Erdgas bei Borkum: Sorge um Krebse, Hummer und Korallen

Noch keine Entscheidung zum Erdgas-Bohrprojekt nahe des artenreichen Riffs vor Borkum

  • Hagen Jung
  • Lesedauer: 4 Min.

Ausgerechnet 20 Kilometer vor der zu Niedersachsen gehörenden ostfriesischen Insel Borkum will das niederländische Unternehmen One-Dyas nach Erdgas bohren. Dort befindet sich ein idealer Lebensraum für den vom Aussterben bedrohten Nordsee-Hummer, außerdem für Taschenkrebse, Korallen, Seenelken, Fische und andere schützenswerte Riffbewohner.

Nach den Vorstellungen des niederländischen Konzerns soll ab 2024 gefördert und das Gas je zur Hälfte ins eigene Land und nach Deutschland geleitet werden. Mindestens 60 Milliarden Kubikmeter werden aus dem vor fünf Jahren zwischen Borkum und der niederländischen Insel Schiermonnikoog entdeckten Gasfeld in der Nähe des Nationalparks Niedersächsisches Wattenmeer erwartet. Zum Konzept, das One-Dyas dort verwirklichen will, gehören unter anderem eine Bohrplattform sowie eine Pipeline. Naturschützer warnen, dass die Erdgasförderung im sensiblen Ökosystem des Wattenmeeres den Erhalt der biologischen Vielfalt gefährde und den Klimazielen widerspreche.

Die Umweltorganisation Greenpeace hatte unlängst den Vorwurf erhoben, Niedersachsens Landesregierung habe von dem Riff gewusst, aber dessen Existenz trotz des hohen Schutzanspruchs verschwiegen. Die Umweltschützer forderten von den Verantwortlichen im zweitgrößten Bundesland eine sofortige Absage der Vorbereitungen für die Bohrstelle und inszenierten eine Protestaktion: Während einer Sitzung des Landtages waren Greenpeace-Akivisten auf das Dach des Plenarsaals in Hannover geklettert und hatten an dessen Fassade sowie vor die Fenster großformatige Banner mit Forderungen wie »Gasbohrungen vor Borkum stoppen« gehängt. Spezialkräfte der Polizei beendeten die siebenstündige Demonstration, gegen die Kletterer wird wegen Hausfriedensbruchs ermittelt.

Der Vorwurf des Verschweigens sei falsch, erklärte Niedersachsens Umweltminister Christian Meyer (Grüne) später gegenüber dem NDR. Der Politiker unterstrich, sein Ministerium habe im Genehmigungsverfahren auf die Erkenntnisse aus den Gutachten zu den artenreichen Steinriffs hingewiesen, die Fachleute im Auftrag des Niedersächsischen Landesbetriebs für Wasserwirtschaft, Küsten- und Naturschutz erstellt hatten. Es sei damit zu rechnen, dass es zu erheblichen Zeitverzögerungen im Genehmigungsverfahren komme. Meyer sprach von »mehreren Monaten«. Aus gewöhnlich gut unterrichteter Quelle heißt es, der geplante Zeitrahmen für das Verfahren werde sich um gut ein Jahr erweitern. Die Genehmigungsbehörde, das Landesamt für Bergbau, Energie und Geologie (LBEG), gibt zur Zeitplanung keine Auskünfte. Angesichts der Proteste in Hannover hatte Meyer hervorgehoben: Für die Landesregierung habe Natur, Wattenmeer und Klima »allerhöchste, zentrale Bedeutung«. Meyer hob zu dem Bohrprojekt hervor, es laufe das Verfahren, aber noch sei keine Genehmigung erteilt.

Gegen die Pläne von One-Dyas hatten die Deutsche Umwelthilfe (DUH), die niederländische Umweltorganisation Mobilisation for the Environment (MOB) und die Bürgerinitiative »Saubere Luft Ostfriesland« gemeinsam Klage bei der niederländischen »Rechtbank« – einem erstinstanzlichen Gericht – in Den Haag eingereicht. Auch die Inseln Juist und Borkum hatten dort gemeinsam eine Klage gegen die Gasbohrungen eingebracht. Und das Gericht entschied zunächst durch eine einstweilige Verfügung: One-Dyas darf nicht mit den Vorarbeiten für die Plattform beginnen, bevor die Klage gegen die Genehmigung im Hauptverfahren entschieden ist. Die DUH bezeichnete den Spruch der Rechtbank als »Paukenschlag für den Schutz der Nordsee«. Nach Informationen des NDR wird eine endgültige Entscheidung der Den Haager Richter im Hauptverfahren im September erwartet.

Borkums Bürgermeister Jürgen Akkermann (parteilos) kommentierte: »Der Spruch des Gerichts zeigt, dass unsere Kritik und unsere Bedenken ernst genommen werden und entscheidungsrelevant sind.« Das mache Hoffnung für das ja noch laufende Gerichtsverfahren. Um beurteilen zu können, ob neue Projekte in der Nähe von Gebieten mit Unesco-Weltnaturerbe-Status und von Natura-2000-Gebieten mit den Klima- und Artenschutzzielen vereinbar sind, müssten ausreichende Datengrundlagen vorliegen und objektiv bewertet werden, betont der Bürgermeister. Der Beschluss des niederländischen Gerichts mache deutlich, dass dies im Fall »Erdgasfeld bei Borkum« nicht gegeben sei.

Trotz aller Proteste, zu denen auch Demonstrationen auf Borkum zählen und und trotz der Unsicherheiten in puncto Genehmigung aus Niedersachsen: One-Dyas bleibt bei seiner Terminplanung und will ab 2024 nahe der Insel Erdgas aus der Meerestiefe fördern.

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