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»Linke-Opposition« in Hannover: Treffen der Enttäuschten

In Hannover diskutierten Menschen, die sich als Opposition in der Linken sehen, ihre künftige Strategie

Viele in der Linken empört es, dass die Friedenskundgebung am 25. Februar in Berlin, mitveranstaltet von Sahra Wagenknecht, nicht nur von Medien, sondern auch von Genoss*innen, als Querfront-Veranstaltung diffamiert wurde.
Viele in der Linken empört es, dass die Friedenskundgebung am 25. Februar in Berlin, mitveranstaltet von Sahra Wagenknecht, nicht nur von Medien, sondern auch von Genoss*innen, als Querfront-Veranstaltung diffamiert wurde.

Aus allen Bundesländern waren sie am Samstag nach Hannover gekommen. Rund 250 Mitglieder der Partei Die Linke und Aktive von lokal weiter existierenden Gruppen der von Sahra Wagenknecht 2018 mitgegründeten Sammlungsbewegung Aufstehen berieten auf einem Vernetzungstreffen der »linken Parteiopposition innerhalb der Partei Die Linke« unter dem Motto »Was tun? Die Linke in Zeiten des Krieges«. Dazu hatten mehrere parteiinterne Gruppen eingeladen, unter ihnen die Sozialistische Linke, die sich als »gewerkschaftsorientierte Strömung« bezeichnet, und die Karl-Liebknecht-Kreise in Brandenburg und Sachsen.

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Was die Teilnehmenden einte: eine tiefe Unzufriedenheit mit der vermeintlichen Haltung des Linke-Bundesvorstands zum Krieg in der Ukraine – und vor allem mit dessen Distanzierung von der von Wagenknecht und der Publizistin Alice Schwarzer initiierten Kundgebung »Aufstand für den Frieden« am 25. Februar in Berlin.

Darüber hinaus vertraten viele wie Wagenknecht die Position, die Partei kümmere sich zu wenig um die »einfachen Leute«, spreche nicht ihre Sprache, trete ihnen gegenüber belehrend und von oben herab auf. Sie konzentriere sich nicht auf ihre Kernkompetenz als deren Interessenvertreterin und befinde sich stattdessen auf akademischen und identitätspolitischen Abwegen. Dies war selbstredend auch der Tenor einer per Video übertragenen Grußbotschaft Wagenknechts. »Gute Arbeit, gute Löhne gute Renten«, Konzepte dafür müssten im Mittelpunkt stehen, sagte sie. Und konzedierte sogar, dass Die Linke das immer noch deutlich fordert. Aber: »Es geht unter in der Masse der Forderungen – von Menstruationsurlaub über Sabbaticals und offene Grenzen für alle unter.« Menschen hätten »ein feines Gespür dafür, wenn es einer Partei nicht mehr um echte Sozialreformen geht, sondern um Klientelpolitik für kleine Grüppchen«.

Plädoyers für Neugründung

Ein großer Teil der Angereisten plädierte dafür, eine Parteineugründung, über die Wagenknecht seit Wochen öffentlich nachdenkt, eher heute als morgen offiziell einzuleiten. Erst gegen Ende der sechsstündigen Konferenz plädierten mehrere Teilnehmer klar für ein koordiniertes Weiterkämpfen für die eigenen Positionen innerhalb der Linken.

In der Frage der Haltung zu Waffenlieferungen an die von Russland angegriffene Ukraine herrscht in weiten Teilen der Linke-Basis Frust darüber, dass die Position, mehr Diplomatie, ein Ende von Russland-Sanktionen zu fordern, die die eigene, aber auch die Bevölkerung von Ländern im Globalen Süden treffen, auch aus der eigenen Partei heraus diffamiert wird. Insofern repräsentieren die Kongressteilnehmer durchaus größere Teile der Linken.

Für Unmut sorgt zudem die Tatsache, dass prominente Linke-Politiker*innen wie Thüringens Ministerpräsident Bodo Ramelow, Berlins Ex-Senator*innen Katja Kipping und Klaus Lederer, die Berliner Linke-Vorsitzende Katina Schubert und andere sich öffentlich explizit und weniger explizit für Waffenlieferungen an die Ukraine »in jedem erforderlichen Umfang« (Ramelow) ausgesprochen haben – dass dies aber nicht zu öffentlichen Rügen durch den Parteivorstand führte. Dies, obwohl diese Position eindeutig mit den Beschlüssen des Erfurter Parteitages gegen Waffenlieferungen kollidiert. Dagegen sei Wagenknecht für ihre Bundestagsrede scharf kritisiert worden, in der sie der Bundesregierung vorgeworfen hatte, mit ihren Sanktionen einen »Wirtschaftkrieg gegen Russland vom Zaun gebrochen« zu haben.

