Neues EU-Gesetz: Sichere Kommunikation ist bald Geschichte

EU plant neues Gesetz zur anlasslosen Überwachung

  • Julien Schat
  • Lesedauer: 6 Min.

Vor einem Jahr hat die EU-Kommission einen Verordnungsentwurf zur »Prävention und Bekämpfung des sexuellen Missbrauchs von Kindern« im Internet vorgelegt. Der Vorschlag sorgt für Kritik, denn damit würden in Chats, Cloud-Diensten und Mails geteilte Inhalte zukünftig massenhaft und anlasslos durchleuchtet. Zudem sieht der Kommissionsentwurf eine verpflichtende Altersverifikation für Messenger und App-Stores vor. Damit würde die anonyme Nutzung vieler verschlüsselter Dienste wie etwa Signal, Telegram oder Whatsapp in Zukunft nicht mehr möglich sein.

Wie auf EU-Ebene üblich wird der Entwurf nun von den Mitgliedstaaten im Rat und den Abgeordneten beraten, dann folgen die sogenannten Trilog-Verhandlungen. Der Protest dagegen ist schon jetzt gewaltig, vor allem gegen die darin enthaltene »Chatkontrolle«, wie Kritiker*innen das Problem gern bezeichnen. Der 130-seitige Kommissionsentwurf sieht vor, dass Online-Dienste die Kommunikation ihrer Nutzer*innen nach bestimmten Videos, Fotos und Texten durchleuchten. Hierzu sollen sie eine Datenbank nutzen, in der Informationen zu bereits bekanntem, strafbaren Material hinterlegt sind. Auch sollen die Internetfirmen mit einem neu geschaffenen EU-Zentrum zusammenarbeiten, das bei Europol in Den Haag angesiedelt werden soll. Stoßen die Anbieter selbst auf mutmaßlich illegale Inhalte, haben sie diese an das Zentrum zu übermitteln.

Zur technischen Umsetzung des Vorhabens macht der Entwurf keine genauen Angaben. De facto werden damit aktuelle Verschlüsselungsstandards und damit sichere Verbindungen aber ausgehebelt. Denn ein Großteil der digitalen Kommunikation ist heutzutage Ende-zu-Ende-verschlüsselt. Das bedeutet, dass nur die kommunizierenden Parteien die Inhalte ihrer Nachrichten lesen können. Um diese auf illegale Darstellungen sexuellen Missbrauchs prüfen zu können, muss die Verschlüsselung eigentlich aufgehoben werden. Das geplante EU-Gesetz geht einen anderen Weg und soll die Kommunikation auf dem Gerät der Kund*innen durchleuchten, bevor die Verschlüsselung erfolgt.

Datenschützer*innen zeigen sich über dieses sogenannte »Client-Side-Scanning« äußerst besorgt. Von dieser »kundenseitigen Kontrolle« wären nicht nur Verdächtige betroffen, sondern sämtliche Nutzer*innen großer Online-Dienste. Ist die Überwachungstechnik erst einmal in Betriebssysteme auf Telefonen oder Servern eingebaut, können im Nachhinein auch ganz andere Inhalte als nur der »sexuelle Missbrauch von Kindern« damit verfolgt werden, so die Kritik. Das stelle einen unzulässigen Grundrechtseingriff in die Privatsphäre von Millionen von EU-Bürger*innen dar und öffne autoritären Regimen Tür und Tor, Dissident:innen, Aktivist*innen und Journalist*innen zu verfolgen.

Die EU-Parlamentsabgeordnete der Linken, Cornelia Ernst, hält die »kundenseitige Kontrolle« verschlüsselter Kommunikation für keine verhältnismäßige Antwort auf Kriminalität und befürchtet ebenfalls eine Ausweitung der Anwendung durch Polizeien und Geheimdienste. Gegen das eigentliche Ziel – die Prävention und Bekämpfung sexualisierter Darstellungen von Kindern – hat Ernst nichts einzuwenden, sie kritisiert aber das Mittel: »Es braucht gezielte und vor allem effektive und geeignete Maßnahmen, um Kindesmissbrauch online und offline zu bekämpfen«, erklärt die im Innenausschuss zuständige Abgeordnete gegenüber »nd«. Die von der EU-Kommission vorangetriebene Aushebelung der Verschlüsselung zerstöre geschützte virtuelle Räume, kriminalisiere Jugendliche wenn sie selbst bestimmte Dateien untereinander teilten und dränge außerdem Kriminelle in den weniger überwachten Untergrund. 

