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Generationen des Protest: Die Umweltbewegung früher und heute
Zu wenig Klassenkampf? Aktivist*innen aus Anti-Atomkraft-Bewegung, Häuserkampf und Stadtguerilla blicken auf die Letzte Generation
Katja Schreiner hatte Angst, als sie 1987 hinter einer Barrikade saß, mit der die damals besetzten Häuser in der Hamburger Hafenstraße gegen die Räumung durch die Polizei verteidigt werden sollten. Sie hatte sich darauf eingestellt, dass der Preis für den Häuserkampf hoch sein würde und sie verletzt werden könnte. Die zuvor leerstehenden und von den Besetzer*innen eigenhändig sanierten Gebäude hätten für »gelebte Utopie«, für eine Infragestellung des Systems gestanden, erzählt Schreiner »nd«.
Dann sagte Hamburgs Erster Bürgermeister Klaus von Dohnanyi (SPD) die Räumung ab, um eine Eskalation zu verhindern. »Da habe ich die Erfahrung gemacht, dass das Überwinden von Angst zum Erfolg führen kann«, sagt sie. Das hilft der mittlerweile 56-Jährigen auch bei den Straßenblockaden der Letzten Generation, der sie sich vor einem halben Jahr angeschlossen hat. »Aber eigentlich ist die Letzte Generation noch mutiger, als wir damals waren, weil sie sich den Menschen auf der Straße ausliefert«, fügt sie hinzu.
Außer bei den Hausbesetzer*innen engagierte sich Schreiner auch bei der Antifa und in der Anti-Atomkraft-Bewegung. Im Wendland wurde sie festgenommen, weil ihre Gruppe einen Castortransport mit einem Klavier blockierte. »Es wäre schlau gewesen, wenn wir uns damals schon festgeklebt hätten«, sagt sie lachend. Friedlich seien die Proteste aber nicht immer gewesen. »Sachbeschädigung war für uns früher völlig okay.« Und von außen sei es damals sicher schwer einzuschätzen gewesen, ob eine Gruppe auch Steine schmeißen würde oder nicht.
Den gewaltfreien zivilen Ungehorsam der Letzten Generation hält die Hamburgerin »in der Konsequenz für etwas Neues«. Anders als früher stellt sie sich mit der Letzten Generation polizeilicher Repression und der Justiz. Das ist ihr wichtig, nachdem die G20-Proteste 2017 in Hamburg ihrer Ansicht nach »völlig entglitten« sind und »nur mit Glück niemand getötet wurde«. Für sie hat die autonome Bewegung damit einen Endpunkt gefunden; sie wollte sich friedlichen Aktionen zuwenden.
Klaus Viehmann hat »viel Respekt vor der Risikobereitschaft der Aktivist*innen und den akzeptierten Konsequenzen«. Er war in den 7Oer Jahren in der Stadtguerilla aktiv und wurde selbst unter anderem wegen Gefangenenbefreiung und Banküberfällen verurteilt. Allerdings hat er wenig Verständnis dafür, dass die Letzte Generation sich nicht wehrt gegen die Polizei. »Bei Aktionen weg zu sein, ehe die Bullen kommen, ist zu old school?«
Auch seien Appelle an die Regierung »etwas naiv. Staat und Bourgeoisie werden Macht und Reichtum immer und notfalls mit Gewalt verteidigen, das ist ihr unverhandelbares Interesse«, ist Viehmann überzeugt. Ihn selbst trieb die Angst vor einem Neuaufkommen des Faschismus in den Widerstand. Der Militärputsch 1973 in Chile hat »uns Internationalist*innen bitter vor Augen geführt, wie eine faschistische Armee eine zahlenmäßig viel stärkere – aber unbewaffnete – Linke unterwerfen kann«, berichtet er »nd«. Politische Gefangenenbefreiungen gegen »einen scheinbar übermächtigen Staat« erlebte er als Erfolg.
Auch die Klimakatastrophe ist für den 69-jährigen Berliner ein gerechtfertigter Grund, um »den sozialen Frieden aufzukündigen«. Die Straßenblockaden der Letzten Generation enthielten aber »zu wenig Klassenkampf«. Deshalb hält er die Gruppe auch nicht für radikal »in dem revolutionären Sinn, alle Verhältnisse umwerfen zu wollen«. Passender sei der Begriff der Militanz, der »eine Einheit von Überzeugung und Handeln« meint.
Ähnlich sieht das Holger Zschoge, der wie Schreiner gegen Atomkraft kämpfte und heute in verschiedenen Klimagruppen wie Ende Gelände sowie der Mietenbewegung in Potsdam aktiv ist. Über die Letzte Generation sagt der 60-Jährige zu »nd«: »Ich sehe weder Radikalität in den Forderungen noch in der Analyse.« Radikal sein bedeute Antikapitalismus, die Systemfrage stellen. Wenn man das tue, müsse man den Verursachern der Klimakrise wehtun – »und das ist nicht auf der Straße der Fall«.