Ihrerseits fanden viele im voll besetzten Saal des Bürgerhauses im schon fast ländlichen Stadtteil Misburg im Nordosten von Hannover auch den Parteitagsbeschluss falsch, dass man für Sanktionen gegen russische Oligarchen bzw. für solche eintrete, die »die Bevölkerung« nicht treffen.

Abrechnung mit der Parteispitze

Eine Abrechnung mit der Parteispitze und einflussreichen Genoss*innen lieferte Sevim Dağdelen. Die Bundestagsabgeordnete hatte die Friedensdemo im Februar angemeldet und sich persönlich mit darum gekümmert, Rechtsradikale wie Jürgen Elsässer fernzuhalten. Dağdelen befand, es beschleunige sich die Tendenz, »dass die Partei Die Linke von einer Friedens- in eine Kriegspartei verwandelt werden soll«. Man versuche sogar, sich »an die Spitze der Kriegstreiber zu setzen« und verkläre das Kriegs- und Angriffsbündnis Nato »als Friedensmacht«, so die Politikerin. Die Entwicklung sei von bestimmten Kreisen lange vor dem Ukraine-Krieg in der Bundestagsfraktion durch Zustimmungen zu »Auslands- und Kampfeinsätzen der Bundeswehr« vorangetrieben worden.

Aktuell, so Dağdelen, vollzögen ganze Landesverbände mit ihren Forderungen nach Waffenlieferungen – wohl eine Anspielung auf die Bremer Linke – einen Bruch mit dem Linke-Programm, das Rüstungsexporte in Kriegsgebiete verbietet – und das »ungehindert von der sogenannten Führung der Partei«. Dağdelen weiter: »Um mit Karl Liebknecht zu sprechen: Diese Linke sucht das Bündnis mit dem Hauptfeind, der im eigenen Land steht.«

Die Linke befindet sich nach Ansicht Dağdelens im rasanten Niedergang beim Verrat an ihren Prinzipien. Der Ukraine-Krieg wirke »nur wie der Brandbeschleuniger beim Verlassen von Friedenspositionen«. Was dessen Auslöser war, wer in der Ukraine einmarschiert ist und seit über einem Jahr Bomben abwirft und Hunderttausende Menschen für fragwürdige Kriegsziele verheizt, blieb in Dağdelens Vortrag wie in den meisten anderen unerwähnt.

Für die Bundestagsabgeordnete steht indes fest: »Eine Rückkehr zum friedenspolitischen Grundkonsens ist mit dieser Linke-Führung nicht zu machen. Sie setzt auf einen Wirtschaftskrieg an der Seite des US-Imperialismus, der vor allem die eigene Bevölkerung trifft. Wer den sozialen Krieg gegen die eigene Bevölkerung fordert, entfernt sich von der von ihm eigentlich zu vertretenden Klasse.« Und weiter: »Unsere historische Verantwortung ist es, einer Partei, die zur Kriegspartei mutiert, nicht auch noch Legitimität zu geben.«

Der Einschätzung von »nd« auf Twitter, mit diesen Äußerungen habe sich die Politikerin deutlich für eine Abspaltung von der Partei positioniert, widersprach sie indes wenig später noch auf der Tagung vehement und bezeichnete diese als »Fake News«.

Plädoyer für neue Entspannungspolitik

Viele andere Teilnehmer äußerten sich im Ton deutlich moderater, übten aber ebenfalls deutliche Kritik an der Parteiführung. So Andrej Hunko, der, wie er im Gespräch mit »nd« sagte, eigentlich nur als Beobachter gekommen war. Weil Willy van Ooyen, Linke-Aktiver und Urgestein der Friedensbewegung krankheitsbedingt nicht zur Konferenz kommen konnte, sprang der Bundestagsabgeordnete für ihn als Redner ein.

