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Verfehlte Wohnungsbauziele: »In der Krise stabil« – auf Talfahrt
Bundesregierung verfehlt in der Wohnungspolitik klar ihr selbst gestecktes Ziel
Es war ein Zeichen, das die Ampel in Berlin bei ihrem Amtsantritt 2021 eindrucksvoll in Szene setzte. Das sozial so wichtige Thema Bauen, Wohnen und Stadtentwicklung sollte nicht mehr wie bisher als ungeliebtes Kind im Verkehrs-, Umwelt- oder Innenministerium sein Dasein fristen, sondern mit einem eigenen Ressort am Kabinettstisch vertreten sein. Bitter nötig war das geworden, nachdem in der unmittelbaren Vorgängerregierung CSU-Innenminister Horst Seehofer der Wohnungspolitik in seinem Haus ganz und gar den dritten Platz zuwies und sich vor allem seinen Ambitionen als Heimatminister hingab.
Aber jenseits der strukturellen Ampel-Entscheidung für ein eigenständiges Bauministerium gab es vor allem inhaltliche Gründe, den Fokus verstärkt auf das Bau- und Wohngeschehen im Lande zu richten. Die Wohnungsnot in Großstädten, Ballungsgebieten und an Hochschulstandorten ist mittlerweile legendär, Hunderttausende vor allem bezahlbare Wohnungen fehlen allerorten, die Mieten steigen wie auch die Obdachlosigkeit. Und gar manchem erfolglosen Wohnungssuchenden kommen die Zille-Worte von vor über 100 Jahren in den Sinn, wonach einen Menschen auch seine Suche nach einem Dach überm Kopf umbringen kann.
Deshalb war es richtig und wichtig, dass die sogenannte Fortschrittskoalition ihren Wählern 400 000 neu gebaute Wohnungen pro Jahr versprach. Auch wenn der Bedarf nach Expertenberechnungen mindestens bei 700 000 liegt, war das ein anspruchsvolles Vorhaben. Doch denkste! Was schon monatelang gemunkelt wurde und bei Bauleuten wie Mietervereinigungen längst für allgemeine Ernüchterung sorgte, hat das Statistische Bundesamt mit seiner gestrigen Veröffentlichung greifbar gemacht: Ganze 295 300 Wohnungen wurden 2022 in der Bundesrepublik fertiggestellt – und das sind fast 105 000 unter dem einst selbst gesteckten Ziel.
Auch wenn von einem »leichten« Wachstum die Rede ist, weil 1900 Wohnungen mehr als 2021 fertiggestellt wurden, ist die Erhebung der Wiesbadener Statistiker eine Hiobsbotschaft für Bauministerin Klara Geywitz (SPD). Zumal Branchenkenner und Wissenschaftler befürchten, dass die Bilanz für dieses Jahr mit 250 000 fertiggestellten Wohnungen noch schlimmer ausfallen wird. Doch Geywitz behilft sich mit dem berühmten Pfeifen im Walde und frohlockt, dass das an die Wand gemalte Schreckensszenario 2022 ausgeblieben sei: »Der Bau bleibt auch in der Krise stabil«, erklärte sie am Dienstag. Es sei eine »sehr beachtliche Leistung der kompletten Baubranche angesichts eines Krieges, mehrerer Förderstopps im letzten Jahr und vor allen Dingen natürlich steigender Zinsen, Materialengpässe und spürbarem Fachkräftemangel«, wird die Ministerin zitiert.
Bei aller Selbstsuggestion, auch Geywitz setzt freilich auf das berühmte Licht am Ende des Tunnels. Schließlich gebe es eine hohe Zahl bereits genehmigter, aber noch nicht gebauter Wohnungen, versucht sie der Öffentlichkeit Mut zu machen. Den sogenannten Bauüberhang beziffern die Statistiker auf 884 800 Wohnungen. Doch derlei Hoffnung teilt beispielsweise der Hauptgeschäftsführer des Bauindustrieverbandes HDM nicht. »Zur Wahrheit gehört, dass fast alles fertiggestellt wurde, was noch im Bau war«, nimmt Tim-Oliver Müller via Agenturzitat der Ministerin den Wind aus den Segeln. Wie auch der wissenschaftliche Direktor des Institutes für Makroökonomie und Konjunkturforschung der Hans-Böckler-Stiftung, Sebastian Dullien, für den der Bauüberhang nicht zwangsläufig ein Garant für künftigen Erfolg ist: Möglich seien vielmehr auch gestrichene oder stornierte Bauvorhaben sowie abgelaufene Baugenehmigungen.
Allesamt fachliche und faktische Einwände, die die Ministerin eigentlich nicht einfach in den Skat drücken kann. Und auch der Aufschrei der IG BAU dürfte sie nicht kaltlassen. Gewerkschaftschef Robert Feiger erinnert Geywitz an ihr sozialdemokratisches Gewissen: »Die nicht gebauten Wohnungen sind ein Gradmesser dafür, wie es um den sozialen Frieden steht. Denn Wohnungsbaupolitik ist auch Sozialpolitik«, erklärte er. Und nannte neue Wohnungen »Stützpfeiler« der Demokratie aus Stein, Beton und Holz, während Zement und Schrauben Baustoffe seien, die Deutschland sozial zusammenhalten. Fast schon warnend erklärte Feiger, dies müsse sich die Ampel-Koalition jeden Tag aufs Neue vor Augen halten.
Die wohnungspolitische Sprecherin der Linksfraktion im Bundestag, Caren Lay, geht da weniger prosaisch vor und wirft der Ampel vor, »grandios« zu scheitern. Schließlich werde nicht nur deutlich zu wenig, sondern auch das Falsche gebaut. Notwendig wäre, so Lay, ab jetzt in den Innenstädten statt teurer Eigentumswohnungen klimagerechte, soziale und bezahlbare Wohnungen zu bauen. Mehr bezahlbarer Neubau lasse sich allerdings nur durch erheblich stärkere Förderung des öffentlichen Wohnungsbaus erreichen.
Lediglich das Statement von Unionsfraktionsvize Ulrich Lange auf »t-online« entbehrt nicht gewisser Komik. Wenn der CSU-Politiker ohne mit der Wimper zu zucken von einem »Trauerspiel auf ganzer Linie« und der durch die Ampel nicht in den Griff bekommenen Wohnungsnot spricht, fällt gewiss nicht nur Klara Geywitz Name und Parteizugehörigkeit ihres Vorgängers ein.
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