Zschoge, der in den 90er Jahren in der Uckermark die »Baseballschlägerjahre« erlebte, politisierte sich im Kampf »gegen Nazis und Rassisten«. Dann sah er im Wendland »die Vision einer anderen Gesellschaft«. Eine riesige Mehrheit habe dort hinter der Umweltbewegung gestanden und auf unterschiedlichste legale oder ungehorsame Weise gemeinsam protestiert: von Gottesdiensten am Gleis über Treckerblockaden bis hin zum »Schottern«. »Aber Konsens war wichtig und keine Gewalt gegen Menschen«, betont Zschoge. Eigentlich wie in der heutigen Klimabewegung, nur dass die Akzeptanz von zivilem Ungehorsam in seinen Augen extrem abgenommen hat.
Der Unterschied sei, dass im Wendland klar war: »Wir kämpfen gegen den Atomstaat, gegen das Wirtschaftssystem. Wir müssen die Macht der Monopole brechen und den Kapitalismus zum Ende bringen.« Die Letzte Generation sei dagegen eine bürgerliche Bewegung, ihre Forderungen wären mit dem System gut vereinbar: ein Gesellschaftsrat, ein Tempolimit, günstiger Nahverkehr.
Während frühere Bewegungen erst mal alles verändern wollten, tastet die Letzte Generation sich mit eigentlich leicht umsetzbaren Forderungen vor. Es bringe aber wenig, weiter zuerst die Abschaffung des Kapitalismus zu fordern, meint Katja Schreiner, denn die Zeit rennt, wenn es ums Klima geht. Angesichts des ökologischen Zustands der heutigen Welt sei die frühere Umweltbewegung ohnehin ein Stück weit gescheitert. »Für den Atomausstieg waren zwei Reaktorunfälle notwendig. Das können wir uns beim Klima nicht erlauben«, stellt sie fest.
Zschoge sieht das anders: Der Atomausstieg sei als Erfolg der Umweltbewegung zu verbuchen. »Ich habe erlebt, dass ein Castor-Transporter zum vorherigen Bahnhof zurückgefahren werden musste. Da war spürbar, dass der Staat an seine Grenzen gestoßen ist«, erzählt er. Das sei dem breiten Spektrum an Aktionsformen zu verdanken gewesen. Deshalb glaubt Zschoge, dass auch die Letzte Generation mit ihren Forderungen nur als Teil der ganzen Klimabewegung und in Verbindung mit sozialen Kämpfen eine Chance hat. »Dafür braucht es auch eine Analyse der gesellschaftlichen Zustände und radikale Ideen«, sagt er. Der Kampf um Lützerath sei ein guter Ansatz gewesen.
Klaus Viehmann empfiehlt der Letzten Generation, sich nicht spalten zu lassen und möglichst internationalistische Bündnisse zu schließen, wie es auch schon passiert: Die Gruppe ist Teil eines internationalen Netzwerks ziviler Widerstandsprojekte, des A22 Network. Außerdem sollten die Aktivist*innen sich »immer wieder vergegenwärtigen, was Staaten und Kapitalismus weltweit angerichtet haben und anrichten werden, wenn sie nicht gestoppt werden«, so Viehmann.
Vier Aktivist*innen sind für ihren Protest inzwischen zu Gefängnisstrafen verurteilt worden: in dieser Woche Maja Winkelmann in Berlin zu vier Monaten Haft ohne Bewährung, in der vorherigen drei Aktivist*innen in Heilbronn zu drei bis fünf Monaten Haft. Hier sei wichtig, sich nicht unterkriegen zu lassen, sagt Viehmann, der selbst 15 Jahre im Gefängnis saß. Solche Auseinandersetzungen mit Staat und Justiz könne man nur überstehen, »wenn du wirklich überzeugt bist, dass du auf der richtigen Seite stehst. Falls sie dich im Knast nicht kleingekriegt haben, kommst du etwas klüger und überzeugter wieder heraus«, meint er.
Natürlich können sich Überzeugungen ändern. Katja Schreiner sagt, früher habe sie die parlamentarische Demokratie komplett in Frage gestellt, heute finde sie sie nur noch verbesserungswürdig, weshalb sie auch den Gesellschaftsrat für eine sinnvolle Forderung hält. Zwar glaubt sie, dass es mit der kapitalistischen Wirtschaftsweise keine soziale und ökologische Gesellschaft geben kann – aber anderen Menschen möchte sie diese Meinung nicht aufdrücken. »Es geht nur über den demokratischen Weg und ziviler Ungehorsam ist ein wichtiger Teil davon.«
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