Er sprach vor allem darüber, dass »infolge des völkerrechtswidrigen Angriffskrieges von seiten der Bundesregierung eine Position eingenommen wurde, die aufräumen will mit allen Traditionen der Entspannungspolitik«. Dabei könne es gemeinsame Sicherheit nur geben, »wenn die Sicherheit meines Gegenübers berücksichtigt wird«. Deshalb brauche es eine starke und breit aufgestellte Friedensbewegung. Die Friedenskundgebung im Februar in Berlin bezeichnete Hunko als »mit ganz ganz großem Abstand die wirkmächtigste Gegenstimme gegen den Kurs der Aufrüstung und Militarisierung« seit Beginn des Ukraine-Krieges. Kritik an dem Aufruf dazu und an Äußerungen der Initiatorinnen zum Umgang mit Rechten legitim, so Hunko. Aber: »Ich finde es unerträglich, das die Parteispitze sich den Diffamierungsversuchen angeschlossen hat, dass der Kakao, durch den wir gezogen wurden, auch noch von den eigenen Genossen getrunken wird.«

Der Nachmittag war der Diskussion darüber vorbehalten, wie eine Linkspartei, in der man sich weiter engagieren will – oder eine neue sein solle. Dazu trug Ralf Krämer, einer der Sprecher der Sozialistischen Linken und ehemaliges Mitglied des Bundesvorstands, 15 Thesen des Vorbereitungskreises der Konferenz vor, von denen die ersten acht eine Analyse der gegenwärtigen politischen Lage sind. Erst danach folgen die Positionen zum notwendigen Charakter einer wirkmächtigen linken Partei. Eine solche müsse »in grundsätzlicher Opposition gegen den Neoliberalismus, gegen die Herrschaft des großen Kapitals, gegen die Macht und Privilegien der bürgerlichen Eliten und gegen den Imperialismus« stehen. Nötig sei »grundsätzliche Kritik am Kapitalismus, an der kapitalistischen Ausbeutung der Arbeitenden und Rücksichtslosigkeit gegenüber der Natur, der Gesellschaft und den Menschen in anderen Ländern«. Ziel müsse ein »neuer, demokratischer und ökologischer Sozialismus« sein, der auch kleinen und mittleren privaten Unternehmen, »die wichtige Beiträge für das allgemeine Wohl leisten können«, eine Perspektive biete.

Für Krämer ist klar, dass Die Linke die Anforderungen nicht erfüllt. Deshalb seien Kompromisse nötig. Auf der Tagung äußerten mehrere Teilnehmer, Die Linke solle sich ein Beispiel an der aktuell erfolgreichen Kommunistischen Partei Österreichs nehmen, die sie als »linksreformistische« Organisation bezeichneten.

Voten für Verbleib in der Linken

Es blieb zwei jungen Teilnehmern – Personen unter 35 Jahren machten in etwa ein Viertel der Anwesenden aus – vorbehalten, Kritik am Agieren der Parteilinken zu üben. Einer von ihnen vermisste Selbstkritik. Und fragte: »Haben wir darüber geredet, warum Aufstehen gescheitert ist? Was bieten wir denn jungen Leuten? Die sind doch nicht linksliberal geboren, die meisten linken Studenten kommen aus Arbeiterhaushalten, die sind nicht per se der politische Gegner.« Auch Aktualisierungen des Parteiprogramms seien nicht per se reaktionär.

Und ein junger Genosse aus Hessen mahnte, es sei keine Lösung, sich bei allem Ärger über Leute, die Die Linke in den Mainstream integrieren wollten, zurückzuziehen. »Ein Austritt aus der Partei oder die Gründung einer Partei, der die Basis fehlt, sind nicht unbedingt Alternative«, betonte er. Und erinnerte an den Philosophen und linken Aktivisten Wolfgang Abendroth, der einmal gesagt habe: »Ein ordentlicher Sozialist tritt nicht einfach aus, sondern der lässt sich gefälligst rausschmeißen.« Deshalb sollten Linke-Rebellen sich an den jetzt vom Parteivorstand gestarteten Regionalkonferenzen aktiv beteiligen.

Gegen Austritte und Parteineugründung positionierten sich auch Niels Lüders vom brandenburgischen Karl-Liebknecht-Kreist, der zugleich Vorsitzender des ostbrandenburgischen Kreisverbands Märkisch Oderland ist, und Carsten Schulz aus Berlin, der zum Bundeskoordinierungskreis der Kommunistischen Plattform gehört.

In der am Ende der Konferenz verabschiedeten Abschlusserklärung unterstützen die Teilnehmenden einen aus Sachsen kommenden Antrag auf einen Mitgliederentscheid zur Friedenspolitik der Linkspartei. Die Situation zwinge Linksoppositionelle aber, »darüber zu sprechen, welche Chancen es noch gibt, Die Linke wieder auf einen antikapitalistischen und friedenspolitischen Kurs zu drehen und daraus die notwendigen Schlussfolgerungen zu ziehen«. Man werde sich weiter vernetzen.

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