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Stefan Heym: Zwischen allen Stühlen
Für Einsteiger und Eilige: Eine Ausstellung in der Rosa-Luxemburg-Stiftung in Berlin anlässlich des 110. Geburtstages von Stefan Heym
Wie gegenwärtig ist uns der Autor Stefan Heym? Am 10. April wäre er 110 Jahre alt geworden, er starb im Dezember 2001 in Israel am Toten Meer. Zuvor hatte er dort noch auf einer Tagung den Vortrag »Heinrich Heine und die Ironie« gehalten. Heine in Paris ist ein gutes Stichwort: der Jude, der Weltbürger, der an Deutschland aus der Ferne leidet und sich mit Ironie gegen den Schmerz wehrt.
Stefan Heym war ebenfalls Emigrant, zeitweise amerikanischer Staatsbürger, als Soldat in einer Abteilung für psychologische Kriegsführung bei der Landung in der Normandie beteiligt. Darüber wird er – auf Englisch – in »Kreuzfahrer von heute« berichten, dem Roman, den in den USA erst niemand drucken wollte und der dann ein großer Erfolg wurde. In seiner Autobiographie »Nachruf« schreibt er über sich in der dritten Person: »Im Laufe der Jahre ist er Amerikaner geworden, ein besserer vielleicht als mancher im Lande geborene, und Amerikaner wird er bleiben …«
Als Kommunist der »unamerikanischen Umtriebe« verdächtigt, muss er 1952 wie so viele linke und liberale Künstler von Brecht, Chaplin bis Thomas Mann die USA verlassen – flieht nach Europa, wo man ihn jedoch nicht haben will. In Prag wartet er schließlich darauf, in die DDR gelassen zu werden. Im Umfeld des letzten großen stalinistischen Schauprozesses, des sogenannten Slánský-Prozesses, macht man in der Tschechoslowakei Jagd auf West-Emigranten, solche wie ihn. Nicht wenige seiner antifaschistischen Freunde verschwinden, werden zum Tode verurteilt und als Spione hingerichtet. Die Zeit drängt, für Heym wird es in Prag immer gefährlicher. Aber die DDR lässt sich Zeit, einen wie ihn betrachtet Walter Ulbricht mit Misstrauen. Spezialist für psychologische Kriegsführung in der US-Armee? So einen will man lieber nicht im Lande haben, mitten im Kalten Krieg. Vermutlich hat Heym es Johannes R. Becher zu verdanken, dass er schließlich doch in die DDR übersiedeln darf – kurz vor dem 17. Juni 1953. Dieses Datum gibt dann der SED-Spitze reichlich Gelegenheit zu bereuen, dass man ihn ins Land holte.
Ein Leben zwischen allen Stühlen. Aber Auseinandersetzungen ist Heym bis zu seinem Tod nie aus dem Weg gegangen. Der Widerspruch blieb ihm Lebenselixier. Im Foyer der Rosa-Luxemburg-Stiftung sind nun 28 Schautafeln zu besichtigen, auf denen Leben und Werk Stefan Heyms in kompakter Weise dargestellt werden. Heym für Einsteiger und Eilige, denen das Weiterlesen dringend empfohlen wird. Kuratiert hat diesen Parcours durch eine Jahrhundertbiografie Therese Hörnigk unter dem Titel: »Ich habe mich immer eingemischt«. Tatsächlich, wenn es einen roten Faden in seiner wechselvollen Biografie gibt, dann diesen.
Geboren wurde Heym 1913 in Chemnitz als Helmut Flieg in einer Kaufmannsfamilie. Chemnitz ist eine der dynamischsten Industriestädte der Zeit. Aufs Gymnasium geht er mit Rudolf Leder, ebenfalls gebürtiger Chemnitzer, der sich später als Dichter Stephan Hermlin nennt. Sie sehen sich damals durchaus, aber sprechen nicht miteinander. Zwei konkurrierende Universen, die erst die Zwänge der DDR-Kulturpolitik (der Protest gegen die Biermann-Ausbürgerung 1976 vor allem) zu gemeinsamem Handeln bringen. Obwohl, gegenseitige Achtung ist da wohl von Anfang an, aber aus der Ferne. Exzellente Distanz-Spieler sind sie beide.
Wegen des Gedichts »Exportgeschäft« über Waffenlieferungen Deutschlands nach China wird er 1931 vom Gymnasium verwiesen, geht nach Berlin, macht sein Abitur, beginnt Philosophie, Zeitungswissenschaft und Germanistik zu studieren, schreibt für die »Weltbühne«. 1933 muss er als Jude und Kommunist emigrieren. In Prag nennt er sich erstmals Stefan Heym. Sein Leben zu erzählen, heißt Jahrhundertgeschichte in den Blick zu nehmen. Ein Unterfangen, heute lehrreicher denn je.
Für die einen hörte er nie auf, gegenwärtig zu sein, für die anderen war er das nie. Das hat mit seinem Traum zu tun, dem er lebenslang treu bleibt: die Utopie von einem Sozialismus, der nicht weniger, sondern mehr Demokratie ermöglicht als die bürgerliche Gesellschaft.
