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Klimawandel und Gesundheit: Kranke Erde, kranker Mensch
Gesundheitsressourcen werden auch durch toxische Geschäftsmodelle gefährdet
Klimawandel macht manche Patienten noch kränker, denn steigende Temperaturen können bestehende Krankheiten massiv verstärken. Zudem wandern neue Insektenarten ein, die bestimmte Erreger mitbringen. Der Klimawandel bedroht also nicht nur das Ökosystem der Erde, er gefährdet gleichzeitig die Gesundheit der Menschen. Diese Gesundheitsproblematik wird bevorzugt dann von der Öffentlichkeit wahrgenommen, wenn an heißen Sommertagen Hitzetote gemeldet werden.
Im Rahmen der Veranstaltungsreihe Bayreuther Gesundheitsdialog wurde das Thema in der vergangenen Woche auf die Tagesordnung gesetzt, um die öffentliche Debatte voranzubringen. Initiiert unter anderem von der Universität Bayreuth und dem Pharmahersteller Lilly Deutschland, vor Ort zu erleben auf dem Gesundheitskongress des Westens, der wiederum von Krankenkassen, regionalen Kassenärzten und der Industrie unterstützt wird.
Von mehreren gleichzeitigen Krisen sprach eingangs Christian Schulz, die Themen Klimawandel und Gesundheit könne man da nicht herausnehmen: »Das ist ein zu enges Narrativ.« Der Anästhesist ist seit Anfang 2021 Geschäftsführer der Klug Deutsche Allianz Klimawandel und Gesundheit e.V.. Er plädiert eher für den Begriff der planetaren Gesundheit. Zu den globalen Krisen gehören für Schulz Nahrungsmittelunsicherheit und Wassermangel, »aber die sind in Deutschland noch zu kompensieren. Bei der Energiesicherheit wird es schon eng, die hohen Kosten werden bleiben«. Zudem würden an vielen Stellen die Belastungsgrenzen der Erde überschritten: Durch übermäßige Landnutzung, neue Substanzen in der Umwelt, zunehmenden Süßwassermangel, die Zerstörung der Biosphäre, die Versauerung der Ozeane und Luftverschmutzung. »Wenn die Erde krank ist, kann der Mensch nicht gesund sein«, heißt es in dem Fachbuch »Planetary Health«, das Schulz 2021 mit herausgab.
Der Mediziner benennt auch Verantwortlichkeiten: Der globale Norden kann sich nicht reinwaschen. Die reichsten zehn Prozent der Menschheit werden 2030 voraussichtlich neunmal mehr klimaschädliche Treibhausgase verursachen als der Rest der Menschheit. Die Grenze zwischen den zehn Prozent und den übrigen Menschen verläuft bei einem Jahreseinkommen von 35 000 US-Dollar, sagt Schulz. Bei der Schuldfrage kommt er noch einmal auf den Fall Exxon Mobil zu sprechen. Der Ölkonzern hatte seit den 1970er Jahren eigene Studien zur Klimafolgenforschung betrieben. Die laut heutigen Forschern eindeutigen Ergebnisse wurden vom Management aber verschwiegen.
Toxische Geschäftsmodelle sieht Schulz aber nicht nur durch die fossilen Industrien in Gang gehalten. Produkte, die Menschen schaden, wie ungesunde Lebensmittel, Tabak oder Alkohol, werden ebenso rücksichtslos vermarktet.
Das medizinische Fachmagazin »Lancet« hatte gerade im März die Schäden durch solche kommerziellen Gesundheitsfaktoren thematisiert. Wie negativ die Wirkungen der Produkte sind, lässt sich am Ende bei den Todesursachen ablesen: Von den 56 Millionen Toten weltweit pro Jahr sind 42 Millionen an nichtübertragbaren Krankheiten gestorben. Zu den größten Gruppen zählen hier meist chronische Leiden des Herzens und der Blutgefäße, chronische Atemwegserkrankungen, Krebs und Diabetes.
