sexlosigkeit, über die sie lamentieren, wird Frauen angelastet, um den eigenen, oft gewaltvollen Frauenhass zu legitimieren.
Dass Frauen Männern ihre Aufmerksamkeit, ihre Körper und ihre Zeit verweigern, um gegen deren Regime zu protestieren, ist nicht neu: Schon in der Antike rief Lysistrata, zumindest in der gleichnamigen Komödie von Aristophanes, zum Sex-Streik auf, um einen Krieg zu beenden. Doch bringt das etwas? In Südkorea führt die feministische Kritik an patriarchaler Zurichtung bis jetzt noch nicht zu einem Umdenken der männlichen Bevölkerung, sondern im Gegenteil zu einem massiven antifeministischen Backlash. Männer beschweren sich im Internet über »gemeine Feministinnen« und »oberflächliche Weiber«, die in Beziehungen nur aufs Geld aus seien, oder attestieren Feministinnen, schuld am Rückgang der Geburtenrate zu sein. Laut einer 2019 im Buch »Men in 20s« veröffentlichten Studie des südkoreanischen Journalisten Cheon Gwan-yul vertreten 58,6 Prozent der südkoreanischen Männer in ihren Zwanzigern »extreme antifeministische Einstellungen«. Fast sämtliche befragten Männer gaben an, dass die gesellschaftliche Diskriminierung von Männern stärker sei als die von Frauen. Diese Haltung zeigt sich auch auf höchster politischer Ebene: Der ehemalige Vorsitzende der konservativen People Power Party Lee Jun-seok erhob Antifeminismus zu einem integralen Bestandteil seines Wahlkampfes. Eines seiner Ziele war es, das Ministerium für Frauen und Gleichberechtigung abzuschaffen. Zwar konnte sich Lee damit nicht durchsetzen, doch es sieht nicht so aus, als würde sich die Situation für Frauen in den nächsten Jahren verbessern.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.