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»Russlandfreundin« siegt bei Stichwahl in Gagausien
Jewgenija Gutsul könnte als neuer Baschkan zum Problem für den Pro-EU-Kurs der moldauischen Regierung werden
Es war so etwas wie Schrödingers Wahl für Gagausien am vergangenen Wochenende. Fest stand, dass der Sieger oder die Siegerin der Stichwahl zum Baschkan (Regierungschef) den bisherigen »russlandfreundlichen« Kurs des kleinen autonomen Gebiets in der Republik Moldau fortsetzen wird. Unklar war bis zuletzt hingegen, ob die Abstimmung überhaupt stattfinden wird.
Nach der ersten Wahlrunde durchsuchten moldauische Korruptionsbekämpfer Büros der Schor-Partei in Gagausien. Ihr Vorwurf: Die »russlandfreundliche« Partei soll von Kriminellen Geld erhalten und Wählerstimmen gekauft haben. Zwar präsentierten die Ermittler Video- und Tonaufnahmen als Beweis, trotzdem nannte Schor die Razzia eine »neue Repressionswelle«. Moldauische Journalisten präsentierten zudem eine »russische Spur«: Drei Politikexperten, die mit ukrainischen Pässen eingereist waren, sollen die Schor-Kandidatin Jewgenija Gutsul unterstützt haben, die zwar über keinerlei politische Erfahrung verfügt, dafür aber mit guten Beziehungen zu Moskau, billigem Gas und niedrigen Lebenskosten für sich warb.
Mit Erfolg: Am Ende setzte sich die 37-jährige Gutsul mit 52 Prozent der Stimmen gegen den ebenfalls politisch unerfahrenen Grigorij Usun von der Partei der Sozialisten der Republik Moldau (PSRM) durch und wird damit Nachfolgerin von Irina Vlah (PSRM), die die vergangenen acht Jahre als erste Frau Baschkan der Gagausen war.
Autonomes Turkvolk
Die Gagausen sind ein Turkvolk, welches mehrheitlich dem christlich-orthodoxen Glauben anhängt. Im Zuge des Zerfalls der UdSSR erklärten Politiker in der südmoldauischen Stadt Komrat nahe der ukrainischen Grenze eine autonome Republik, die von der politischen Elite in Chisinău abgelehnt wurde. Anders als in Transnistrien kam es jedoch nie zu Kämpfen mit der Zentralmacht.
Nachdem Transnistrien sich 1992 faktisch die Unabhängigkeit erkämpfte, verloren die Nationalisten in Chisinău an Einfluss. Infolge der Parlamentswahl 1994 übernahmen die Agrarier die Regierung, die innen- und außenpolitisch für Kompromisse standen. So versprach die Zentralregierung in Chisinău den gagausischen Separatisten weitgehende Autonomierechte. Die Region trat der Republik Moldau bei, erhielt ein eigenes Parlament sowie Sonderrechte in Bildungs-, Kultur- und Steuerfragen. An der Spitze der Region steht der Baschkan, der qua Amt Mitglied der moldauischen Zentralregierung ist.
Ausländische Mächte mit Interessen
Die vergangenen drei Jahrzehnte blieb Gagausien agrarisch geprägt. Die meisten Menschen leben vom Export von Wein, Sonnenblumenöl und Wolle. Die Hauptstadt Komrat ist mit ihren etwas mehr als 20 000 Einwohnern in etwa so groß wie das brandenburgische Zossen. In ganz Gagausien leben rund 135 000 Menschen, für die sich neben der Republik Moldau zwei weitere Staaten interessieren. So ist das autonome Gebiet Beobachter in der auf türkisches Betreiben gegründeten Kulturorganisation der Turkstaaten, Türksoy. Die Türkei unterhält das bisher einzige Konsulat in Komrat und die türkische Entwicklungshilfeorganisation TIKA ist genau wie Baukonzerne vom Bosporus in Gagausien sehr aktiv.
