- Kultur
- Mussolini
Eine Entmystifizierung
Francesco Filippi rechnet mit den Legenden über Mussolini ab
Ihren Erfolg bei den letzten Parlamentswahlen verdanken die rechten Parteien Italiens, darunter faschistische, die sich unverhohlen in der Tradition von Benito Mussolini sehen, den sich hartnäckig haltenden Mythen über den »Duce« in der italienischen Gesellschaft, die teils schon zu dessen Lebzeiten geboren und genährt worden sind. Dies erinnert an Situationen in der Bundesrepublik, als beispielsweise der Bau von Autobahnen als vermeintlicher Verdienst von Hitler im Kampf gegen Massenarbeitslosigkeit gewürdigt wurde. Ähnliche Mythen und Fake News kursieren in einem noch stärkeren Maße über den italienischen Faschistenführer und sollen die faschistische Bewegung auch heute noch legitimieren.
Der italienische Historiker Francesco Filippi, Mitgründer der Vereinigung Deina, tritt diesen Mythen in seinem Buch entschieden entgegen. Bereits zuvor hatte er für Deina, die vorrangig antifaschistische Bildungsarbeit betreibt, eine Broschüre mit Argumentationshilfen gegen faschistische und neofaschistische Lügen erstellt. Er begründet seinen Fokus im Vorwort zu der hier anzuzeigenden Publikation wie folgt: »Fake News zur Gegenwart prägen Meinungen, die sich auf bestimmte Impulse hin ändern können – historische Fake News vergiften die Welt der Erfahrungen, Werte und Gefühle, in der das Bild der Vergangenheit entsteht (…) Lügengeschichten über die Vergangenheit zu erfinden, dient auch – im Falle Mussolinis – dazu, eine einfache und effiziente Erzählung über das Heute entstehen zu lassen.«
Filippi zerlegt fundiert auf Basis der historischen Fakten alte wie auch in den letzten Jahren hinzugekommene Narrative über Mussolini als »weitblickenden und fürsorglichen Duce«, als angeblichen Humanisten, Feministen und integren Verteidiger des Rechtsstaates. Von besonderem Interesse dürften die vom Autor zerpflückten Behauptungen jüngeren Datums sein, dass Mussolini in besetzten Gebieten die jüdische und moslemische Bevölkerung geschützt sowie sich für die Rechte von Tieren sowie deren juristische Gleichsetzung mit den Menschen eingesetzt habe. Die hier thematisierten »Mythen« folgen unterschiedlichen Logiken und sind wissentlich mit Halbwahrheiten bestückt worden.
Für letzteres Vorgehen ist die Einführung des kommunalen Frauenwahlrechts 1925 ein anschauliches Beispiel. Es handelte sich nämlich nicht um ein generelles Frauenwahlrecht, sondern dieses war an Bedingungen wie den Status als Mutter oder Witwe eines Kriegshelden sowie den Bildungsgrad und das Alter (Wahlrecht ab 25) gebunden. Die Politik des »Duce« war alles andere als feministisch, was sich unter anderem gerade in Bezug auf die fehlende Sanktionierung sexueller Gewalt gegen Frauen zeigt, selbst wenn es sich um Minderjährige handelte.
Angesichts der Konsequenz, mit der Filippi am Ruf des mystifizierten Faschisten nicht nur kratzt, sondern diesen nachhaltig widerlegt und historisch einordnet, gleicht seine Publikation tatsächlich einem »Handbuch der Selbstverteidigung«, wie sein Kollege Carlo Greppi im Geleitwort anmerkt, der diese zugleich zu den wichtigsten Arbeiten zählt, »denen es im letzten Vierteljahrhundert gelungen ist, eine ganze Reihe von Mythen zu dekonstruieren, mit denen Italien sich schon seit den letzten zwanzig er Jahren herumschlägt«.
Filippis Buch dürfte auch derzeit das wichtigste, in deutscher Sprache lieferbare Werk seiner Art sein. Übersetzer Winfried Roth hat noch eine Art Nachwort beigesteuert, in dem Mussolinis Aufstieg nachgezeichnet wird. Ergänzt wird die Publikation durch eine Zeittafel. Zur Illustration wurde auf ausdrucksstarke Bilder der Künstlerin E. A. Homburg zurückgegriffen.
Francesco Filippi: Mussolini hat Gutes getan? Abrechnung mit einem Mythos, Edition AV, 159 S., br., 16 €.
Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.
Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.
Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.
Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!
Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:
→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.
Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.