Mord an Journalisten: Kočner überraschend freigesprochen

Im Fall um den Mord an dem slowakischen Journalisten Kuciak fiel das Urteil unerwartet aus

  • Jindra Kolar, Prag
  • Lesedauer: 3 Min.
Marian Kočner vor Gericht in Bratislava am 15. Juni 2021
Marian Kočner vor Gericht in Bratislava am 15. Juni 2021

Mit großer Spannung wurde der Ausgang des erneuten Verfahrens um den Mord am Investigativjournalisten Ján Kuciak und seiner Lebensgefährtin am Freitag erwartet. In einem ersten Verfahren 2020 waren die beiden Hauptangeklagten, der slowakische Oligarch Marian Kočner und seine Vertraute Alena Zsuzsova vom Vorwurf freigesprochen worden, den Mord an dem Paar in Auftrag gegeben zu haben. Im Februar 2018 waren Kuciak und Kušnírová in ihrem Haus in Vel’ká Mača kaltblütig erschossen worden.

Der erneute Prozess war notwendig geworden, nachdem das Oberste Gericht in Bratislava diese erstinstanzlichen Freisprüche für Kočner und Zsuzsová aufgehoben und das Verfahren zurück an das Spezialstrafgericht in Pezinko verwiesen hatte.

Zur Urteilsverkündung war Kočner, der bereits eine 19-jährige Haftstrafe wegen Betrugs verbüßt, aus der Haft erschienen. Seine mutmaßliche Komplizin Zsuzsová hatte sich entschieden, dem Gericht fernzubleiben. Pünktlich um 15 Uhr eröffnet die Vorsitzende Richterin Ružena Sabová die Urteilsverkündung. Neben dem Mord an Kuciak und Kušnírová ging es in dem Verfahren um die Mordversuche an den Staatsanwälten Maroš Žilinka und Daniel Lipšic, dem früheren slowakischen Justizminister. Dass diese im Zusammenhang mit dem Mordanschlag vom Februar 2018 standen, hatte sich im Laufe der erneut von der Staatsanwaltschaft aufgenommenen Ermittlungen ergeben. Für den Mord an Kuciak und seiner Lebensgefährtin wurden im ersten Verfahren die Täter Zoltán Andrusko als Übermittler des Mordauftrags zu 15 Jahren Haft und der Ex-Elitesoldat Miroslav Marček als Todesschütze zu 23 Jahren Haft verurteilt. Ihre jeweils verminderten Haftstrafen hatten sie dem Umstand zu verdanken, dass sie die Ermittler bei ihren Untersuchungen unterstützten und über ihre Tatbeteiligung selbst geständig waren.

Nun sollte geklärt werden, wer die eigentlichen Drahtzieher hinter den Morden und Mordversuchen waren. Die Staatsanwaltschaft hatte es als erwiesen angesehen, dass Kočner über Zsuzsová als Mittelsfrau die Aufträge erteilt hatte. Das Gericht unter Richterin Sabová schloss sich dieser Meinung erneut nicht an.

Zsuzsová und der Mitangeklagte Kracina wurden des versuchten Mordes an Žilinka schuldig gesprochen. Das Gericht sah es ferner als erwiesen an, dass Zsuzsová den Mord an Kuciak in Auftrag gegeben hatte.

Das Urteil zugunsten von Kočner ist jedoch noch nicht rechtskräftig. Richterin Sabová erklärte, es »sei dem Angeklagten nicht zweifelsfrei nachgewiesen worden, dass er die Taten in Auftrag gegeben hatte«. Man kann dies durchaus als Freispruch zweiter Klasse bewerten. Es ist sehr wahrscheinlich, dass die Nebenklage und die Staatsanwaltschaft erneut vor dem Obersten Gericht Einspruch erheben werden.

Der Doppelmord an Kuciak und Kušnírová hatte in der Slowakei ein politisches Erdbeben zur Folge. Der sozialdemokratische Premier Robert Fico – ein enger Vertrauter Kočners – musste seinen Rücktritt einreichen. Die Folgeregierungen der Bewegung OLaNO hangelten sich von Krise zu Krise, bis kürzlich das Kabinett Eduard Hegers zurücktreten musste. Staatspräsidentin Zuzana Čaputová berief eine technische Regierung unter Führung von Ľudovít Ódor, der bisherigen Nummer zwei der Slowakischen Nationalbank. Sie wird bis zu den vorgezogenen Neuwahlen, die derzeit auf den 30. September festgelegt sind, im Amt bleiben. Wie die Öffentlichkeit das am Freitag gesprochene Urteil aufnehmen wird, bleibt abzuwarten. Das Bekanntwerden der in der slowakischen Geschichte einmaligen Morde an Kuciak und Kušnírová hatte 2018 zu Massenprotesten geführt, in deren Folge auch die unabhängige Kandidatin Čaputová zur Staatspräsidentin gewählt wurde. Ähnliche Demonstrationen könnten in der politisch ohnehin aufgeheizten Atmosphäre der Slowakei erneut erwartet werden, zumal die amtierende Bürgerbewegung unter ihrer Regierung der Misswirtschaft und Korruption im Land nicht Herr werden konnte. Umfragen zufolge legt die sozialdemokratische Partei SMER in der Wählersympathie gerade zu. Dies könnte vor allem den Bemühungen der Slowakei, die Ukraine im Krieg gegen Russland zu unterstützen, zuwiderlaufen. Denn SMER steht traditionell an Moskaus Seite.

Das »nd« bleibt. Dank Ihnen.

Die nd.Genossenschaft gehört unseren Leser*innen und Autor*innen. Mit der Genossenschaft garantieren wir die Unabhängigkeit unserer Redaktion und versuchen, allen unsere Texte zugänglich zu machen – auch wenn sie kein Geld haben, unsere Arbeit mitzufinanzieren.

Wir haben aus Überzeugung keine harte Paywall auf der Website. Das heißt aber auch, dass wir alle, die einen Beitrag leisten können, immer wieder darum bitten müssen, unseren Journalismus von links mitzufinanzieren. Das kostet Nerven, und zwar nicht nur unseren Leser*innen, auch unseren Autor*innen wird das ab und zu zu viel.

Dennoch: Nur zusammen können wir linke Standpunkte verteidigen!

Mit Ihrer Unterstützung können wir weiterhin:


→ Unabhängige und kritische Berichterstattung bieten.
→ Themen abdecken, die anderswo übersehen werden.
→ Eine Plattform für vielfältige und marginalisierte Stimmen schaffen.
→ Gegen Falschinformationen und Hassrede anschreiben.
→ Gesellschaftliche Debatten von links begleiten und vertiefen.

Seien Sie ein Teil der solidarischen Finanzierung und unterstützen Sie das »nd« mit einem Beitrag Ihrer Wahl. Gemeinsam können wir eine Medienlandschaft schaffen, die unabhängig, kritisch und zugänglich für alle ist.