Um den Kreis zu schließen, nennt Claudia Traidl-Hoffmann von der Universität Augsburg die fünf Hauptrisikofaktoren für nichtansteckende Krankheiten: falsche Ernährung mit vielen tierischen Produkten, Rauchen, riskanter Alkoholkonsum und zu wenig Bewegung. Nummer fünf ist die Luftverschmutzung – zugleich der einzige Faktor, der nicht von einzelnen Menschen allein zu beeinflussen ist. »Wir atmen den Klimawandel ein«, sagt die Umweltmedizinerin Traidl-Hoffmann.
Schadstoffe aus Verbrennungsprozessen befeuern die Luftverschmutzung. Die Menge eingetragener Partikel und Stoffe steigt aktuell, unter anderem auch durch Waldbrände. In der Luft unterwegs sind auch Pollen: Sie fliegen durch die Erwärmung längere Zeiten im Jahr, es sind mehr und neue Pollen, weil sich neue Arten in bisher nicht von ihnen besiedelten Gebieten ausbreiten. Durch Wärmereize werden die Pollen aggressiver und schütten mehr Eiweiße aus. Unter dem Strich leiden mehr Menschen an Allergien.
Parallel macht der Forscherin und ihren Kollegen Sorge, dass schützende Faktoren verloren gehen: Etwa der Kontakt zur Natur und die Artenvielfalt. Und obendrauf kommt die Hitze: Sie verschlimmert die genannten nicht ansteckenden Krankheiten. Während der Hitzewelle von 2003 starben in Deutschland etwa 9500 Menschen, von 2018 bis 2020 kam es erstmals in drei aufeinander folgenden Jahren zu einer signifikanten Übersterblichkeit mit insgesamt fast 20 000 Todesfällen. Auch im Sommer 2022 sind nach Schätzungen des Robert-Koch-Instituts hierzulande 4500 Menschen durch Hitze gestorben. Das Problem: Ein Hitzeregister könnte hier für mehr Genauigkeit sorgen, aber es existiert nicht.
Traidl-Hoffmann bedauert auch, dass die Problematik selbst an reichlich warmen Sommertagen oft nicht erkannt wird. So erlitten im vergangen Juli laut lokaler Berichterstattung 20 Schüler in Bayern einen Kreislaufkollaps bei einem freiwilligen 800-Meter-Lauf. »Rätselhaft« titelte die Lokalpresse und verwies auf Daten vom Deutschen Wetterdienst, die maximal 27 Grad anzeigten. Übersehen hatte man wohl, dass die Messungen immer im Schatten erfolgen. Der Sportplatz hingegen dürfte in der Sonne gelegen haben. Das Thema Hitze zeigt laut der Augsburger Umweltmedizinerin auch die Grenzen menschlicher Anpassungsfähigkeit: Bei einer Körperkerntemperatur von über 42 Grad verändern sich die Proteine so stark, dass unsere Zellen ihre Funktion verlieren.
Die Probleme ließen sich aber überwinden, hoffen Forscher und Ärzte. Sie setzen dafür auf die Bildung der ganzen Gesellschaft. Der Gummersbacher Hausarzt Ralph Krolewski ist einer von 46 Millionen Gesundheitsberuflern weltweit. Er sieht sich durchaus in der Verantwortung und plädiert für seine Klimasprechstunde. Begonnen hat er damit 2015. Der Mediziner geht dabei von der Situation des Patienten aus. Unter anderem werde im Gespräch nach Möglichkeiten für mehr Bewegung im Alltag gesucht. Krolewski, der begeistert und täglich Rad fährt, erfragt auch den Ernährungsstil. Allein durch Änderungen des Lebensstils lassen sich die Risiken um bis zu 30 Prozent senken. »Die nicht-medizinischen Verfahren werden von den Patienten gut akzeptiert, da sie so eine höhere Selbstwirksamkeit erreichen.« Sein Ansatz könne bei 60 Prozent aller ärztlichen Beratungsanlässe verwendet werden. Die Empfehlungen sind zugleich so gelagert, dass sie der ärztlichen Berufsordnung auch ethisch entsprechen: Sie nutzen auch dem Erhalt der natürlichen Lebensgrundlagen.
Mehr Infos auf www.dasnd.de/genossenschaft
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