Verweigerung bleibt auch im Krieg Menschenrecht

Aktivisten übergeben in Berlin Unterschriften an die Europäische Kommission

  • Daniel Säwert
  • Lesedauer: 4 Min.
Aktivisten übergeben die Unterschriften an die Europäische Kommission.
Aktivisten übergeben die Unterschriften an die Europäische Kommission.

Anfang des Jahres sorgte die Zahl 951 in Deutschland für Aufsehen. So viele ehemalige und aktuelle Soldaten hatten in Deutschland 2022 wegen Russlands Überfall auf die Ukraine den Kriegsdienst verweigert, fast fünf Mal soviel wie noch 2021. Eine Berliner Zeitung fragte damals reißerisch, ob die Deutschen kneifen, wenn es ernst wird. Dabei hatten die Soldaten lediglich von ihrem Grundrecht Gebrauch gemacht.

In Belarus, Russland und der Ukraine haben junge Männer diese Möglichkeit nicht. Wladimir Putin hat bereits Hunderttausende Wehrpflichtige und Mobilisierte für seinen sinnlosen Krieg in die Ukraine geschickt, eine Möglichkeit, sich diesem Verbrechen zu entziehen, haben sie kaum. Die Ukraine hat Männern bis 60 die Ausreise verboten und mobilisiert für den Kampf gegen die Invasoren.

Kriegsdienstverweigerung bleibt Menschenrecht

Seit dem Beginn des Krieges vor 15 Monaten setzen sich Rudi Friedrich und sein Offenbacher Verein Connection dafür ein, Menschen, die nicht kämpfen wollen, in Europa Schutz zu bieten. »Die Europäische Union sagt, wir verteidigen Menschenrechte der Ukraine. Aber auch die Kriegsdienstverweigerung ist ein Menschenrecht«, erklärte Friedrich am Montagmorgen bei der Veranstaltung zum Internationalen Tag der Kriegsdienstverweigerung in Berlin. »Ein echter Schutz für alle, die sich dem Krieg verweigern, ist schon lange überfällig«, sagte der Geschäftsführer von Connection zu den 80 Anwesenden.

Carlotta Conrad, Vorstandsmitglied der IPPNW, erinnerte an die physischen und psychischen Traumata von Kriegsdienstleistenden und das Recht auf körperliche Unversehrtheit. »Kriegsdienstverweigerung muss deshalb auch in diesem Krieg als Selbstverständlichkeit für alle gelten«, forderte Conrad.

Deutschland erschwert die Einreiser für russische Verweigerer

Maria A. vom russischen Movement of Conscientious Objection erinnerte an die humanitären Visa für Menschenrechtsaktivisten aus Russland und forderte diese auch auch für Deserteure und Militärdienstentzieher. Ihren Angaben zufolge haben sich mindestens 150 000 Russen durch Flucht vor der Einberufung in die Armee entzogen. In die EU schaffen es davon allerdings nur wenige, denn wer keinen Bescheid vorlegen kann, erhält kein Asyl. Schon länger kritisiert Friedrich diese Praxis deutscher Behörden. Russen werden vom Bundesamt für Migration und Flüchtlinge oft mit der Begründung abgelehnt, dass nicht erkennbar sei, ob die Betroffenen wirklich in den Krieg müssen. Anders nach Deutschland zu kommen, wird jedoch auch zunehmend schwerer. In den vergangenen Wochen verweigerte die Botschaft in Moskau immer wieder Männern das deutsche Visum mit der Begründung, diese könnten möglicherweise für den Krieg mobilisiert werden.

Dabei, so ist Friedrich überzeugt, müsste es eigentlich im europäischen Interesse sein, Wladimir Putin und seiner Armee so viele Männer wie möglich zu entziehen, um dem Blutvergießen in der Ukraine ein Ende zu setzen. Menschen, die nicht in den Krieg geschickt werden, können nicht töten und werden selbst nicht getötet, so die einfache Formel, die Friedrich bereits im vergangenen September nach dem Beginn der Mobilisierung in Russland gegenüber »nd« aufststellte. Belarus sei dafür ein gutes Beispiel, so Friedrich damals. Durch den massenhaften Weggang junger Männer würden Alexander Lukaschenko schlicht die Soldaten fehlen, um an Moskaus Seite in die Ukraine einzumarschieren, so Friedrich.

Fast 50 000 Unterschriften übergeben

Ähnlich sieht das Olga Karatch von der oppositionellen Vereinigung Nash Dom. »Wir brauchen einen humanitären Korridor für belarussische Männer. Ich spreche hier von 20 000 Menschen. Ein humanitärer Korridor für belarussische Kriegsdienstverweigerer und Deserteure ist viel, viel billiger als jede Rakete, jede Waffe oder militärische Ausrüstung.«

Am Ende der Veranstaltung tragen Friedrich und andere Aktivisten Kisten mit fast 50 000 Unterschriften für den Schutz von Kriegsdienstverweigerern aus Russland, Belarus und der Ukraine zur Vertretung der Europäischen Kommission. Besonders freut er sich darüber, dass in den Tagen vor der Aktion noch viele Unterschriften hinzugekommen sind. Eine schnelle Antwort aus Brüssel oder gar einen allgemeinen Schutzstatus für Betroffene aus den drei Staaten erwartet Friedrich nicht. Papier ist geduldig, sagt er. Viel wichtiger, so Friedrich, sei es, politisch und öffentlich wahrgenommen zu werden, um Menschen vor dem Tod in einem verbrecherischen Krieg zu bewahren.

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