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Keine Klarheit über Blutwäsche
IGeL-Monitor bewertet erstmals ärztliche Selbstzahlerleistungen zur Behandlung von Covid-Folgeerkrankungen
Auch junge Versicherte kennen sie mittlerweile häufiger: IGeL. Die Abkürzung steht für individuelle Gesundheitsleistungen, welche in Arztpraxen erbracht werden können und nicht im Leistungskatalog der gesetzlichen Krankenkassen enthalten sind. Die Patienten müssen selbst dafür aufkommen.
Der IGeL-Report wird vom IGeL-Monitor und dem Marktforschungsunternehmen Aserto im Auftrag des Medizinischen Dienstes Bund (MDB) verfasst, welcher die gesetzlichen Krankenkassen in medizinischen Fragen berät. Aus dem diesjährigen Bericht geht hervor, dass 78 Prozent der Befragten einer repräsentativen Umfrage mit 5844 Teilnehmern die Zusatzleistungen bekannt sind.
Insbesondere in der Altersgruppe der 20- bis 29-Jährigen hat der Bekanntheitsgrad seit dem letzten Report von 2020 von 63 auf 77 Prozent zugenommen. Auch die Akzeptanz von Selbstzahlerleistungen hat sich in dieser Altersgruppe stärker erhöht als in der Gesamtbevölkerung. Michaela Eikermann, Bereichsleiterin evidenzbasierte Medizin beim MDB, führte die gestiegene Nachfrage und Akzeptanz bei der Vorstellung des Reports am Donnerstag in Berlin unter anderem auf spezifisch auf junge Menschen zugeschnittene Untersuchungen zurück.
Diese fanden sich unter den hauptsächlich erbrachten Leistungen wieder. So ist die Ultraschalluntersuchung zur Krebsfrüherkennung der Eierstöcke und der Gebärmutter mit 14 Prozent Spitzenreiter der genannten Behandlungen. Da es bei dieser Untersuchung häufig zu falsch-positiven Ergebnissen komme, wird diese Leistung im Bericht allerdings mit »negativ« bewertet, die schlechteste Kategorie der fünfstufigen Skala. Insgesamt wurden 55 IGeL bewertet, keine davon wurde mit »positiv« bewertet.
Bei der Krebsfrüherkennung per Ultraschall würden die oft jungen Frauen »völlig unnötig in Angst und Schrecken versetzt«, sagte Stefan Gronemeyer, Vorstandsvorsitzender des MDB. Die Untersuchung habe keinen Nutzen, ihre Durchführung werde aufgrund ihrer potenziellen Schäden von gynäkologischen Fachgesellschaften abgelehnt. »Diese Leistung dürfte überhaupt nicht mehr angeboten werden, wenn man Patientensicherheit ernst nimmt«.
Um Patientenrechte ist es offenbar auch sonst nicht gut bestellt. So wurde die überwiegende Mehrzahl der erbrachten Leistungen auf Initiative der behandelnden Ärzte durchgeführt. Allerdings gaben nur 56 Prozent der Befragten an, vor der Entscheidung über die Risiken aufgeklärt worden zu sein. Bei 18 Prozent der Befragten soll der behandelnde Arzt sogar eine Kassenleistung abhängig von der Durchführung einer Selbstzahlerleistung gemacht haben. In Kommentaren von unzufriedenen Befragten ist von Geringschätzung nach Ablehnung der Behandlung und »Verkaufsdruck« die Rede. Gronemeyer forderte deshalb die Ärzteschaft zur proaktiven Einhaltung der gesetzlich vorgeschriebenen Patientenrechte und zur besseren Aufklärung jüngerer Patienten auf.
Gerade die Untersuchungen für junge Menschen werden laut der Studie häufig als Kombiangebote vermarktet. 75 Prozent der Befragten bewegten sich in einem IGeL-Kostenspektrum von 15 bis 250 Euro pro Jahr, 20- bis 39-Jährige lagen jedoch häufiger an dessen oberen Ende als Ältere.
Besonders kostenintensiv sind laut Michaela Eikermann zwei Behandlungen, die nun erstmals vom IGeL-Monitor untersucht wurden und in der Therapie von Coronafolgeerkrankungen zur Anwendung kommen. Einerseits die H.E.L.P.-Apherese, auch »Blutwäsche« genannt, andererseits die hyperbare Sauerstofftherapie. »Die Behandlungskosten können sich aufgrund häufiger Sitzungen schon mal auf mehrere Tausend Euro belaufen‹, so Eikermann. Allerdings wurde die H.E.L.P.-Apherese, bei der Blut außerhalb des Körpers in einer Maschine gefiltert wird, laut IGeL-Report nur sieben Mal im Kontext von Long- oder Post-Covid angewendet.
Bei der Sauerstofftherapie gebe es bisher nur eine Studie, die keine klinische Evidenz nahelege, bei der Blutwäsche gar keine. Daher bewerte man die Maßnahmen als «unklar». Auch finden sich in den Datenbanken laut Eikermann zur Blutwäsche keine aktuellen oder geplanten Studien. Daher sei auch in nächster Zeit nicht mit klinischer Evidenz zu rechnen.
Dass Patienten nach Behandlungsmethoden für Long- und Post-Covid fragten und Ärzte nach solchen suchten, sei nachvollziehbar, erklärte Eikermann. Auch sei nicht von einem reinen Profitmotiv der Ärzte auszugehen. «Da steckt Überzeugung dahinter. Die gilt es allerdings durch klinische Studien zu objektivieren.» Daher forderte sie die Politik auf, durch bessere Förderungsmöglichkeiten die evidenzbasierte Medizin zu unterstützen.
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