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Deutlicher Anstieg rechter Gewalt
Bundesweite Tendenz ist in ostdeutschen Ländern besonders stark zu spüren
Im Jahr 2022 sind rechte Gewalttaten um 15 Prozent im Vergleich zum Vorjahr angestiegen. Waren es 2021 noch 1151 Fälle, stieg die Zahl 2022 auf 1340 Straftaten an. Insbesondere Körperverletzungsdelikte nahmen deutlich zu. Gleichzeitig kam es zu einer Verdreifachung von Nötigungen und Bedrohungen aus rassistischen und antisemitischen Motiven. Daraus ergibt sich zusammengenommen eine Zahl von 2093 rechten, rassistischen und antisemitisch motivierten Angriffen, von denen 2871 Menschen betroffen waren. Diese Zahlen wurden am Dienstag vom Bundesverband der unabhängigen Beratungsstellen für Betroffene rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt in Deutschland (VBRG) veröffentlicht und in der Berliner Bundespressekonferenz vorgestellt. Die Zunahme war besonders deutlich in den ostdeutschen Bundesländern und Berlin, in Baden-Württemberg, Hamburg, Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein zu sehen.
Rassismus als hauptsächliches Tatmotiv
»Rassistische Mobilisierungen gegen Geflüchtete in Ostdeutschland, Brandanschläge auf Unterkünfte sowie eine vielerorts unerträgliche Normalisierung von Antisemitismus und Rassismus belasten den Alltag sehr vieler Menschen«, erklärte Robert Kusche vom Vorstand des VBRG in Berlin. Konkret heißt dies, dass im Jahr 2022 in mehr als der Hälfte der Bundesländer täglich mindestens fünf Menschen Opfer rechter Angriffe wurden. Rassismus war 2022 – wie schon in den Vorjahren – das häufigste Tatmotiv. Mehr als die Hälfte aller Angriffe waren rassistisch motiviert und richteten sich überwiegend gegen Menschen mit Migrations- oder Fluchterfahrungen sowie Schwarze Menschen. Immer wieder verschwiegen die Ermittlungsbehörden jedoch Rassismus als Tatmotiv, etwa bei einer schweren Brandstiftung im Keller eines Mehrfamilienhauses in der Nacht vom 9. zum 10. Oktober 2022 in Berlin-Lichtenberg. Rassismus als Tatmotiv wurde erst Wochen später durch Nennung des Brandanschlags in einer Antwort der Bundesregierung auf eine kleine Anfrage zu Angriffen gegen Geflüchtete und durch Kontaktaufnahme der Bewohner*innen des Hauses mit der Berliner Opferberatungsstelle ReachOut bekannt.
Weitere Ursachen für die Gewalt
Besorgniserregend ist zudem, dass die Anzahl antisemitischer Angriffe im Vergleich zum Vorjahr auf das Vierfache gestiegen ist: von 54 Taten 2021 auf insgesamt 204 im Jahr 2022. Auf Bedrohungen folgten häufig innerhalb kurzer Zeit schwere Gewalttaten, etwa in Brachwitz (Saalekreis/Sachsen-Anhalt). Dort wurde im Sommer 2022 ein 52-Jähriger über Wochen von seinem Nachbarn massiv antisemitisch bedroht. Kurz darauf folgten zwei antisemitisch motivierte Brandanschläge auf das Auto und ein Nebengebäude des Wohnhauses des Angegriffenen durch den mittlerweile in erster Instanz verurteilten Nachbarn.
Auch die Anzahl von trans- und queerfeindlichen Angriffen hat sich im Vergleich zum Vorjahr deutlich erhöht: Sie hat sich auf 174 Fälle verdoppelt und forderte sogar ein Todesopfer. Malte C. starb am 2. September 2022, als er bei einem queerfeindlich motivierten Angriff beim Chistopher Street Day in Münster intervenierte und dabei tödliche Verletzungen erlitt.
Ebenfalls angestiegen – auf 387 Fälle – ist die Anzahl von Angriffen gegen »politische Gegner*innen«. Unter den Betroffenen sind auch 84 Journalist*innen, die vor allem von Coronaleugner*innen als »Lügenpresse« diffamiert, bedroht und attackiert wurden. Robert Kusche vom VBRG ergänzte dazu eine Besonderheit des letzten Jahres: »Der Anstieg rechter, rassistischer und antisemitischer Gewalt im Jahr 2022 ist vor dem Hintergrund der pandemiebedingten Ausgangsbeschränkungen im Frühjahr 2022 besonders gravierend«, erklärte er.
Kompetenzlücken bei der Strafverfolgung
Doch nicht nur die reine Zunahme der rechten Gewalt, sondern auch der Umgang der staatlichen Stellen mit ihr ist besorgniserregend. Viele Betroffene müssen mit einer Täter-Opfer-Umkehr kämpfen, erklärte die Leiterin der Ombudsstelle zum Berliner Antidiskriminierungsgesetz, Doris Liebscher. Dies zeige sich beispielsweise im Fall des rassistischen Angriffs auf die Schülerin Dilan S. im Februar 2022. Die junge Frau hatte in einer Berliner Straßenbahn Zivilcourage gezeigt und eine Gruppe Erwachsener aus dem rechten Hooliganspektrum aufgefordert, eine Maske zu tragen. Daraufhin wurde die damals 17-Jährige rassistisch und misogyn beleidigt, angegriffen und verletzt. Die rassistische Täter-Opfer-Umkehr der Angreifer wurde in der ersten Polizei-Pressemitteilungen übernommen, die Schülerin als Maskenverweigerin dargestellt, die den Angriff selbst zu verantworten hätte. Erst ihre auf Instagram veröffentlichte Richtigstellung aus dem Krankenhaus führte dazu, dass gegen die Täterinnen ermittelt wurde. Auf eine Entschuldigung der Polizei wartet die junge Frau bis heute vergebens.
»Hinzu kommt, dass insbesondere rassistische Motive von Ermittlungsbehörden und auch von Gerichten nicht als solche erkannt oder nicht berücksichtigt werden«, fügte Liebscher hinzu. Daher dürfte die tatsächliche Zahl der Angriffe in der Realität noch deutlich höher liegen, da Rassismus, Antisemitismus und Rechtsextremismus als Tatmotive durch Polizei und Justiz nicht lückenlos erfasst werden. Zwar haben in Berlin und in anderen Bundesländern inzwischen bei Polizei und Staatsanwaltschaften Beauftragte für Antisemitismus und in Berlin auch für Hasskriminalität zu Sensibilisierung in den Behörden beigetragen und Fortschritte bei der Erkennung entsprechender Straftaten erreicht. Doch beim Thema Rassismus gebe es »eine große Lücke«, betonte Liebscher. »Es fehlen flächendeckend Rassismus-Beauftragte bei Polizei und Justiz.«
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