»Das Vorhaben fügt Opfern sexuellen Missbrauchs sowie Kindern und Jugendlichen am meisten Schaden zu«, sagt auch Patrick Breyer, der für die Piratenpartei im EU-Parlament sitzt, auf Anfrage des »nd«. Der Pirat hat für den Kommissionsvorschlag den inzwischen bei Kritiker*innen sehr geläufigen Begriff »Chatkontrolle« geprägt. Auch Breyer votiert für Alternativen für das eigentlich verfolgte Anliegen, darunter etwa Investitionen in Prävention, Opferhilfe, Forschung und bewährte Verfahren der Strafverfolgung. Ähnlich äußern sich auch zahlreiche Kinderschutz-Verbände und Bürgerrechtsgruppen. In einer kürzlich vorgelegten Studie hält der wissenschaftliche Dienst des EU-Parlaments den Gesetzesvorschlag sogar für inkompatibel mit EU-Recht.

Neben bereits bekannten, sexualisierten Darstellungen von Kindern und Jugendlichen soll die »Chatkontrolle« auch bislang unbekannte Bilder und Videos aufdecken. Darunter fällt auch das sogenannte Cybergrooming – also der Versuch von Erwachsenen, sexuelle Kontakte mit Minderjährigen anzubahnen. Die Erkennung verdächtiger Aufnahmen ist aber nur mit automatischer Bilderkennung möglich, die laut EU-Datenschutzbehörden hohe Fehlerraten verzeichnet. 

Wie auch alle anderen EU-Mitgliedstaaten muss die Bundesregierung dem Rat ihre Position zu der geplanten Verordnung mitteilen, woraus der Vorsitz dann eine erste, allgemeine Position erstellt. In ihrer Stellungnahme hat sich die Ampel-Koalition zwar kürzlich gegen die »kundenseitige Kontrolle« ausgesprochen, befürwortet aber die Durchleuchtung unverschlüsselter Kommunikation, die Überprüfung auf unbekannte Missbrauchsdarstellungen und Grooming sowie die geplante Altersverifikation. 

Durchgesetzt hat sich dabei offenbar Innenministerin Nancy Faeser (SPD), die immer wieder gefordert hat, jede private Kommunikation mitlesen zu können. Damit bricht die Bundesregierung mit ihrem Koalitionsvertrag, in dem es ausdrücklich heißt: »Allgemeine Überwachungspflichten, Maßnahmen zum Scannen privater Kommunikation und eine Identifizierungspflicht lehnen wir ab.« Als einer der 27 Mitgliedstaaten mit einer großen Bevölkerung hat die Bundesregierung zwar auf EU-Ebene Gewicht, entschieden wird die Position des Rates für die Trilog-Verhandlungen mit Parlament und Kommission jedoch in einem Mehrheitsprinzip.

Auch das EU-Parlament steht dem Kommissionsvorschlag nicht grundsätzlich ablehnend gegenüber. Ein vor zwei Wochen vom Innenausschuss vorgelegter Berichtsentwurf sieht vor, Ende-zu-Ende-Verschlüsselung zwar weder zu schwächen noch zu verbieten. »Überwachungsanordnungen« sollten deshalb eingeschränkt werden, etwa auf einen bestimmten Kommunikationskanal oder eine bestimmte Gruppe von Nutzern eines Online-Dienstes, sofern für diese ein »erhebliches Risiko identifiziert« wurde. Die Abgeordneten fordern auch, freiwillige Überwachungsmaßnahmen von Anbietern zu fördern, anstatt gesetzliche Vorgaben zu machen.

Das Echo auf den Entwurf des konservativen Parlamentsberichterstatters Javier Zarzalehos fällt dennoch eher kritisch aus. Denn damit würden Nutzer*innen wie von der Kommission vorgeschlagen anlasslos überwacht und Messenger-Dienste angehalten, Inhalte zu durchleuchten. Auch der verpflichtende Nachweis des Alters beim Download von Anwendungen bliebe grundsätzlich bestehen. Kritik kommt deshalb von Cornelia Ernst, die den Bericht als »kosmetisch und politisch eher weniger gehaltvoll« bezeichnet. 

Auch der FDP-Abgeordnete Moritz Körner zeigt sich enttäuscht. So setze das Parlament in dem Bericht der neuen Überwachungsmaßnahme nichts entgegen. So entstehe eine »europäische Big-Brother-Agentur«, mit der die Onlinewelt überwacht wird, so Körner zum »nd«. Noch hat sich das Parlament aber nicht auf eine Position zur »Chatkontrolle« festgelegt. Wie viele andere Abgeordnete kündigen Ernst und Körner an, den Kommissionsvorschlag in Änderungsanträgen zurückweisen zu wollen.

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