Sechs Grad wärmer in Berlin

Der deutsche Verkehrssektor sprengt sein Klimaziel so stark wie kein anderer Bereich

  • David Zauner
  • Lesedauer: 5 Min.

Eine um 3,1 Grad wärmere Welt. Darauf steuert die Klimapolitik des deutschen Verkehrsministeriums zu. Zu diesem Ergebnis kommt eine von der Deutschen Umwelthilfe (DUH) in Auftrag gegebene Studie des New Climate Institute. Doch was bedeutet das?

In der Studie heißt es dazu: »Würden alle Sektoren und Länder ihre Emissionsreduktionen so verschleppen wie der deutsche Verkehrssektor, wäre ein globaler Temperaturanstieg von drei Grad Celsius zu erwarten.« Das mag auf den ersten Blick etwas konstruiert wirken, ist aber durchaus schlüssig. Das wissenschaftliche Fundament der Studie ist das CO₂-Budget. Das ist die Menge an CO₂-Emissionen, die sich die Welt noch erlauben kann, um ein bestimmtes Temperaturniveau nicht zu übersteigen.

Der Weltklimarat IPCC gibt diese globalen Budgets für verschiedene Temperaturniveaus und Einhaltungswahrscheinlichkeiten an. Um das 1,5-Grad-Ziel mit einer Zwei-Drittel-Wahrscheinlichkeit zu erreichen, dürfen wir noch 400 Milliarden Tonnen CO₂ in die Atmosphäre pusten, gerechnet ab 2020. Dieses Budget kann dann im ersten Schritt auf die Länder der Erde aufgeteilt werden. Deutschland bekommt dabei, gemäß seinem Anteil an der Weltbevölkerung, 1,1 Prozent des globalen Restbudgets zugeteilt. Im zweiten Schritt kann man die Länderbudgets auf die einzelnen Sektoren wie Energie, Verkehr oder Gebäude aufteilen.

Und genau das hat das Kölner New Climate Institute in seiner Studie gemacht. Dabei kommt Deutschland noch relativ glimpflich davon, erklärt Niklas Höhne, Gründer des Instituts und Studienautor am Donnerstag. »Wir beziehen weder die Wirtschaftskraft noch die historischen Emissionen Deutschlands mit ein«, erläutert der Klimaexperte.

Die Studienautor*innen beziehen sich dabei auf die Methodik des Sachverständigenrates für Umweltfragen. Aber nicht nur wissenschaftlich, sondern auch juristisch wiegt der Budget-Ansatz schwer. Das Bundesverfassungsgericht urteilte 2021 nicht nur, dass das deutsche Klimaschutzgesetz in Teilen verfassungswidrig ist, sondern auch, dass sich künftige Reduktionsmaßnahmen nach diesem Budgetansatz richten müssen. Doch genau daran scheitert das Verkehrsministerium. »Mit dem aktuellen Kurs wird der Verkehrssektor zwischen heute und 2030 beinahe viermal so viel klimaschädliche Treibhausgase verursachen wie mit der 1,5-Grad-Grenze vereinbar«, erklärt DUH-Geschäftsführer Jürgen Resch.

Auch dem Argument, es komme ja auf die Gesamtemissionen an und wenn ein Sektor ein bisschen schneller klimaneutral wird, könne sich ein anderer etwas mehr Zeit lassen, nimmt Klimaforscher Höhne den Wind aus den Segeln. Der deutsche Verkehrssektor sei zwar das klare Schlusslicht, aber kein Sektor erfülle seine Pflicht, auch nicht die Industrie oder der Energiebereich. Kein einziger Sektor schafft bis 2030 das im Klimagesetz vorgegebene Ziel – und selbst diese Ziele sind noch nicht im Einklang mit dem 1,5-Grad-Limit.

Die Idee, die bei der kürzlich im Koalitionsausschuss beschlossenen Entschärfung des Klimaschutzgesetzes durchscheint, wonach das Verkehrsministerium seine Mehremissionen an andere Sektoren abgeben könnte, funktioniert nicht. Im Verkehrsministerium müsse ein Paradigmenwechsel stattfinden, fordern Jürgen Resch und Niklas Höhne. Dazu zählen der sofortige Ausbau der Bahn und des öffentlichen Nahverkehrs einschließlich Elektrifizierung. Das Deutschlandticket sei zwar ein kleiner Fortschritt, sagt Höhne. Diesem stünden aber diverse Rückschritte gegenüber, etwa eine steigende Entfernungspauschale und die Bevorzugung von Autobahnprojekten.

Resch fordert nun ein »radikales Klima-Notfallprogramm« für den Verkehrssektor. Dazu müsse ein Tempolimit – 100 km/h auf Autobahnen, 80 km/h außerorts und 30 km/h innerorts – eingeführt und die staatliche Subventionierung von Diesel- und Benzin-Fahrzeugen sofort beendet werden. Dabei bezieht sich Resch auf die Möglichkeit, selbst den Kauf von Luxusautos steuerlich als Abschreibung vom eigenen Gewinn abzuziehen und damit Steuern zu sparen. Steuern, die für die klimagerechte Transformation dringend benötigt werden.

Würden sich also alle Staaten am deutschen Verkehrsministerium ein Beispiel nehmen, würde uns eine um mindestens drei Grad wärmere Welt am Ende des Jahrhunderts erwarten. »An so eine Welt können wir uns nicht mehr anpassen«, betont Klimawissenschaftler Höhne. So warm war es das letzte Mal vor drei Millionen Jahren, im Pliozän. Der Meeresspiegel lag damals 15 bis 20 Meter höher als heute. In Europa wanderten Giraffen, Gazellen und Vorfahren der Elefanten durch die Landschaft. Eine globale Erwärmung um drei Grad in nur wenigen Jahrzehnten hätte katastrophale Auswirkungen. Kaum ein Ökosystem kann sich innerhalb eines geologischen Wimpernschlags an komplett veränderte Bedingungen anpassen.

Zumal die Erwärmung vielerorts weit über den drei Grad liegen würde. Eine im Durchschnitt drei Grad wärmere Welt bedeutet ein im Schnitt sechs Grad wärmeres Deutschland. Berlin wäre damit wärmer als das heutige Madrid. Heimische Tier- und Pflanzenarten werden sich nur schwer an das neue Klima anpassen können, erklärt Höhne. Um all das zu verhindern, müssten wir jetzt »in den Notfallmodus« schalten. Dafür setzt Jürgen Resch von der DUH nicht länger auf den Verkehrsminister. »Herr Wissing wird von sich aus nicht tätig werden. Wir setzen auf die Gerichte und auf das Parlament«, stellt er klar. »Vielleicht gibt es ja noch einige ökologisch denkende Abgeordnete, die sagen: Wir tragen so eine Klimapolitik nicht mehr mit.«

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