Mit dem Arbeiteraufstand vom 17. Juni 1953, den der Kreis um Walter Ulbricht reflexartig einen faschistischen Putsch nennt, stürzt er sich unerschrocken in Diskussionen über die Ursachen, tritt sogar Stalins Statthalter in der DDR, Semjonow, mit den Worten entgegen, wichtiger als eine aufgerüstete Staatssicherheit oder mehr Waren in den Geschäften sei, »Herz und Hirn ihrer Deutschen für sich zu gewinnen, ein Wettlauf habe eingesetzt um die deutsche Seele«. Worte, mit denen er bei seinen Genossen, die das von Anfang an nicht sein wollen, bloßes Befremden auslöst. Aber seine Worte sind genauso ernst gemeint, wie es Heines Pariser Schlaflosigkeit angesichts deutscher Zustände war. Das Thema Vision und Manipulation hat schon den jungen Heym beschäftigt. Gerade hat das Schauspiel Chemnitz sein frühes Drama von 1941 über den »Hellseher« Erik Jan Hanussen, der im März 1933 von den Nazis ermordet wurde, in der Regie von Carsten Knödler mit großem Erfolg auf die Bühne gebracht.
Es dauert nicht lange, bis sich Heym auch im Osten ins Abseits geschrieben hat. Sein Buch über den 17. Juni, »Der Tag X« (später unter dem Titel »Fünf Tage im Juni«) darf in der DDR nicht erscheinen. Immer wieder legt er den Finger in die Wunde, so mit »Collin«, einem schonungslosen Porträt des Alter Egos von Erich Mielke, dem Minister für Staatssicherheit. Oder mit »Schwarzenberg«, der Utopie eines herrschaftsfreien Raumes am Beispiel eines von den Alliierten für Wochen vergessenen Fleckchens Land, oder mit »Ahasver«, die Legende vom Ewigen Juden aufnehmend. Die Frage hierbei: Wie werden aus einstigen Revolutionären repressive Ordnungsdenker?
Jede Menge Ärger für einen Autor, der in Berlin-Grünau wohnt und darauf besteht, ein DDR-Schriftsteller zu sein, zumal als deutscher Jude, der als amerikanischer Staatsbürger gegen Hitlers Truppen gekämpft hatte. Nein, die DDR-Führung sah in Heym nicht den weltläufigen Geist, den furchtlos-solidarischen Ratgeber, sondern das Ärgernis. Hat er darum, wie auf einer der Schautafeln zu lesen ist, bereut, in die DDR gekommen zu sein? Ich glaube nicht, denn hier wusste er um die Bedeutsamkeit seiner Bücher (auch der verbotenen, die dann aus dem Westen ins Land geschmuggelt wurden), auf seine Worte kam es an. Im Osten verkörperte er wie kein zweiter die Idee eines anderen Sozialismus – im Westen wäre er damit kaum durchgedrungen.
Darum hofft er auch, dass mit dem ’89er Herbst die Stunde für eine erneuerte DDR gekommen sei. Wir sehen ihn am 4. November auf dem Alexanderplatz, gebeugt, aber nicht gebrochen, die Sätze sprechen: »Es ist, als hätte jemand das Fenster aufgestoßen nach all den Jahren der Stagnation …«
In Westmedien bis eben als Dissident gefeiert, wird er als Erstunterzeichner des Aufrufs »Für unser Land« vom 26. November 1989 über Nacht zur Unperson. Als er 1994, für die PDS in den Bundestag gewählt, als Alterspräsident sprechen soll, boykottiert die CDU/CSU-Fraktion (außer Rita Süssmuth) seine Rede – da waren sie wieder, die alten Feinde, die notorischen Antikommunisten. Erfundene Stasi-Vorwürfe sollen ihn diskreditieren. Was sagt er denen, die das nicht hören wollen? Dieses etwa: »Wie lange wird der Globus noch, der einzige, den wir haben, sich die Art gefallen lassen, wie diese Menschheit ihre tausenderlei Güter produziert und konsumiert?«
Die Siegermentalität West erweist sich als blind und taub für solche Einwände gegen die kapitalistische Profitwirtschaft. Ein Jahr später legt Heym sein Mandat nieder. Seinen Nachlass gibt er bereits 1992 nach Cambridge. Sein Vertrauen in dieses Deutschland ist nicht sehr groß. Wie politisch war der Autor Heym? Nie mehr als nötig. Geschichtliche und zwischenmenschliche Fragen beschäftigten ihn im Grunde viel mehr.
Als mich »Das Magazin« im Jahr 2000 zu Heym nach Hause schickte, um mit ihm über die Liebe zu sprechen, wehrte er anfangs hochfahrend ab, was habe er als alter Mann mit der Liebe zu tun? Doch als ich – was sollte ich, auf den Rauswurf wartend, auch anderes tun – beharrlich beim Thema blieb, ließ er sich kurzentschlossen darauf ein. Das dann ohne Vorbehalt. Da zeigte er als jener amerikanischer Journalist, der er immer auch geblieben ist: offen, wendig, einfallsreich und pointiert.
Manche seiner Kollegen haben geringschätzig auf seinen Hang zur Story reagiert. Das sei doch bloß minderwertiger Zeitungsstil. Aber ich denke bei Heym zuerst an Heine und seine bittere Lust, sich mittels Ironie den Schmerz von der Seele zu schreiben. Ohne Scheu, seine Leser auch zu unterhalten, nicht bloß sie belehren zu wollen.
Ausstellung »Ich habe mich immer eingemischt«, bis 15. August, Foyer der Rosa-Luxemburg-Stiftung, Straße der Pariser Kommune 8A, 10243 Berlin.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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