Die dominierende Macht in der Region aber ist Russland. Neben der eigenen Sprache sprechen fast alle Gagausen Russisch. So waren im aktuellen Wahlkampf alle Wahlplakate auf Russisch. Als Moskau vor 15 Jahren die Unabhängigkeit Abchasiens anerkannte, forderte das gagausische Parlament von der Zentralregierung in Chisinău das Gleiche. Bei einem Referendum stimmten 2014 über 97 Prozent gegen eine Annäherung an die Europäische Union und in etwa genauso viele für engere Beziehungen zum Vorläufer der Eurasischen Wirtschaftsunion. Gagausien ist ein fester Teil der »russischen Welt« – das wird in Moskau geschätzt und in Chisinău ganz und gar nicht.
Baschkan ist die zentrale Figur
Seine Eigenständigkeit unterstreicht Gagausien auch mit seinem politischen System. Statt auf ein parlamentarisches System wie Moldau setzt die Region auf ein präsidentielles System mit dem Baschkan an der Spitze.
Nachdem die bisherige Amtsinhaberin Irina Vlah 2015 gewählt wurde, fing sie als Geste des guten Willens an, Moldauisch zu lernen. Internationale Trips führten sie nach Aserbaidschan, in die Türkei, nach Russland und in die Europäische Union. Ähnlich wie die PSRM auf nationaler Ebene von 2019 bis 2021 war ihre praktische Regierungspolitik gar nicht so prorussisch, wie sie sich vor dem Urnengang gab. Vlah durfte nicht noch einmal antreten.
So begann ein Wahlkampf, indem es kaum um Innenpolitik ging, sondern hauptsächlich darum, wie gut man die Region gegenüber Russland positionieren kann. Bei der ersten Runde der Wahl am 30. April erhielten Grigorij Usun von der PSRM und Jewgenija Gutsul beide etwas mehr als 26 Prozent der Stimmen. Dumitru Croitor, der laut Umfragen auf eine Drittplatzierung hoffte und auf türkische Hilfe setzen konnte, erreichte weit abgeschlagen den vierten Platz mit etwas mehr als zehn Prozent der Stimmen.
Gutsuls Sieg Rückschlag für Chisinău
Gutsul versprach, dass Gagausien unter ihrer Ägide ein Vertretungsbüro in Moskau eröffnen wird. Werbespots der Schor-Partei vermittelten den Eindruck, die Region werde nach einem Wahlsieg Gutsuls zu einer Art riesigem Freizeitpark. Aus dem israelischen Exil versprach der wegen Korruption verurteilte Parteichef Ilan Schor außerdem, dass er 500 Millionen Euro in die Region investieren und einen Flughafen bauen lassen werde, wodurch rund 7000 neue Arbeitsplätze entstünden. Schor versprach auch höhere Gehälter und soziale Absicherung. Aus Gagausien soll ein »Traumland« werden, so Schor vor der Wahl, ohne zu erklären, wie all das umgesetzt werden soll.
Diese Aufgabe liegt nun in den Händen der »Kandidatin des Volkes«, wie Schor Jewgenija Gutsul anpries. Ihre Wahl ist ein herber Rückschlag für die in Chisinău regierende liberale Partei der Aktion und Solidarität (PAS) von Präsidentin Maia Sandu, die einen proeuropäischen Kurs fährt. Denn in Zukunft sitzt ein Schor-Parteimitglied am Kabinettstisch. Und die Zeit für Sandu und ihre Politik drängt. Bereits seit über einem Jahr kann die PAS laut Umfragen für die nächste Wahl auf keine Mehrheit im Parlament mehr hoffen. Innerhalb der Opposition hat die Schor-Partei den Sozialisten, die bisher auf gute Kontakte nach Russland setzen konnten, den Rang abgelaufen. Damit droht den Sozialisten, ähnlich wie den Kommunisten im vergangenen Jahrzehnt, der Niedergang.
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