- Berlin
- Lehrkräftemangel
Mit bunt gemischten Helfern aus dem Bildungsnotstand
Brandenburgischer Pädagogenverband macht Vorschlag zum Umgang mit dem Lehrermangel
Vor aller Augen baute sich in Brandenburg ein bildungspolitischer Notstand auf. Bei der Präsentation seiner Lösungsvorschläge setzt der Brandenburgische Pädagogenverband (BPV) am Donnerstag auf die Rekrutierung von Personal aus vielen Bereichen der Gesellschaft.
Was BPV-Präsident Hartmut Stäker äußerte, ist ein schwacher Trost: Es sieht nirgends in Deutschland grundsätzlich anders aus. Im Zentrum des Problems steht Stäker zufolge ein Lehrermangel, der noch größer ist, als schlimme Befürchtungen ohnehin schon vermuten ließen. Vor einigen Monaten habe das Bildungsministerium die Lücke allein in Brandenburg mit 1600 unbesetzten Lehrerstellen angegeben.
Inzwischen geht die Bildungsverwaltung von einem Defizit von 1800 Lehrerinnen und Lehrern aus. Ursache dafür ist zum einen, dass nicht einmal halb so viele Lehrer »nachwachsen« und eingestellt werden können, wie aufgrund der altersbedingten Abgänge nötig wären. An der Universität Potsdam sind zwar inzwischen 1000 Lehramtsstudienplätze eingerichtet, doch nur 820 davon sind besetzt und weniger als 500 junge Lehrer kommen am Ende wirklich in den Schulen Brandenburgs an. Nötig aber wären stabil 1000, um zu kompensieren, dass bereits tausende Lehrer fehlen und in den kommenden zehn Jahren 40 Prozent der Lehrer in den Ruhestand wechseln werden. Die Studienabbruchquote betrage 30 Prozent, so der Pädagogenverband.
Hinzu kommt: Zwölf Prozent der brandenburgischen Lehrer sind dauerkrank, fallen also komplett aus. Dazu kommen die Lehrer, die immer wieder einmal krank sind. Und schließlich: Über 24 Prozent arbeiten in Teilzeit, unterrichten also weniger Stunden als ihre Kollegen in Vollzeit. Stäker sagt: »Es gibt Schulen, wenn da der Physiklehrer sechs Wochen krank ist, dann hat die gesamte Schule in dieser Zeit keinen Physikunterricht. Das lässt sich danach nicht mehr aufholen.« Die Annahme, in Brandenburg arbeiteten die Lehrer eine Stunde pro Woche weniger als ihre Kollegen in anderen Bundesländern, verwies Stäker ins Reich der Legenden. Laut BPV wurden in den vergangenen Jahren Anstrengungen unternommen, mit Seiteneinsteigern das volle Unterrichtsprogramm abzusichern.
Das aber stößt an Grenzen. Noch mehr Seiteneinsteiger wären dem Bildungswesen nicht zuträglich, meint die Landtagsabgeordnete Petra Budke (Grüne). Die ohnehin stark eingespannten Lehrkräfte dürften mit der Betreuung solcher Seiteneinsteiger nicht zusätzlich belastet werden.
Mit einer Quote von unter einem Viertel Teilzeitlehrern stehe Brandenburg gemeinsam mit Thüringen und Sachsen-Anhalt relativ gut da, unterstrich BPV-Vorstandsmitglied Alexander Lipp. »In Bayern arbeiten 57 Prozent der Lehrer verkürzt.« Lipp bestätigte, dass vor allem junge Lehrer nur in Teilzeit arbeiteten. »In diesem Alter bekommen sie nun einmal die Kinder.«
Völlig falsch sei die Vermutung, verkürzt arbeitende Pädagogen seien einfach nur bequem, sagte BPV-Vorstandsmitglied Christina Adler. Ihr zufolge stehen die Schulen vor dem Problem, dass Lehrer oft für Fächer eingesetzt werden, die sie gar nicht studiert haben. Besonders schmerzlich sei der Mangel an ausgebildeten Grundschullehrern. Hier seien zu viele Lehrer tätig, die den Kindern der ersten Klassen das notwendige Wissen gar nicht vermitteln könnten. Bei der neusten Untersuchung sei festgestellt worden, dass nur 57 Prozent der Viertklässler über die notwendigen Fähigkeiten im Lesen und nur knapp 55 Prozent im Rechnen verfügten. In den ersten Klassen würden aber die Grundlagen für das gesamte weitere Lernen gelegt, gab Adler zu bedenken.
In dieser Situation empfiehlt der BPV multiprofessionelle Teams, die den Lehrer im Schulalltag von Arbeiten entlasten, die nicht unmittelbar zum Unterricht gehören. Sie könnten sich um einzelne Schüler kümmern oder kleine Gruppen beaufsichtigen, die Schulbibliothek führen und Kindern dort bei der Recherche helfen. Als Vorbild dafür dient eine Maßnahme Mecklenburg-Vorpommerns, 200 Schulassistenten einzustellen.
Das »nd« bleibt gefährdet
Mit deiner Hilfe hat sich das »nd« zukunftsfähig aufgestellt. Dafür sagen wir danke. Und trotzdem haben wir schlechte Nachrichten. In Zeiten wie diesen bleibt eine linke Zeitung wie unsere gefährdet. Auch wenn die wirtschaftliche Entwicklung nach oben zeigt, besteht eine niedrige, sechsstellige Lücke zum Jahresende. Dein Beitrag ermöglicht uns zu recherchieren, zu schreiben und zu publizieren. Zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit deiner Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Sei Teil der solidarischen Finanzierung und unterstütze das »nd« mit einem Beitrag deiner Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.