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Weltkonferenz »Velo-City 2023«: Das Rad darf nicht nur grün sein
Weltkonferenz »Velo-City 2023« in Leipzig betont Bedeutung von Fahrradverkehr für die Verkehrswende
Das rote Tuch in Leipzig ist grün und 200 Meter lang. Es handelt sich um einen Radweg vor dem Hauptbahnhof, der kürzlich eingerichtet wurde, um Rad- und Fußverkehr sicherer zu machen, dem aber eine Fahrspur für Autos zum Opfer fiel. Die Wogen schlugen hoch, es gab eine Petition und hitzige Debatten im Stadtrat. Von »Kulturkampf« war die Rede. Erst ein Machtwort von Oberbürgermeister Burkhard Jung (SPD) beendete den Streit. Er finde es »nicht normal, dass wir eine vierspurige Autobahn vor dem Hauptbahnhof haben«, sagte er. Außerdem wolle die Stadt bis 2035 klimaneutral werden.
Konsequenter Klimaschutz und die dafür notwendige Verkehrswende lassen das Fahrrad immer wichtiger werden. Das ist auch eine Kernbotschaft der weltgrößten Radverkehrskonferenz »Velo-City 2023«, die diese Woche in Leipzig stattfindet. 1500 Teilnehmer beraten vier Tage lang darüber, wie mehr Menschen zum Radfahren ermuntert, Infrastruktur und Sicherheit verbessert, Unterschiede zwischen Männern und Frauen bei der Nutzung des Verkehrsmittels abgebaut werden können. Radfahren sei gesund und mache Spaß, sagte Thomas Dienberg, Leipzigs Beigeordneter für Stadtentwicklung, zur Begrüßung; es sei aber auch ein Schlüssel dafür, die Nöte in autogerecht erbauten, von Lärm und Stau geplagten Städten zu lindern: »Es ist der vielleicht wichtigste Baustein, um unsere Mobilitätsprobleme zu lösen.«
In der Theorie ist das allen klar. In Deutschland strebt der 2021 beschlossene 3. Nationale Radverkehrsplan einen »besseren und sichereren Radverkehr« an; bis 2030 soll sich die Länge der geradelten Kilometer von 120 auf 180 pro Jahr und Person erhöhen. Das Europaparlament beschloss kürzlich eine Resolution, die von der Kommission eine Radverkehrsstrategie fordert und anstrebt, bis 2030 die mit dem Rad zurückgelegten Wegkilometer in Europa zu verdoppeln. Daniel Meis, Mitarbeiter von EU-Klimaschutzkommissar Frans Timmermans, sagte in Leipzig, er erwarte eine »tektonische Verschiebung«. Radfahren, bisher als lokale Angelegenheit betrachtet, solle auch auf europäischer Ebene viel stärker gewürdigt werden, auch mit Blick auf Fördergeld. Belgien, das dann die EU-Ratspräsidentschaft innehat, will 2024 zum Europäischen Jahr des Fahrrads erklären. Den Vorstoß trügen bisher 15 Mitgliedsländer mit, sagte Verkehrsminister Georges Gilkinet; Deutschland sei bisher nicht darunter: »Wir hoffen, sie noch zu überzeugen.«
In der Praxis weht dem Fahrrad der Wind freilich immer noch entgegen. Davon zeugt nicht nur der Streit um 200 Meter Radweg am Leipziger Ring. Eine jahrzehntelang auf die Bedürfnisse von Autofahrern fokussierte Planung hat bei diesen hohe Ansprüche ausgeprägt und lässt sich nur mühsam ändern. Von einem »Tanker, der nur sehr langsam seinen Kurs ändert und Fahrt aufnimmt«, sprach Florian Paul vom Mobilitätsdezernat der Stadtverwaltung München. Dort sind 45 Menschen damit beschäftigt, den Radverkehr zu fördern, wie das vor vier Jahren 160 000 Bürger per Bürgerbegehren forderten. Trotzdem sei »viel Zeit und Geduld« nötig, um allgegenwärtige Widerstände abzubauen. In Berlin, sagte Lea Wisken von der Koordinierungsstelle Rad- und Fußverkehr, bestehe das politische Ziel, 2350 Kilometer Radwege auszubauen – und zwar bis 2030. Im vorigen Jahr seien aber nur 25 Kilometer dazugekommen: »In dem Tempo brauchen wir noch 35 Jahre.«
Die Ursachen sind vielfältig: ein kompliziertes Planungs- und Baurecht etwa oder die Vielzahl administrativ und politisch Beteiligter. Beide Probleme sei man in Berlin angegangen und hoffe nun auf mehr Tempo, sagte Wisken. Der Planer Floris Beemster, in Berlin lebender Niederländer, beobachtet in der Bundesrepublik eine starke Polarisierung und die Verknüpfung von Radfahren und Parteipolitik. Beides hält er für hinderlich. Die Förderung des Radfahrens solle weniger als »gegen Autos gerichtet angesehen werden, sondern als Beitrag zu nachhaltigen und gesunden Städten«. Es dürfe zudem, wie schon heute in den Niederlanden, »nicht nur als eine grüne Angelegenheit gesehen werden«.
Das wird dauern. In Leipzig, das im jährlichen Fahrradklima-Test des Allgemeinen Deutschen Fahrradclubs (ADFC) auf Rang 4 rangiert, entstanden binnen vier Jahren 26 Kilometer Radwege und 23 Kilometer separate Radspuren. Die Konferenz war Anlass, eine durchgehende Radtrasse vom Stadtzentrum zur Messe baulich zu ertüchtigen. Jenseits der Metropolen aber sieht es mau aus. Zwar sprach Sachsens SPD-Verkehrsminister Martin Dulig in einem Grußwort vom »Fahrradland Sachsen«. Doch als Beispiel erwähnte er lediglich den bundesweit populären touristischen Radweg an der Elbe. Der ADFC kritisiert derweil, nur 11 Prozent der sächsischen Staatsstraßen verfügten über einen Radweg; die Quote sei in kaum einem anderen Bundesland niedriger. Es fehle an Geld und Kapazitäten zur Planung. Die Folge: Drei Viertel der Sachsen fühlen sich beim Radfahren gefährdet, 55 Prozent empfinden dabei eher Stress als Spaß. Und als gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer sehen sich 62 Prozent noch nicht.
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