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Der neutrale Teil der »russischen Welt«
Transnistrien ist ein treuer Alliierter Moskaus – und hält sich aus dem Ukraine-Krieg heraus
Als Ende Februar 2022 die russische Armee völkerrechtswidrig in die Ukraine einmarschierte, vermuteten viele Experten, dass Transnistrien eine Rolle im Ukraine-Krieg spielen würde. Eine Woche später ließ sich der belarussische Präsident Alexander Lukaschenko vor Kriegsplänen ablichten, die einen geplanten Vorstoß der russischen Streitkräfte in die De-facto-Republik zeigten. Ende April 2022 erklärte der russische Generalmajor Rustam Minnekajew schließlich, Ziel seiner Armee sei es, den »Weg nach Transnistrien« freizukämpfen. Trotz dieser Ankündigungen und Erwartungen spielt die von der moldauischen Zentralregierung abgespaltene Region keine militärische Rolle im Ukraine-Krieg. Ganz im Gegenteil ging die Separatistenregierung auf Distanz zu Moskau und verhält sich explizit neutral.
Wirtschaftlich eigenständig
Die De-facto-Republik Transnistrien im Osten der Republik Moldau entstand im Zuge der Auflösung der Sowjetunion. Während in der moldauischen Hauptstadt Chișinău eine neue politische Elite die Regierung übernahm, die einen radikalen Bruch mit Moskau und teilweise sogar den Anschluss an Rumänien suchte, sammelten sich in Tiraspol die Kader, die ihr Land weiter gen Osten ausrichten wollten. Ein kurzer Krieg im Sommer 1992 besiegelte die Abspaltung. Seitdem gibt es eine trilaterale Friedensmission aus moldauischen, transnistrischen und russischen Soldaten und Verhandlungen über eine politische Lösung des Konflikts. Das Moskauer Memorandum des Jahres 1997 garantiert, dass die von keinem UN-Mitgliedsstaat anerkannte Republik eigenständig Wirtschaftsbeziehungen mit dem Ausland haben darf. Seitdem haben westeuropäische Konzerne die Vorzüge der verlängerten Werkbank Transnistriens erkannt und lassen dort bei relativ niedrigen Löhnen produzieren.
Trotz des steigenden Warenaustauschs mit Westeuropa bleibt Transnistrien politisch, kulturell und religiös eng mit Russland verbandelt. Im Jahr 2006 stimmten über 98 Prozent für die Unabhängigkeit und eine Integration in die Russische Föderation. Seit 2012 sitzt mit Aljona Arschinowa eine in der De-facto-Republik aufgewachsene Politikerin im russischen Parlament. Der Oberste Sowjet, das transnistrische Parlament, übernahm 2017 eine Variante der russischen Trikolore als kooffizielle Flagge. Drei Jahrzehnte nach Auflösung der Sowjetunion gehört das Gebiet fest zur sogenannten russischen Welt.
Geflüchtete aus Ukraine aufgenommen
Nachdem Russland den Krieg begonnen hatte, schloss Kiew die Grenze zu Transnistrien und ließ alle Brücken sprengen. Die Regierung in Tiraspol überraschte in ihren ersten Erklärungen am 24. Februar 2022: So erklärte Präsident Wadim Krasnoselskij, dass die Situation in seinem Land stabil sei und sich die Behörden auf die Ankunft von Geflüchteten vorbereiteten. Das 2016 gewählte Staatsoberhaupt sprach weder von einer »Spezialoperation« wie in der russischen Propaganda noch von einem Krieg, sondern lediglich von der »Situation in der Ukraine«. Über die von der moldauischen Zentralregierung kontrollierten Gebiete erreichten mehrere zehntausend Geflüchtete Transnistrien. Krasnoselskij präsentierte sich bei offiziellen Auftritten als Kümmerer und begrüßte die Ukrainer, die den Weg in die De-facto-Republik gefunden hatten.
Zwischen April und Juni 2022 gab es mysteriöse Angriffe auf den stillgelegten Flughafen von Tiraspol sowie eine Reihe von Geheimdienst- und Militärgebäuden. Bei den Angriffen mit Drohnen, Granatwerfern und Sprengsätzen gab es weder Verletzte noch Tote. Bis heute ist unklar, wer dahintersteckt. Im März verkündete der Geheimdienst, einen Anschlag auf die lokale OSZE-Missionsleiterin verhindert zu haben. Präsident Krasnoselskij bat den US-Botschafter daraufhin, Experten des FBI zu entsenden, um bei der Aufklärung zu helfen.
Politisch de facto unabhängig
Im März 2022 stufte die Parlamentarische Versammlung des Europarats Transnistrien als »russisch besetztes Gebiet« ein und sprach damit der dortigen Regierung die Eigenständigkeit ab. Die Realität aber zeigt, dass Tiraspol seine eigene Politik macht. Neben dem US-Botschafter in der Republik Moldau trafen sich seit Kriegsbeginn auch die offiziellen Vertreter Deutschlands, Großbritanniens, Polens und Tschechiens mit Präsident Krasnoselskij.
Die Nichteinmischung in den Ukraine-Krieg muss nicht von Dauer bleiben. Sowohl in Transnistrien als auch in Russland und der Ukraine scheint es Akteure zu geben, die den Konflikt auf die De-facto-Republik ausdehnen wollen. Der vor Kurzem entlassene ukrainische Präsidentenberater Oleksij Arestowytsch erklärte im März, dass die ukrainische Armee die Region binnen drei Tagen einnehmen könne. Und einer der höchsten Feiertage verdeutlicht die angespannte Lage. Zum zweiten Mal in Folge sagte die Tiraspoler Regierung jüngst die traditionelle Parade zum 9. Mai ab.
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