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Reichtum ist Katastrophe
Das Streben nach Profit wird ein Überlebenskampf, der sich selbst sabotiert
Neulich erzählte mir eine befreundete Lehrerin von den Zukunftsvorstellungen ihrer Jugendlichen. Während die Mädchen klassische Berufsbilder wie Anwältin und Ärztin verfolgten, sei die Hälfte der jungen Männer vor allem besessen von der Idee, als »Entrepreneur« schnell viel Kohle zu machen. Egal, ob mit Bitcoin, Nahrungsergänzungsmitteln oder »Mindset-Videos«. Klimakatastrophe und wachsende soziale Ungleichheit seien auch bei den Jungen präsent: Sie verstünden aber schnellen Reichtum als einzigen Weg, sich den Folgen kommender Krisen zu entziehen. Oft planten sie mit Häusern und Anwesen an Orten, die der Klimawandel wohl zuletzt erreichen wird. Was für eine traurige Welt, in der die Idee vom guten Leben bedeutet, als letzter von der Flutwelle erwischt zu werden.
Überhaupt hat das globale Unheil die Natur des Profitstrebens verändert. Die Vorstellung davon, wofür eigentlich der ganze Reichtum angehäuft werden soll, ist in einer Welt, die für alle stetig kleiner und ungemütlicher wird, eine andere als im 19. Jahrhundert. Als die Grenzen des Raubbaus an der Erde noch in unabsehbarer Ferne schienen, war Reichtum tatsächlich Freiheit, bedeutete eine Erweiterung des persönlichen Möglichkeitshorizonts. Heute ist die Natur des Reichtums defensiv, gestohlene Zeit. Multimilliardäre kaufen sich Inselfestungen und hoffen auf ein besseres Leben auf dem Mars. Reichtum dient dazu, sich von den Kollateralschäden jener Ausbeutung freizukaufen, die ihn überhaupt erst möglich gemacht hat.
Leo Fischer ist Journalist, Buchautor und ehemaliger Chef des Satiremagazins »Titanic«. In seiner Kolumne »Die Stimme der Vernunft« unterbreitet er der aufgeregten Öffentlichkeit nützliche Vorschläge und entsorgt den liegengelassenen Politikmüll. Alle Texte auf dasnd.de/vernunft.
Der Preis, von den Konsequenzen des eigenen Handelns verschont zu bleiben, steigt indes ständig – so wird das Streben nach Profit ein Überlebenskampf, der sich selbst sabotiert. Weil alle nur an sich selbst denken, bleibt immer weniger von dem zurück, was alle genießen könnten. Weil niemand mehr Steuern zahlen will, müssen ruinierte Straßen mit Geländewagen befahren werden – hier lässt sich der Verlust kollektiven Wohlstands noch durch individuellen Reichtum kompensieren. Aber schon bei Spaziergängen in der Innenstadt wird es gar zu deprimierend, den Opfern der Umverteilung nach oben ins Gesicht zu blicken.
Man sieht es auch an der Psychologie wirklich reicher Leute, sofern man das Pech hat, welche zu kennen. Wo Reichtum einmal Seelenruhe verhieß, lebt jetzt eine unerhörte Nervosität. Feindselig wird das Nachbargrundstück auf Lärmquellen abgehört. Das Leben, das befreit scheint von den Zwängen des Erwerbs, ist in Wahrheit eine eisige Leere, die mit rasender Tätigkeit gefüllt werden muss: ein ausuferndes Sozialleben, ständige Verabredungen mit Leuten, die man eigentlich nicht leiden kann, ersetzen die Lohnarbeit und werden mit der gleichen arbeitsamen Verdrossenheit durchexerziert. Nicht einmal vorm Sog der Verschwörungstheorien schützt Wohlstand: Der Fall Mathias Döpfner zeigt, wie ein Aktienmilliardär den Mist glaubt, den er selbst in die Zeitung setzen lässt. Oder Elon Musk: Man kann dem reichsten Mann der Welt live dabei zusehen, wie er auf dem eigenen Nachrichtenportal täglich tiefer in ein verschwörungstheoretisches Weltbild abdriftet.
Individueller Reichtum schützt nicht vor einer Welt, die keinen kollektiven kennt – allgemeine Gesundheit, Zufriedenheit, eine intakte Umwelt lassen sich nicht nachträglich aus den Profiten ihrer Zerstörung zurückkaufen. Umso schlimmer, dass er als einzige Hoffnung übrig geblieben ist, wo er eigentlich zum individuellen Signum kollektiven Scheiterns wird – Reichtum als Stigma, als Symptom, als Katastrophe.
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