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Gedenken am 8. und 9. Mai: Den Sieg feiern mitten im Krieg?
Wie Russland und die Ukraine mit dem 9. Mai umgehen
Selbst die vermeintlichen Drohnenangriffe auf den Kreml sind für Russlands Regierung kein Grund, den 9. Mai nicht feierlich zu begehen. Die Parade werde wie geplant stattfinden, sagte Kremlsprecher Dmitrij Peskow kurz nach den Anschlägen am 3. Mai. Auch Wladimir Putin halte an seinem Auftritt zum 78. Jahrestag des Sieges über Hitlerdeutschland fest, betonte Peskow.
Man muss kein Wahrsager sein, um vorauszusehen, dass Putin am Dienstagmorgen auf dem Roten Platz einen scharfen rhetorischen Bogen von der Wehrmacht zur Nato und ihrer Rolle in der Ukraine, die Russland bedrohten und bedrohen, spannen wird. Sonst aber soll es den Anschein haben, alles verlaufe normal. Schließlich ist der Tag des Sieges der Lieblingsfeiertag des russischen Präsidenten. Und auch seines Volkes, wenn man dem staatlichen Meinungsforschungsinstitut WZIOM glaubt. Das präsentierte Anfang Mai eine Umfrage, derzufolge 65 Prozent der Russen den Tag des Sieges als wichtigsten Feiertag bezeichnen.
Seit Wochen bereitet die Propaganda die Menschen im Land auf den Feiertag vor, der deutlich kleiner ausfallen wird als vor dem Angriff auf die Ukraine. Mindestens 21 Städte haben die traditionelle Parade bereits abgesagt, Moskau und St. Petersburg verzichten auf das Überfliegen von Kampfflugzeugen. Mehrere Regionen verzichten auf das Feuerwerk, um das gesparte Geld an die Front zu schicken, so die offizielle Begründung. In Wahrheit fehlt vielen Gemeinden mittlerweile das Geld für große Feste.
Trotz aller Rhetorik kann Russland nicht mehr verbergen, dass dieser 9.Mai kein gewöhnlicher Tag des Sieges wird. Moskau wird eine abgeriegelte Stadt sein, in der Putin mit seinem einzigen ausländischen Gast, dem kirgisischen Präsidenten Sadyr Dschaparow »feiern« wird. Das Volk bleibt dieses Mal ausgeschlossen. Im ganzen Land wurde das Unsterbliche Regiment abgesagt, ein Gedenkmarsch, bei dem die Teilnehmer Bilder ihrer Angehörigen, die im Zweiten Weltkrieg gekämpft haben, zeigen. Offiziell geschieht das aus Sicherheitsgründen. Wahrscheinlicher ist, dass der Kreml große Menschenmengen verhindern will. Wie schon während der Corona-Pandemie rufen die Organisatoren zu einem digitalen Flashmob auf. Hinter der Absage des Unsterblichen Regiments könnte jedoch mehr stecken, vermutet der Historiker Maxim Kusachmetow. Er glaubt, die Regierung befürchte, dass bei der Aktion die Bilder von Gefallenen aus dem Krieg in der Ukraine gezeigt und dadurch die hohe Opferzahl der russischen Armee offensichtlich werden könnte.
Weiter südlich in der Ukraine wird an diesem 9. Mai nicht gefeiert. Durch das Kriegsrecht im Land wurde der Tag (wie auch der 1. Mai) zum Arbeitstag erklärt. Kiew ist seit dem Euromaidan bestrebt, seine Geschichte und damit auch die Erinnerungskultur zu »dekommunisieren« und zu nationalisieren. Den 9. Mai abzuschaffen, hat man sich bisher noch nicht getraut. Seit 2015 ist aus dem Tag des Sieges aber der Tag der Erinnerung und des Sieges über den Nazismus im Zweiten Weltkrieg geworden. Als Zeichen der europäischen Anpassung akzentuiert Kiew seitdem den 8. Mai als Tag des Erinnerns und der Versöhnung.
Bis 2022 fuhr Kiew mit dieser Doppelgedenkstrategie gut. Im Dezember fand die Stiftung Demokratische Initiativen heraus, dass jeder Dritte (35 Prozent) in der Ukraine beide Tage als wichtig empfindet. Allerdings, auch das wird deutlich, hat der 9. Mai seit der russischen Invasion an Ansehen verloren. Denn 2021 waren noch 41 Prozent der Ukraine für beide Feiertage.
Das Kiewer Internationale Institut für Soziologe sprach kurz vor dem 9. Mai von einer »dramatischen Veränderung« der Bedeutung des Tags des Sieges in der Ukraine. Lediglich 13 Prozent empfinden den Tag noch als Feiertag, vor zwei Jahren waren es noch 30 Prozent. Schuld daran, so die Soziologen, ist neben dem seit mehr als einem Jahr andauernden Krieg auch die zunehmende Militarisierung des 9. Mai in Russland, die für die Aggression gegen die Ukraine verantwortlich gemacht wird.
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